Kapitel 20

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Völlig ausgefroren und hungrig entschieden wir zum frühen Abend hin, in einem Restaurant nahe des Ferienhauses zu Abend zu essen und uns aufzuwärmen. Harry meinte es läge nicht weit von unserem Standpunkt entfernt, also machten wir uns auf den Weg aus dem Wald zurück zu den Straßen.
"Ist dir kalt?", erkundigte sich Harry und musterte mich vorsichtig von der Seite. "Ich kann dir wieder meine Jacke geben."
"Nein, schon gut.", gab ich zurück und erwiderte kurz mit einem Lächeln seinen Blick. "Aber danke."
"Bist du dir sicher?", hakte er nach und blieb stehen um mich besser ansehen zu können.
"Ja.", bestätigte ich und steckte meine Hände in meine Manteltaschen. Als Harry jedoch keine Anstalten machte, mir zu folgen, nahm ich sie wieder heraus und nahm seine in meine, um ihn ziehen zu können. Daraufhin ging er sogar einige Schritte, wobei er meine Finger fest umschloss, so wie er es immer getan hatte. Mit keinem meiner Ex- Freunde war das Händchen halten je so echt wie mit Harry gewesen, denn während alle Anderen nur locker die Finger um meine Hand geschlossen oder sie teilweise nicht einmal wirklich gehalten hatten, hatte Harry meine immer fest in der seinen gehabt. Seine Finger hatten sich immer eng um meinen Handrücken geschlossen und mir so selbst dann das Gefühl gegeben, bei ihm sicher zu sein. Nur durch die Art und Weise wie er sie gehalten hatte, wusste ich immer, dass ich alles für ihn gewesen war.
Von meiner Erinnerung eingeholt sah ich kurz zu ihm nach oben und dann wieder auf meine Finger, die seine immernoch hielten. Etwas perplex von der verzogenen Realität ließ ich ihn wieder los und ging wieder in die Richtung, die er mir vorhin angegeben hatte.
"Kommst du?", fragte ich mit einem aufgesetzten Grinsen und ging einige Schritte rückwärts. Vermutlich ging es ihm wie mir, denn er schien ziemlich froh darüber zu sein, nicht über das Geschehnis sprechen zu müssen. Also nickte er und kam mir dann nach, wobei er das Gesprächsthema auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt lenkte, an denen wir vorbeikamen. So sehr ich auch wollte, konnte ich ihm nicht wirklich zuhören, da meine Gedanken wieder zu der Vergangenheit zurückkehrten. Immer wieder hatte ich solche kurzen Momente, wenn ich ihn auch nur ansah, denn so vieles an ihm erinnerte mich an die schönen Seiten unserer kurzen Beziehung. Wenn er lächelte, musste ich das immer automatisch auch tun und wenn er lachte, musste ich beinahe immer mit einstimmen. Selbst wenn nicht, war es schon schön genug, einfach nur sein Lachen zu hören, da es so melodisch wie ein Lied klang, das nicht jeder hören durfte. Nicht jeder hatte das Glück, ihn wirklich und ehrlich lachen zu hören oder zu sehen, und ich zählte es als Privileg, dass ich es immer wieder vernehmen durfte.
Bald schon erreichten wir mit der untergehenden Sonne im Rücken das Restaurant am See und setzten uns an einen Tisch nahe eines Fensters. Froh darüber, endlich im Warmen zu sein, ließen wir uns nieder und zogen unsere Jacken und Mützen aus. Völlig geschafft ließ ich meinen Blick kurz über den recht kleinen, aber gemütlichen, Raum schweifen. Auch hier war alles weitgehend mit Holz verkleidet, während dieses aber im Gegensatz zu dem im Ferienhaus dunkel war. Überall hingen Bleistift-und Acrylzeichnungen von der Landschaft, und vor Allem dem See, welche das Ambiente nur noch gemütlicher gestalteten.

Direkt nach unserer Ankunft kam eine alte Lady an unseren Tisch und überreichte uns zwei Speisekarten, die wir beide sofort aufschlugen. Die Wanderung hatte mir mehr abverlangt, als ich gedachte hatte, deswegen hatte ich in diesem Moment einen unheimlichen Hunger. Es war schon einige Zeit hergewesen, dass ich so ein Hungergefühl verspürt hatte; in den letzten zwei Wochen hatte ich nur gegessen, um zu funktionieren, nicht weil ich es wirklich wollte. In diesem Moment jedoch, an diesem schönen Ort, überlegte ich was ich essen würde, weil ich es wollte und Lust darauf hatte.

"Was möchtest du essen?", erkundigte sich Harry und blickte über seine Karte zu mir.
"Ich weiß es noch nicht so ganz.", gab ich unentschlossen zurück und ließ meinen Blick über die überschaubaren, doch unheimlich kostbar klingenden, Gerichte schweifen. "Was nimmst du?"
"Das Steak.", antwortete er grinsend und faltete das Papier in seinen Händen, um es wieder auf den Tisch legen zu können.
"Hm-mh.", machte ich und überlegte nochmal hin- und her, bis nur noch ein Salat und ein Burgerteller zur Auswahl standen. Normalerweise würde mir die Entscheidung leicht fallen, denn wenn ich in einem öffentlichen Restaurant war, kam gewöhnlicherweise nur Salat auf den Tisch. Das war eine der Sachen, die Steve mir wieder und wieder eingetrichtert hatte, damit ich meine Figur hielt. Doch Steve war nicht hier und ich nicht im Dienst, sondern im Urlaub. Im Gedanken an meinen Manager faltete auch ich meine Karte und legte sie auf den Tisch zurück. "Den Burgerteller."
Grinsend bestellte der Lockenkopf schließlich das Essen und je ein Bier für uns. Auf die Frage hin, ob ich denn schon einmal einen Rotwein aus Vermont probiert hätte, welche ich verneinte, orderte er jedoch eine Flasche davon anstatt des Biers.
Wir unterhielten uns ganz gut, auch als das Essen serviert wurde, und noch besser als sich der Wein nach und nach leerte. Damit einher ging auch die Ehrlichkeit in unserem Gespräch, durch welche ich erfuhr, dass Harry die Kellnerin des Hauses kannte und sie früher, wenn sie in Burlington im Urlaub gewesen waren, manchmal auf ihn und seine Schwester aufgepasst hatte. Mir rutschte jedoch auch heraus, dass ich mir manchmal ehrlich wünschte, nie berühmt geworden zu sein und somit auch ein ganz anderes Leben zu haben. Daraufhin verzog er kurz die Miene, ließ sich jedoch weiter nichts anmerken.

all you had to do was stayWhere stories live. Discover now