"Roger?", platzte ich geschockt hervor und ging unwillkürlich einen Schritt zurück, wobei mich die glasigen Augen des wüsten Mannes verfolgten. Seine schwarzen Haare hingen wirr in sein Gesicht und bildeten mit dem unregelmäßig gestutzen Bart eine Einheit. Was zur Hölle wollte er hier?
"Ich kann mich nicht daran erinnern, mit Ihnen vereinbart zu haben, dass wir uns dutzen.", gab der unordentliche Mann hochnäsig zurück und glättete sein verknittertes, nicht zur Hose passendes, Jacket.
"Was wollen sie hier?", erkundigte ich mich noch immer total fassungslos und sah mich so unauffällig wie möglich nach Harry um. In Rogers Gegenwart fühlte ich mich nicht nur unwohl, sondern aufgrund seines Auftretens auch unheimlich verängstigt.
"Ach, nur etwas essen. Ich hoffe sie haben mich nicht vergessen, denn es kann sein, dass ich ihnen jetzt öfter über den Weg laufe.", erklärte er ekelhaft ruhig, kam einen Schritt näher und begann zu flüstern. "Ich habe nicht vergessen, dass deine Aussage mich in den Knast gebracht hat, Schlampe."
"Apropos Gefängnis: Die Polizei wird sich freuen, wenn sie erfährt, dass du geflohen bist. Das macht noch ein paar Monate.", antwortete ich möglichst ruhig und schluckte, da ich deutlich riechen konnte, dass er schon wieder getrunken hatte.
"Ich glaube nicht.", bemerkte er. "Ein Kumpel hat mich rausgekauft. Vielleicht kennst du ihn, er war auf vielen Partys wo du auch warst. Erinnerst du dich an Halloween? Schade, dass er dich betrunkenes Flittchen mit seinen Zündspielen übersehen hat."
Glücklicherweise kam genau in diesem Moment, welcher mich sprachlos ließ, Harry mit unseren Mänteln zurück und unterbrach diese grauenhafte Unterhaltung.
"Was ist hier los?", erkundigte sich Harry, wobei ich seiner Stimme schon anmerkte, dass er innerlich angespannt war. Wenn er nur wüsste, wer da stand und was er getan hatte.
"Nichts.", gab der Verbrecher daraufhin zurück und drehte sich mit einem falschen Lächeln zu meinem Begleiter um. "Ich kenne Mrs. Swift und ihre Familie, vor allem ihre kleine Nichte, schon sehr lange und gut und habe mich gefreut sie zu sehen."
"Wie schön.", antwortete Harry tonlos und reichte mir meine Jacke. "Und jetzt verpiss dich, du Sack."
"Wie sie wünschen.", willigte Roger ein, trat einen Schritt zurück und wandte sich kurz noch einmal mir zu. "Grüßen sie Nina recht herzlich von mir."
Erst dann wandte sich der Alkoholiker von uns ab und ging seelenruhig ins Innere des Lokals während ich mich anzog und Harry so schnell wie möglich nach draußen schob. Ich musste so schnell wie möglich so weit wie möglich von diesem ekelhaften Menschen weg. Seine ganzen Worte hatten mich mehr als beunruhigt, vor allem die über Halloween und meine Nichte. Woher wusste er von ihr, meiner Aussage und lag das Feuer tatsächlich in seinem Schuldermessen? Wollte er mir mit der Bemerkung zu Nina drohen?
"Tay?", hakte Harry nach. "Hey, ist alles okay?"
"Ja.", gab ich aus meinen Gedanken erwachend zurück. Als ich mich umsah bemerkte ich, dass wir in seinem Wagen, vor dem Gebäude, saßen.
"Wann lernst du wohl, dass du mich nicht anlügen kannst?", erkundigte sich Harry seufzend und wandte sich mir zu.
"Können wir bitte fahren?", fragte ich gegen und fixierte meine blassen Finger, die auf meinem Schoß lagen. "Ich möchte hier weg."
Zwar passte es ihm nicht, dass ich nicht darüber sprechen wollte, doch zu meiner Überraschung startete er ohne zu Zögern den Wagen, während ich mein Handy herausnahm und die Nummer meiner Tante wählte. Diese hob zum Glück direkt ab und beruhigte meine dünnen Nerven mit Versprechungen darüber, dass es Nina gut ginge und ihr absolut nichts fehlte. Als ich schließlich schon eine Spur ruhiger auflegte parkte Harry gerade vor einer Burgerbude und drehte sich, sobald er den Wagen abgestellt hatte, wieder zu mir. Seine Gesichtszüge zeigten Besorgnis und eine Spur von Wut, während ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
"Bitte rede mit mir.", forderte er und sah mich genau an, wobei ich deutlich spürte, dass er sich mit allen Mitteln zusammen reißen musste. "Oder ich drehe sofort um und verprügel diese Flasche."
