Kapitel 10 - Geheimnisse

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Als ich auf seinem Sofa saß, stellte er mir eine dampfende Tasse Kakao auf den Tisch und setzte sich auf den Sessel, schräg gegenüber von mir.
„Ein sehr gutes Buch." begann er, zu reden. „Der Alchimist. Ich habe gestern Abend angefangen, zu lesen, und bin vor guten zehn Minuten fertig geworden. Der Sinn des Lebens also...Was ist denn für dich der Sinn des Lebens?"
Ich hielt die Luft an. Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.
„Ich denke...am Ende seiner Tage nichts zu bereuen...die Gelegenheiten beim Schopf zu packen, wenn sie sich einem bieten. Machen, was einem Spaß bereitet. Egal, was andere denken. Man muss sich selbst gut fühlen..." antwortete ich und überraschte mich tatsächlich selbst über meine Offenheit. Und, dass ich wusste, was der Sinn des Lebens für mich war.
Remus lächelte mich sanft an.
„Das klingt sehr schön, Lara. Die Meinung teile ich mit dir...Was sagst du über die Schöne und das Biest?" wollte er nun wissen und wollte mir die ganze Zeit über in die Augen sehen.
Ich hielt es jedes Mal nur für ein paar Sekunden aus, bevor ich den Blickkontakt abbrechen musste und für eine kurze Zeit auf die Tasse Kakao sah.
„Es ist eine so schöne Geschichte, Prof-...Remus, ehrlich." antwortete ich und fühlte mich seltsam, ihn beim Vornamen zu nennen.
„Wieso?" fragte er, lehnte sich zurück, zog die Augenbrauen etwas zusammen und schlug die Beine übereinander.
„Ganz einfach, weil Belle sich in die Person verliebt hat, die er zu der Zeit war, und nicht die Person hinter seinem Geheimnis. Es war nicht der schöne Prinz, welchen sie wollte. Es war die Person. Egal, in welcher Gestalt, weil sie wusste, egal, wie er aussieht, sein Charakter bleibt gleich. Sie hat sich in das Innere verliebt. Sich in das Licht eines Menschen zu verlieben, ist einfach...Das kann jeder. Aber das Buch hat auch die dunklen Seiten gezeigt." antwortete ich und war meiner Aussage so sicher, dass ich dieses Mal seinem Blick standhalten konnte.
Und er erwiderte ihn, ließ mich für keine Sekunde aus den Augen.
Es war, als genoss er meine Worte.
Er beugte sich wieder ein Stück nach vorn, lehnte die Arme auf seine Beine.
Sein Blick bewegte sich nun in meinem Gesicht umher, sah auf meine Sommersprossen, meine Nase, meine Lippen.
Es fühlte sich an, wie eine halbe Ewigkeit. Ich wurde wieder schüchterner.
Doch ich ließ ihn.
„Das hast du sehr schön gesagt, Lara..." sagte er anschließend sanft und mit rauer Stimme, als er mir erneut in die Augen sah.
Stille füllte den Raum, doch sie erstickte ihn nicht. Der Raum fühlte sich warm an, wohlig.
„Professor...- Remus..." begann ich leise und nahm all meinen Mut zusammen. „Darf ich eine Frage stellen?"
„Nur zu." antwortete er ruhig und in seinem Mundwinkel zuckte für einen Moment ein kleines Lächeln, als ob er wusste, was ich fragen wollte.
„Woher stammen die Narben in deinem Gesicht?" fragte ich und achtete darauf, so respektvoll, wie möglich, zu klingen.
Er räusperte sich und setzte sich aufrecht hin, rieb seine Handflächen nervös über seine Oberschenkel und atmete tief durch.
„Ich hatte einst eine Auseinandersetzung mit einem Werwolf." antwortete er und sah mich fest an.
Ich verengte die Augen. „Haben Sie gewonnen?" fragte ich und stützte mich nun nach vorn auf meine Knie, wie er es tat.
„Aber natürlich, ich gewinne meistens." antwortete er und setzte ein nervöses Lächeln auf.
„Meistens?" fragte ich und lächelte etwas. „Wenn diese Frage unangemessen war, entschuldige ich mich. Ich bin nur eine Schülerin und wir sollten uns nur über Bücher unterhalten..."
„Es war keines Wegs unangemessen. Ich bin auch neugierig." lächelte er und wollte mich aufheitern.
„Ja? Das merkt man dir gar nicht an." entgegnete ich und lachte ein wenig.
„Dir merkt man nicht an, wie schüchtern du doch sein kannst, wenn du nicht unter deinen Freunden bist..." stellte er fest und verschränkte die Arme, als er sich erneut zurücklehnte.
Ich errötete. „Wie meinst-..." begann ich.
„Als Professor beobachtet man seine Schüler in den Pausen und im Unterricht. Da bist du ganz anders." sagte er und lächelte höflich und warm.
Ich merkte es nicht, doch er lenkte in diesem Moment gekonnt von dem Thema mit den Werwölfen ab.
„Wo wir gerade bei Unterricht sind...Du hast gar nicht den Riddiculus Zauber mitgemacht, nicht wahr?" grübelte er.
„Ja...ich stand ganz hinten." antwortete ich und lächelte ein wenig.
Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass wohl noch genug Zeit war, um...
„Komm." sagte er, stand auf und hielt mir seine Hand zum aufstehen entgegen.
„Jetzt? Ich denke nicht, dass-..." begann ich, doch er griff bereits sanft nach meiner Hand und zog mich in den Stand.
Seine Hand an meiner fühlte sich gut an, warm...
Lass sie nicht los...
Doch sobald ich stand, lies er meine Hand los.
Nicht schnell, nein, sondern ganz langsam. Dabei glitten seine Fingerspitzen über meine Handfläche und andersrum.
Ich betrachtete seine Hände.
Er hatte wunderschöne Hände.

Langsam hob ich meinen Blick zu seinen Augen und rieb nervös meine Hände über meinen Rock.
„Ich bin der Professor, Lara. Das ist mein Klassenzimmer. Also los." beschloss er und lächelte mich an, als er sich die Karte des Rumtreibers schnappte. „Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut." flüsterte er der Karte zu, als diese sich öffnete.
Mit einer Kopfbewegung deutete er in Richtung Tür. Aufregung stieg in mir hoch. Ich wollte unbedingt auch einmal wissen, wovor ich wirklich Angst hatte.
Ich folgte ihm leise und nah, damit er mich rechtzeitig warnen konnte, wen jemand in der Nähe war.

„Sshh!" machte plötzlich und deutete mir, leise zu sein.
Ruckartig drückte er sich an eine Wand und löschte das Licht seines Zauberstabes.
Ich erschrak und bekam sofort Angst.
Reflexartig griff ich in den Stoff seines Ärmels und hielt die Luft an.
Ein sanftes Lachen erstickte meine Angst.
Lumos." zauberte ich und blickte in das erfreute Gesicht von Remus.
„Ich wollte nur testen, wie schnell du reagieren kannst." gab er zu und lachte noch immer.
Man merkte nur zu gut, dass seine Mentalität eine viel jüngere, amüsantere Art war, als er den meisten Menschen zeigte.
Noch immer griff ich fest in seine Jacke, als er seine Hand zärtlich auf meine legte und mich beruhigend ansah.
„Alles gut." flüsterte er und brachte mich nun auch erneut zum Lächeln.

Miss Belladonna//Remus Lupin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt