Kapitel 21

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Bereits um sieben Uhr des nächsten Morgens starrte ich den Radiowecker neben meinem Bett an und dachte über das nach, was in der vorhergegangenen Nacht passiert war. Die Schlägerei war sicher eine Sache über die ich mit ihm reden musste, doch was war mit dem Kuss? Vermutlich sollten wir auch darüber sprechen, konnten wir sowas aber vernünftig?

Sollen und Können waren schon immer zweierlei Dinge gewesen, wenn es um uns beide gegangen war.
Hatten wir einander lieben sollen? Nein. Hatten wir einander lieben können? Und wie.
Hatte ich mit ihm zu diesem Wochenende aufbrechen können? Offensichtlich ja. Hatte ich das tun sollen? Vermutlich nicht.
Das was einer von uns wollte entsprach nie dem, was beide sollten, genauso wie nie das was wir sollten, dem entsprach was wir wollten.

Völlig verwirrt von meinen eigenen Gedanken richtete ich mich schließlich auf und fuhr mir durchs Haar. Mir tat plötzlich alles weh; meine Gliedmaßen, mein Kopf, mein Rücken und mein Herz. Alles am vorherigen Tag hatte alte Erinnerungen aufgebracht, und zwar solche, die ich gedacht hatte für immer verdrängt zu haben, weil ich genau wusste, dass ihre Schönheit mehr schmerzte als irgendetwas Anderes.

Da meine nackten Zehen auf dem kalten Holzboden aufkamen durchfuhr mich ein Schauer, was mich aber nicht davon abhielt, auch noch den Rest meines Körpers aus dem Bett zu hiefen. Ich brauchte diese offensichtlich realen Gefühle, das unangenehme Kribbeln in meinen Zehen und die Gänsehaut, die sich gebildet hatte, als Ausgleich zu dem Haufen von wirklichen und unwirklichen Emotionen in meinem Kopf. Jedoch hielt ich meine eigene Therapie nicht lange aus, weswegen ich mir ziemlich schnell einen Pullover und eine Leggins schnappte und damit im Badezimmer verschwand. Glücklicherweise schien Harry schon den Kamin geheizt zu haben, denn die Fliesen dort waren nicht ganz so kalt. In Rekordzeit schälte ich mich aus den vielen Schichten an Klamotten und hüpfte unter das heiße Wasser, welches mich sofort wärmte.

Nachdem ich meine Dusche vollkommen ausgekostet hatte zog ich mich so schnell es ging wieder an und föhnte meine Haare. Trotz den vielen Stofflagen an meinem Körper begannen meine Hände bereits beim Versuch, mich zu schminken, wieder zu zittern. Ein wenig genervt davon deckte ich nur schnell das Nötigste ab und machte mich dann auf den Weg zu Harrys Zimmer, um zu sehen ob er nicht doch vielleicht noch schlief. Außer einem unordentlichen Bett und einem mit Kleidung bedeckten Fußboden fand ich allerdings nichts, weswegen ich dann direkt ins Untergeschoss ging. Dort hörte ich aus der Küche Geräusche, und als ich ihnen folgte, kam ich auch zu Harry.
Er hantierte mit diversen Pfannen und Lebensmitteln, wobei ihm eins der Gerichte schon wieder anzubrennen schien.
"Wenn etwas statt braun schwarz wird, ist es meist dabei anzubrennen.", bemerkte ich und ging zum Herd, um die betreffende Platte abzustellen. Er war so konzentriert auf das Kochen gewesen, dass er meine Anwesenheit gar nicht bemerkt hatte und ihn ein kleiner Schreck durchfuhr, als ich plötzlich neben ihm stand. "Regel Nummer eins für Nichtkocher."
"Ouh.", machte er und grinste leicht. "Danke, Tay."
"Was soll das denn werden?", erkundigte ich mich grinsend und lehnte mich gegen einen der Schränke.
"Eigentlich ein Überraschungsfrühstück für dich.", erklärte er und verzog das Gesicht ein wenig. Obwohl es ihm augenscheinlich nicht passte, dass sein Plan nicht aufgegangen war, schwang etwas fröhliches in seiner Stimme mit. "In zehn Minuten bin ich fertig."
"Danke.", murmelte ich und verschränkte meine Arme.
Ich sah ihm einige Momente bei seinem Tun zu, bis es mir unangenehm wurde und ich mich dazu entschied ihn allein zu lassen. "Ich, ehm, ich schüre noch ein wenig nach.", entschied ich und deutete auf den Kamin. Ohne seine Antwort abzuwarten ging ich ins Wohnzimmer zurück und machte mich daran, Holz nachzulegen. Mir war klar, dass ich Harry ziemlich bald auf das Vorgefallene ansprechen musste, wenn ich die nächsten Stunden nicht damit verbringen wollte peinlichen Smalltalk zu führen. Nur wie erklärt man etwas, was man selbst nicht versteht?
Als ich den letzten Holzscheitel ins Feuer legte, stellte der Lockenkopf gerade ein vollbepacktes Tablett auf dem Sofatisch ab. Während ich meine Hände an einem Tuch abwischte stand ich auf und sah zuerst zum Essen und bedankte mich dann bei ihm.
Wir ließen uns zusammen auf der Couch nieder und nahmen jeweils einen Teller mit beinahe nicht angebrannten Käsetoasts und eine Tasse Tee. Bevor die Stille, die herrschte, noch peinlicher werden konnte, ergriff ich das Wort.
"Wir müssen reden.", beschloss ich laut und sah dann zu ihm auf. Ihm stand ins Gesicht geschrieben, dass er wusste, was kommen würde. "Wieso hast du dich mit diesem Kerl geschlagen?"
"Du bist im Urlaub und weder er noch seine Freundin wollten akzeptieren, dass du das bist.", antwortete er. "Ich habe das mit diesem Wochenende auf die Beine gestellt, damit du auch einmal du sein kannst. Die Taylor, die nur wenige, und schon gar nicht das Rampenlicht, kennen. Du solltest von deinem Job Abstand bekommen nicht von so einem Arschloch provoziert werden."
"Sie wollte aber doch nur ein Autogramm.", gab ich zurück. "Eine Sache von ein paar Sekunden. Das wäre für mich okay gewesen."
"Hm-mh.", machte er und fuhr sich durchs Haar.
"Du kannst nicht immer versuchen mich zu beschützen.", erklärte ich weiter. "Vor Allem nicht vor meinen Fans."
Als er auch darauf nichts sagte, konnte ich ein Seufzen nicht mehr unterdrücken. Das nächste Thema würde nicht minder unangenehm werden.
"Und wegen dem, was danach passiert ist-", fuhr ich fort, kam jedoch nicht weit, weil er mir sofort ins Wort fiel.
"Du meinst der Kuss?", hakte er nach und sah mich nüchtern an. "Du kannst es ruhig beim Namen nennen."
"Ja.", gab ich nickend zu. "Wir hatten beide etwas getrunken und dadurch sind vielleicht alte Gefühle hochgekommen. Können wir das einfach vergessen und so weiter machen wie vorher, als Freunde?"
Er ließ sich bei seiner Antwort Zeit, und mit jeder weiteren Sekunde die verstrich wurde ich unruhiger.
"Hast du bei all dem nichts gespürt?", hakte er nach und sah mich direkt an. "War es nur der Wein?"
"Ich denke, dass der Alkohol dazu beigetragen hat, alte Gefühle wieder aufzuwühlen.", gab ich zurück und versuchte so ehrlich wie möglich zu wirken. "Wie schon gesagt."
"Ich habe gefragt, was du gefühlt hast und nicht was du denkst.", bemerkte er und rückte ein Stück näher. "Hast du nichts gespürt als wir uns geküsst haben?"
Sein Gesicht war jetzt wieder ganz nahe, so nahe, dass ich deutlich seinen Atem auf meinen Wangen spürte und ich direkt in seine tanngrünen Augen blicken konnte.
"Wir sollten so etwas nicht tun.", entgegnete ich und versuchte so, seiner Frage zu entkommen.
"Antworte mir.", verlangte er und biss sich auf die Lippe.
"Nein.", erwiderte ich und wich, sofern es mir möglich war, seiner Nähe aus. "Ich habe nichts gespürt, außer dem Kuss meines besten Freundes, der zugleich mein Exfreund ist. Nichts weiter."
"Bist du ehrlich zu mir?", bohrte er weiter nach und tat einen Teufel, Abstand zu mir zu halten.
"Ja.", gab ich zurück und atmete ein wenig auf, als er sich langsam von mir entfernte.

all you had to do was stayWhere stories live. Discover now