"Nein.", stieß ich geschockt hervor. Wenn er das täte, wäre Roger nicht mehr zu halten und das war etwas, dass ich auf keinen Fall erleben wollte. "Bitte, tu das bloß nicht."
"Also?", erkundigte er sich weiter. "Verdammt, ich seh doch, dass du vor diesem Kerl Angst hast. Was hat er dir getan?"
Langsam wurde mir bewusst, dass ich nicht darum herumkam mich ihm anzuvertrauen, also atmete ich tief durch, schnallte mich ab und wandte mich so, dass er meine rechte Gesichtshälfte sehen konnte. Mit einem Papiertaschentuch wischte ich ein paar mal über meine Wange und entfernte so Schicht für Schicht das Make Up, welches ich früher an diesem Abend so sorgfältig aufgetragen hatte. Mein Herz schlug wie verrückt, denn ich war mir nicht sicher, ob die Wahrheit seine Wut lindern würde.
"Siehst du diese Narbe?", fragte ich leise und schloss die Augen, als er seine Finger vorsichtig darüber streichen ließ. Er sagte kein Wort, da er auf weitere von mir wartete, weswegen ich noch einmal tief Luft holte, meinen Mantel und meine Strickjacke auszog und ihm dann meine Arme entgegen hielt. "Und diese hier?"
Beim Anblick der vielen viel stärkeren Narben hörte man ihn deutlich schlucken, was ich ihm nicht übel nehmen konnte. Mir wurde selbst ja immer ganz unwohl, wenn ich mich so ansehen musste.
"Hast du etwa-", begann er.
"Nein.", gab ich zurück und unterbrach ihn somit. "Das war Roger."
Und dann erzählte ich ihm die Geschichte von Abby, wie sie zu mir gekommen war, wie Roger dazu kam und was nach dem Überfall alles passiert war bis zum aktuellen Zeitpunkt hin. Ich verschwieg ihm keins der Details, und erlaubte ihm somit Einblick in eine meiner schlimmsten Ängste und eins der schlimmsten Dinge, die ich in meinem bisherigen Leben erfahren hatte. Meine ganze Schilderung ließ sogar den großen Harry Styles für einen kurzen Moment sprachlos, doch es dauerte nicht lange, bis er sich wieder gefangen hatte.
"Dieses miese kleine Arschloch.", zischte er wütend, schloss die Augen und legte die Hände wieder ans Lenkrad. "Soll ich dich zur Polizei fahren oder dem Volltrottel selbst beibringen, wie man sich zu verhalten hat?"
"Wir tun gar nichts.", beschloss ich leise und zog mich wieder an, während Harry den Kopf schüttelte. "Das beste ist, so leere Drohungen einfach zu ignorieren. Wir lassen uns den schönen Abend nicht ruinieren und vergessen ihn einfach. Er war betrunken, vielleicht hat er ja nicht gewusst, was er da genau sagte."
"Keine Chance.", gab er fest entschlossen zurück. "Du wärst bei dem Feuer damals fast von einer Lampe getroffen worden, hätte ich dich nicht zur Seite gezogen. Der ist gefährlich."
"Und wenn schon.", murmelte ich. "Ich möchte ihn nicht unnötig provozieren. Wir warten ab, was geschieht, und machen uns nicht verrückt. Bitte."
"Du bist in Gefahr.", bemerkte er ernst.
"Nicht so lange du bei mir bist.", antwortete ich. "Wir haben so wenig Zeit miteinander, bitte mach sie nicht kaputt. Ich kümmere mich darum, wenn du wieder weg bist."
"Versprichst du mir das?", hakte er nach und wurde langsam ruhiger, was sich noch verstärkte, als ich seine Hand in meine nahm.
"Ja.", gab ich zurück; wohl wissend, dass ich ihm direkt ins Gesicht log.
Doch meine Idee zog, denn er ließ sich besänftigen und führte mich schließlich trotz seiner Wut noch in die Burgerbude aus, wo wir auch in unserer feinen Abendgarderobe beherzt Cheeseburger und Cola zu uns nahmen. Die miese Stimmung war schnell verschwunden, denn wir lachten viel und ehrlich über verschiedenste Sachen und redeten auch über völlig normale Dinge. Wir genossen unsere Zeit in vollsten Zügen, und mit jeder Minute fühlte ich mich wohler in Harrys Nähe. Es war als könnte ich alle schlechten Ereignisse und den Stress aus meinem Leben ausschließen, wenn er nur da war und sein wundervolles Lachen lachte.
"Danke übrigens für das schöne Kleid und den Duft.", brachte ich irgendwann hervor, als er sich gerade gefühlte Tausend Fritten in den Mund schob. Meine Bemerkung ließ ihn kurz stocken und dann schnell kauen und schlucken, woraufhin er sich räuspern musste und ich zu kichern begann. "Wie kam ich zu der Ehre eines so wertvollen Geschenkes?"
