Kapitel 25

146 15 2
                                    

Unten angekommen ging ich nicht sofort zurück in den Saal, sondern versteckte mich auf der Toilette. Mein Spiegelbild sah mich total durcheinander an, sowohl von der äußeren Erscheinung als auch vom Blick selbst her. Meine Haare waren völlig durcheinander, genauso wie mein Make Up nach und nach immer mehr verschmierte, weil ich die Tränen, die mittlerweile meine Wangen hinunterliefen, nicht stoppen konnte.
Mein Herz schmerzte höllisch, was verdammt nochmal aufhören sollte. Ich war es leid, immer wieder so wegen ihm zu weinen weil es sich immer aufs Neue anfühlte, als würde das letzte ganze Stück des Scherbenhaufens, der mein Herz war, zugrunde gehen. Selbst wenn er oben auf dem Dach die Wahrheit gesagt haben sollte änderte das nichts an der Situation. Ich hatte genug geliebt und gelitten und wenn ich jetzt meinen Gefühlen folgte, die sich teils so sehr nach ihm sehnten, wäre das der erneute Untergang des geleckten Schiffes, auf dem wir standen. Außerdem hatte ich Adam an meiner Seite, der sich wirklich Mühe gab eine anständige und erwachsene Bindung zu mir aufzubauen. Er achtete auf mich, meine Bedürfnisse und Gefühle und hatte mich noch nie verletzt.
Von meiner Vernunft mehr oder weniger überzeugt richtete ich meine Frisur, wischte das verschmierte Make Up aus meinem Gesicht und ging erhobenen Hauptes zurück auf den Flur wo ich direkt Selena in die Arme rannte.

"Hier bist du.", stellte sie verwundert fest und fasste mich an den Schultern. "Ist alles okay? Wo warst du denn?"
"Kurz Luft schnappen und mich frisch machen.", gab ich zurück und setzte mir, in der Hoffnung dass sie mir glauben würde, ein Lächeln auf.
"Über eine halbe Stunde?", hakte sie ungläubig nach und musterte mein Gesicht etwas genauer. "Tay, hast du geweint?"
"Nein.", antwortete ich und wich ihrem vorwurfsvollen Blick aus. "Wo ist Adam?"
"Drinnen.", sagte sie und ließ von mir ab. "Du solltest vielleicht wissen, dass Harry gegangen ist."
"Okay.", murmelte ich und schluckte unmerklich, während ich mich daran machte, an ihr vorbeizugehen. Es war vermutlich besser, wenn er nicht mehr hier war.
"Ist wirklich alles gut?", hakte sie noch einmal nach und hielt mich am Handgelenk fest. "Du weißt, dass du mit mir immer reden kannst."
"Kann ich das?", fragte ich und zog die Augenbrauen nach oben. Ich wusste, dass sie das treffen würde, weswegen sie auch losließ. Einen kurzen Moment lang hielten wir noch Blickkontakt ehe ich mich wieder abwandte und in den Saal zurückging. Ich hatte wirklich keine Kraft, mich nach dem mit Harry auch noch mit Selena zu befassen. Nach unserem Streit hatten wir kaum gesprochen, da keine einsah ihren Standpunkt zu ändern oder sich zu entschuldigen und diesmal war wirklich nicht ich diejenige, die den ersten Schritt zu machen hatte.

