Eine Stunde wartete ich darauf, dass Harry zurückkam, mich in den Arm nahm und mir sagte, dass alles okay war.
Nach zwei Stunden hoffte ich nur noch, dass er durch die Tür kam, damit ich wusste, dass er sich nicht in Gefahr brachte.
Drei Stunden nach seinem stürmischen Aufbruch räumte ich den Verbandskasten weg und rief Louis an, um rauszufinden, ob Harry vielleicht dort war.
Irgendwann gegen vier Uhr morgens, nach ungefähr viereinhalb Stunden, die ich allein war, ließ ich mich auf dem Sofa nieder und beschloss, die Tür so lange anzusehen, bis er endlich durch sie eintrat.Das verpasste ich aber offensichtlich, denn als ich, nachdem ich wohl doch eingeschlafen war, wieder aufwachte und durch die Wohung ging, um zu sehen, ob Harry zwischenzeitlich nach Hause gekommen war, fand ich ihn im Klavierzimmer. Er saß auf dem Hocker vor dem Piano und zog an einer Zigarette, als ich hinter ihn trat.
"Ich brauchte das jetzt", murmelte er bließ eine große Rauchwolke in den Raum.
"Schon gut", gab ich zurück und setzte mich neben ihn. Ich wusste sehr gut, dass es in diesem Moment nichts brachte, ihn zu fragen, wo er gewesen war, da so nur ein weiterer Streit entstanden wäre. Also blieb ich ruhig und wartete seine nächste Tat ab, um ihn nicht unnötig zu provozieren.
"Desmond", begann er nach einiger Zeit und drückte seine Zigarette auf dem Klavierdeckel aus. Die Art und Weise, wie er diesen Namen aussprach, hörte sich so verachtend an, dass mir eine Gänsehaut über den Körper lief. "Mein Vater, der keiner ist. Er ist ein Arschloch. Das war er schon immer, und das wird er immer bleiben. Meine Mum-"
Er atmete scharf ein, und da seine Hände wieder begannen, sich zu verkrampfen, nahm ich sie vorsichtig in meine und drückte sie leicht. Er sollte wissen, dass ich zuhörte, und dass ich bei ihm war.
"Sie hatte Krebs. Brust", erzählte er weiter. "Als er es erfuhr, haute er ab. Dieses miese Arschloch ließ sie mit Gemma und mir allein, um nicht die Kosten einer Behandlung tragen zu müssen. Nachdem sie viel zu oft an ihr herumgeschnitten hatten und so diese Krebsscheiße von ihr genommen hatten, war das Verfahren um die beschleunigte Scheidung vorbei - er hat alle verarscht."
Ich versuchte den Alkoholgeruch, den er beim Sprechen freisetzte, so gut wie möglich zu ignorieren und hielt seine Hände weiter fest. Vielleicht hätte er sich mir ohne die Drinks und die Zigaretten gar nicht erst anvertraut, deswegen wollte ich mich nicht darüber beschweren. Worte kamen selbst den lautesten Menschen manchmal nur schwer über die Lippen - als würde sich ihre gewöhnliche Stärke plötzlich gegen sie wenden.
"Ich war fünf", fuhr er nach einigen Augenblicken fort und lenkte seinen Blick auf das Piano vor uns. "Bis ich zu X-Factor ging, hat er sich keine Mühe gegeben, irgendeine scheiß Rolle in unserem Leben zu spielen, nicht einmal als Unterhaltszahler. Als er von meiner Audition hörte, tauchte er plötzlich mit einem beschissenen Vaterschaftstest auf, um zu beweisen, dass so etwas wie ich nicht sein Sohn sein konnte. Für ihn war die Tatsache peinlicher, dass ich Sänger werden wollte, als das, was er getan hatte."
Er hielt einige Augenblicke inne und strich über die Tasten vor ihm, ohne sie zu drücken. Es war, als wollte er sie provozieren, Töne von sich zu geben, wobei sie das gar nicht konnten, ohne von ihm dazu gebracht zu werden.
"Seitdem haben wir beide, schwarz auf weiß, die Bestätigung dafür, dass er mich gezeugt hat. Er hasst, was ich tue, und somit mich, was er mir bei jeder der wenigen Möglichkeiten, die er dafür bekommt, ins Gesicht klatscht. Nicht, dass mich seine Meinung auch nur einen feuchten Dreck interessiert, aber er glaubt eben alles aus den Zeitungsberichten, egal wie verdammt abwegig es ist. Deswegen will ich auch, dass du ihm kein verdammtes Wort über dich glaubst."
Harry ließ die Tasten vor ihm ruhen und drehte sich mit seinem ganzen Körper zu mir, um mich betrachten zu können. Durch die Dunkelheit der Nacht wurden unsere beiden Gesichter nur durch das gebrochene Mondlicht, das durch die Fenster schien, erleuchtet. Trotzdem konnte ich erkennen, wie ernst seine Gesichtszüge waren, als er wieder zu sprechen begann.