"Weißt du noch damals in Cannes? Als wir uns nach dieser Preisverleihung total gestritten haben?", fragte er mit einem plötzlich ernstem Unterton und spülte die Pommes mit ein wenig Cola runter.
"Wie könnte ich so etwas vergessen?", murmelte ich etwas mürrisch, da die Erinnerungen daran für mich nicht unbedingt gut waren.
"Du hast zu mir etwas gesagt, das mir zu denken gegeben hat.", bemerkte er. "Ich hätte dir nie einen Grund gegeben, dich für mich schön zu machen und dich sowieso nie ausgeführt."
"Das war doch nur-", setzte ich zu einer Entschuldigung an, wurde jedoch direkt wieder von ihm unterbrochen.
"Die Wahrheit. Und jetzt wollte ich eben von Anfang an alles richtig machen.", erklärte er weiter. "Und es ist okay, dass es dir nicht gefallen hat. Jetzt ist das für mich immerhin geklärt."
"Es hat mir gefallen.", protestierte ich. "Es passt nur überhaupt nicht zu uns. Das ist es doch was uns ausmacht: Gemeinsam können wir unserem Wohlstand, dem Ruhm und der Aufmerksamkeit der Welt entfliehen."
Als er darauf nichts erwiderte und auch meinen Blicken auswich, fiel mir eine Parallele auf, die es lieber nicht geben sollte.
"Du hast das wegen Adam getan oder?", erkundigte ich mich und schlug meine Beine übereinander. "Weil er sowas dauernd für mich getan hat."
"Das hatte mit diesem Warmduscher überhaupt nichts zu tun.", murmelte er und zog seine Krawatte etwas lockerer. "Ich habe das getan, weil ich dich nicht mehr für garantiert nehme und dir das verdammt nochmal zeigen wollte."
Obwohl Harry in diesem Moment sehr verbissen und verärgert wirkte konnte ich bei seinem Anblick nur lächeln. Er schien wirklich an sich gearbeitet zu haben, denn früher hätte er so etwas niemals getan oder zugegeben; er war viel ehrlicher und einfühlsamer als sonst. Als ich ihn in diesem Moment so ansah, verstand ich erst, wie wichtig er mir war. Mir lag nicht nur was an dem Harry, der mich zum lachen bringen konnte und der mir Einblick in die Welt eines normalen Menschen gab, obwohl er selbst keiner war, sondern auch an dem Harry, der verärgert war und wütend um sich schlug, sei es verbal oder wirklich. Harry bedeutete mir mehr als ich die ganze Zeit gedacht hatte, und es tat nicht einmal weh, das vor mir zuzugeben.
"Ich weiß das zu schätzen.", gab ich lächelnd zurück und griff nach seiner Hand, welche auf dem Tisch lag. Augenblicklich riss er seine Augen auf und sah sich vorsichtig nach möglichen Tischnachbarn oder Paparazzis um, während ich mich ganz ruhig nach vorne lehnte und mit der anderen Hand auf meinem Knie abstützte.
"Du weißt schon, dass wir hier gesehen werden können, oder?", hakte Harry verwirrt nach.
"Ja.", gab ich sicher zurück und zuckte mit den Schultern. "Ich habe aber gerade keine Lust mich zu verstecken."
Das Lächeln, welches dann auf seinen Lippen erschien, schrieb Bände. Von da an wurden die Unterhaltungen wieder weniger ernst und leichter, wir lachten mehr und verließen schließlich nach Mitternacht irgendwann den Imbiss. Die Nacht wurde immer kälter, was durch den fallenden Schnee logisch zu erklären war. Doch als wir uns auf den Weg zum Auto machten schien es ganz so, als zöge ein leichter Schneesturm auf, denn ein kalter Wind jagte mir eine Gänsehaut über den Körper. Auch in Harrys Wagen war es kein bisschen wärmer, nicht einmal als er die Heizung anstellte und seine rechte Hand nach dem Schalten auf meinem Oberschenkel ablegte. Es war lange hergewesen, dass er das getan hatte, doch es fühlte sich schön und vertraut an. Er brauchte mich nur zu berühren, damit ich mich in seiner Gegenwart sicherer und beschützt fühlte. So fuhren wir mit "One More Night" von Maroon 5 im Hintergrund zurück, durch New York, zu meinem Apartment, wobei sich eine Zeile des Textes für mich deutlich heraushob:
"But baby there you go again, there you go again making me love you"
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all you had to do was stay
Fanfiction"Es war nie leicht, und auch, wenn es so schwer war, war es das immer wert." Nachdem Harry Taylor betrogen hat, geht für sie eine Welt unter. Sie vergräbt sich in Selbstmitleid und Einsamkeit, bis ihre Freunde sie schließlich dazu bringen, zurück in...