Adam war schnell gefunden, denn er stand neben der Tür und verabschiedete sich gerade von Justin. Ich musste mich vergewissern, dass es das richtige war, wenn ich mich für ihn entschied und ging deswegen direkt auf ihn zu und griff nach seiner Hand, wobei es mir wirklich egal war, was die anderen davon denken würden.
"Können wir kurz wo hin gehen, wo wir ungestört sind?", flüsterte ich und sah erwartungsvoll zu ihm auf.
"Klar.", willigte er verwundert ein und folgte mir dann zum Flur, wo ich in den Hinterhof des Hauses führte. Ich kannte das Gebäude nicht wirklich, weswegen kaum ein anderer Ort für diesen Moment in Frage kam. Adam sah mich erwartungsvoll und ein wenig besorgt an, während ich unsere Finger mit einander verschränkte. "Was ist denn los, Taylor?"
"Du magst mich, oder?", fragte ich direkt heraus und blickte in seine hellgrünen Augen. Durch den Wind, der noch immer ging, bildete sich eine leichte Gänsehaut auf meinem Körper.
"Ja, natürlich.", gab er nach einigem Zögern zurück und lächelte etwas verlegen, wobei er sich gegen die Mauer hinter sich lehnte. "Sehr sogar."
"Dann komm her.", flüsterte ich und zog ihn zu mir, um meine Lippen auf seine zu pressen. Krampfhaft versuchte ich mein Herz zum schlagen zu bringen, ein Feuerwerk der Gefühle zu entfachen oder nur in irgendeiner Weise etwas zu spüren, doch nichts geschah. Vor Allem da Adam mich nach einigen Momenten der Verwunderung von sich löste und mein Gesicht erschrocken musterte.
"Was soll denn das, Taylor?", erkundigte er sich verwirrt und sah mich ebenso an. "Hast du getrunken?"
"Du sagtest du magst mich. Wieso willst du mich dann nicht küssen?", fragte ich gegen und verschränkte meine Arme vor der Brust. Wieso konnte mein bescheuertes Herz für jeden noch so großen Mistkerl aber nicht für jemanden, der so vollkommen wie Adam war, schlagen?
"Wir sind noch nicht so weit.", erklärte er und fuhr sich durchs Haar. "Du bist noch immer nicht über Harry hinweg und ich möchte solche Zärtlichkeiten erst mit dir teilen, wenn ich sicher sein kann, dass ich dich für mich habe. Wir haben doch beide beschlossen uns mit einander Zeit zu lassen, das war das was du auch wolltest."
Ich konnte nicht fassen was da passierte: Vor mir stand dieser makellose Mann, mit den besten Manieren und einem reinen Herzen und erklärte mir, dass er sich selbst mit dem Küssen Zeit lassen wollte und ich konnte einfach nicht mehr als höchstens Freundschaft empfinden. Egal wie sehr ich in diesem Moment versuchte, mehr zu spüren und den sagenumwogenen Funken zu finden, es wollte nicht klappen. Von mir selbst enttäuscht konnte ich ihm nicht einmal antworten, obwohl ich so vieles hätte sagen sollen.
"Harry.", wiederholte er leise und lenkte seinen Blick kurz zum Boden und dann wieder zu mir. "Hat das hier etwas mit ihm zu tun?" 
Auch darauf erwiderte ich nichts, doch die Tränen welche nach und nach über meine Wangen kullerten sprachen wohl Bände. So sehr ich mich auch bemühte eine passende Antwort zu finden; mir erschien keine richtig. Wenn ich die Wahrheit sagte, würde ich sie nicht erklären können und eine weitere Lüge hatte dieser ehrliche Mann nicht verdient. Er beobachtete mich eine Weile und wischte immer wieder das Wasser aus meinem Gesicht, bis er schließlich die Augen schloss.
"Das was du für ihn fühlst sind nicht nur Restgefühle, oder?", erkundigte er sich weiter und atmete tief ein. Die dauernde Stille zwischen uns war so schwer, dass sie mich beinahe erdrückte. Es war ungerecht vom Universum gerade uns beide unter diesen Umständen zu einander zu führen. Ich wusste, dass Adam perfekt für mich war und er mich auf Händen getragen hätte, wenn ich es zugelassen hätte. Er war so rücksichtsvoll und hatte Verständnis für mich obwohl ich ihm seit wir uns kannten nicht einen einzigen Grund dafür gegeben hatte, mir so viel zu schenken. Er war ein herzensguter Mensch, der es verdiente aufrichtig geliebt zu werden. "Du liebst ihn noch immer, nicht wahr?"
"Es tut mir so leid.", flüsterte ich und begann wieder stärker zu weinen. Ich weinte, weil es so wehtat und gleichzeitig befreiend war, es laut auszusprechen. "Ich wünschte wirklich, es wäre anders."
"Es braucht dir nicht leidzutun.", gab er überraschenderweise zurück. "Er war ja immer da. Von Anfang an hatte ich keine Chance und ich habe es einfach trotzdem versucht. Jeder Blinde kann sehen, dass dein Herz ihm gehört."
"Du verdienst das hier nicht.", antwortete ich. "Du verdienst jemanden, der dich ab dem ersten Augenblick von ganzem Herzen liebt und in deine Welt passt."
"Und du verdienst jemanden der deine Werte schätzt und dessen Vokabular über mehr als Schimpfwörter und Beleidigungen verfügt.", entgegnete er leise und strich eine meiner Haarsträhnen hinter mein Ohr. "Aber wir sind nicht die, die entscheiden wem wir unser Herz schenken. Diese Aufgabe bleibt dem Universum überlassen."
"Es tut mir trotzdem leid.", flüsterte ich und schniefte. Ich konnte es gar nicht oft genug sagen, denn eigentlich war mein Verhalten unverzeihlich. Adam aber blieb selbst zu diesem Augenblick noch immer der Gentleman der er eben war und zog mich behutsam in seine Arme. Das Schweigen, welches diesmal herrschte, war in keinster Weise unangenehm. Er beruhigte mich durch seine einfache Anwesenheit und die Wärme, die von seiner Umarmung  ausging. Wir standen noch eine ganze Weile schweigend, aber gemeinsam, in der Kälte, bis wir schließlich zurück zu den Gästen gingen, deren Anzahl sich in der Zwischenzeit um einiges reduziert hatte. Ed meinte, sie hätten versucht mich zu finden und als ich nicht aufgetaucht war, seien sie irgendwann gegangen.