"Er lügt, wenn er sein scheiß Maul aufmacht", erklärte er etwas leiser. "Du bist nicht irgendein Blondchen, keine Bettgeschichte und keine einmalige Sache für mich. Du bist das einzige, in diesem beschissenen Leben und dieser schwarzen Welt-"
Er schloss die Augen und zog die Augenbrauen zusammen. Ich merkte genau, wie er mit sich rang, um die Wörter, mit denen er sich verletzlich machte, aussprechen zu können.
"Das für mich Sinn macht", sprach er weiter. "Lass dich von ihm nicht-"
So sehr ich es auch versuchte, in diesem Moment konnte ich ihn nicht mehr weitersprechen lassen. Ich wusste, dass ihm diese Worte nicht so leicht über die Lippen kamen, und ich war für jedes dafür dankbar, doch eben deswegen musste ich ihn einfach küssen. Ich musste ihm, in einer Sprache, die wir beide fehlerfrei beherrschten, zeigen, dass Desmond mich nie verunsichert hatte. Keins seiner Worte hatte nur die geringste Bedeutung für mich, denn die einzigen, die zählten, waren Harrys. Ich vertraute ihm mehr, als mir die Leute geraten hatten, und für mich zahlte sich das jeden Tag ein wenig mehr aus. Auch wenn wir beide in diesem Moment müde und geschafft vom Verlauf des Abends waren, war das zwischen uns war in diesem Moment lebendiger denn je. Harry erwiderte meinen Kuss sofort, und zeigte mir deutlich, dass er diese Art der Nähe in diesem Moment mehr brauchte, als etwas anderes. Deswegen ließ ich auch zu, dass er mich auf seinen Schoß zog und fest in seine Arme schloss, während sich unser Kuss weiter vertiefte. Meine Hände fanden den Weg in sein Haar, während seine meinen Rücken entlang wanderten und schließlich an meiner Taille Halt machten. Der Alkohol minderte seine Anziehungskraft kein bisschen, dafür aber seine Selbstbeherrschung erheblich. Uns war beiden bewusst, was er in diesem Moment wollte, und vielleicht sogar brauchte, während ich aber auch wusste, dass ich das noch nicht konnte.
"Baby", flüsterte ich, als ich mich vorsichtig von ihm löste, um in ansehen zu können. "Langsam."
"Dieses Arschloch", murmelte er und lehnte sich mit dem Kopf gegen meinen Brustkorb, während ich ihm einen Kuss ins Haar drückte. "Er hat dich verunsichert."
"Hat er nicht. Überhaupt nicht", widersprach ich ruhig und brachte ihn dazu, mir wieder ins Gesicht zu blicken. "Versprochen."
Das Mondlicht ließ seine Augen leuchten, wodurch sie sich total von ihrem Umfeld abhoben. Sie wirkten glasig und irgendwie leer, dennoch loderte deutlich Leidenschaft in ihnen auf.
"Lass uns schlafen gehen", schlug ich leise vor und stand auf, als er leicht nickte. Der Weg ins Schlafzimmer war nicht lang, dennoch griff er, sobald wir auf unseren Füßen standen, nach meiner Hand und umschloss sie fest mit seinen Fingern. Ich war froh, Harry bei mir zu wissen, weswegen ich nicht noch ein großartiges Theater wegen dem Abschminken anfing. Harry setzte sich, nachdem ich ihn dorthin navigiert hatte, auf das Bett und zog sein Shirt von seinem Kopf, um es mir hinzuhalten. Normalerweise trug ich seine Shirts gerne zum Schlafen, doch dieses roch, genauso wie er, unheimlich nach Rauch und Alkohol, weswegen ich es in den Wäschekorb stopfte, als er kurz nicht schaute. Stattdessen schlüpfte ich in eins aus seinem Schrank und ließ mich dann neben ihm im Bett nieder, wobei sich sofort seine Arme von hinten um mich schlossen und mich fest an sich drückten. Ich überlegte einige Augenblicke, ob, oder was ich noch sagen konnte, doch da hörte ich schon Harrys schwere Atmung, die verkündete, dass er eingeschlafen war. Ich lag noch einige Zeit wach und dachte über alles, was wir an diesem Tag erlebt hatten, nach, wobei sich mir eine Frage an diesem Abend nicht auftat. Für mich war nicht mehr in Frage zu stellen, was nur mit Harry los war, sondern wie ein Vater seinem Kind so eine Hölle auf Erden zumuten konnte.
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all you had to do was stay
Fiksi Penggemar"Es war nie leicht, und auch, wenn es so schwer war, war es das immer wert." Nachdem Harry Taylor betrogen hat, geht für sie eine Welt unter. Sie vergräbt sich in Selbstmitleid und Einsamkeit, bis ihre Freunde sie schließlich dazu bringen, zurück in...