"Ich werde jetzt auch aufbrechen.", bemerkte Adam und sah mich mit einem leicht geknickten Lächeln an. "Möchtest du, dass ich dich nach Hause bringe?"
"Nein, schon gut. Ich rufe mir nachher einfach ein Taxi.", gab ich zurück und nickte leicht, um ihm zu zeigen, dass es so wirklich in Ordnung war. "Freunde?"
"Gib mir Zeit, ja?", bat er und machte unabsichtlich mein schlechtes Gewissen noch größer. "Irgendwann sicherlich."
"Okay. Komm gut nach Hause.", murmelte ich und sah ihm dann dabei zu, wie er allein meine Überraschungsparty verließ.
Ed war sofort an meiner Seite und erkundigte sich nach mir, verstand, dass ich nicht darüber sprechen wollte und lenkte mich dann ab. Nach zwei weiteren Stunden verließen wir schließlich mit den letzten Gästen die Halle und obwohl Ed darauf bestand, mich nach Hause zu fahren, bestellte ich mir ein Taxi. Ich wollte nach diesem endlos scheinenden Tag nur noch für mich sein und darüber nachdenken, wie blöd ich war. Schließlich wartete er noch mit mir, bis er sicher sein konnte, dass ich auch in das Auto stieg und so hoffentlich auch wohl auf zu Hause ankam und brach dann parallel auch auf. Als ich der Innenstadt immer näher kam, sah ich den bunten Lichtern der Weihnachtsbeleuchtug der sowieso schon hellen Stadt dabei zu, wie sie an mir vorbeirasten und wurde plötzlich noch trauriger als ich sowieso schon war. Was zur Hölle war nur los mit mir? Ich hatte an diesem Tag ausnahmslos das richtige für mich und die Menschen um mich getan- wieso war ich verdammt nochmal nicht glücklich? Vor Allem als der Fahrer vor meinem Apartment halt machte, verstärkte sich das beklemmende Gefühl in mir, doch ich stieg trotzdem aus. Nachdem das Taxi wieder abgefahren war, konnte ich mich jedoch nicht dazu bringen, den Hof zur Haustür und schließlich zu meiner Wohnung zu gehen. Es ging schlichtweg nicht; dort würde mir die Decke bei all den Gedanken wahrscheinlich auf den Kopf fallen. Obwohl sich der Wind in den letzten Stunden nur noch verstärkt hatte und ich nur einen leichten Mantel trug, entschied ich mich dazu, noch ein wenig spazieren zu gehen. Frische Luft würde mir sicher gut tun und vielleicht brachte mich die nächtliche Ansicht dieser wunderschönen Stadt ja auf andere Gedanken, sodass ich später zumindest schlafen konnte.

all you had to do was stayWhere stories live. Discover now