Kapitel 27

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Ich war schon lange vor Harry wieder wach und spekulierte über die verrücktesten Sachen. Immer wieder spielten sich die vergangenen Tage vor meinen Augen ab und mit jedem Mal schmerzte mein Herz mehr bei dem Gedanken, dass der junge Brite es schon wieder geschafft zu haben schien, die vielen Mauern die ich zum Schutz meines Herzens errichtet hatte, einzureißen. Wie oft hatte ich mir geschworen, nie wieder jemandem wie ihm Einblick in meine Gefühle zu gewähren und hier war ich und lag neben ihm auf dem Sofa, wo wir beide schliefen. War es überhaupt Liebe, wenn es so sehr schmerzte?
Ein leises Seufzen hinter mir riss mich schließlich aus meinen Gedanken und ließ mich schließen, dass auch Harry langsam wach wurde. Ich gab ihm einige Momente, um endgültig aus der Traumwelt zu kommen, und atmete dann tief ein.
"Harry?", fragte ich nur für den Fall, dass er doch noch schlief, recht leise.
"Hm?", murmelte er und lockerte seinen Griff um meine Taille ein wenig. Plötzlich spannte sich in mir alles an, denn in der Zwischenzeit war mir klar geworden, dass es neben den Tausenden anderen Sachen die wir zu bereden hatten, eine gab, die elementar war. Würde ich nicht bald Gewissheit darüber haben, würde ich niemals eine erwachsene Entscheidung über das mit uns fällen können.
"Darf ich dich was fragen?", erkundigte ich mich und versuchte meinen Herzschlag, welcher immer schneller wurde, zu regulieren.
"Immer.", gab er zurück und richtete sich halb auf um mein Gesicht genauer betrachten zu können. Noch konnte ich mich ihm nicht zuwenden, da ich mich vor seiner Reaktion und, vor allem, seiner Antwort fürchtete.
"Hast du wirklich keinen Kontakt mehr zu Cara?", hakte ich nach und schluckte leicht. "Also, kannst du mir schwören, dass es so ist?"
"Natürlich.", gab er ohne zu zögern zurück und sprengte in mir die Anspannung, die ich über die letzten Stunden aufgebaut hatte. Es war nur ein weiteres seiner Worte, welches wahr oder falsch sein konnte, aber es nahm mir jeden Ballast. Anscheinend bemerkte er die Erleichterung, die mich überkam, denn er griff vorsichtig nach meiner Hand und drückte diese leicht. "Hat dich das jetzt die ganze Zeit beschäftigt?"
"Vielleicht.", gab ich zurück und drehte mich auf den Rücken, um ihn ansehen zu können. Seine Augen leuchteten mir ehrlich entgegen und versuchten sofort, in meinem Gesicht Antworten zu finden.
"Tay.", flüsterte er liebevoller denn je und strich mit seiner Hand über meine Wange. Unwillkürlich schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen, weil mich schon wieder eine unheimliche Wärme erfüllte. "Ich schwöre dir, dass ich keinen Kontakt zu ihr hatte, außer auf diesen verdammten Partys. Und selbst da bin ich ihr und ihrer scheußlichen Visage aus dem Weg gegangen."
"Okay.", antwortete ich nach kurzem Zögern und versuchte mich davon zu überzeugen, dass ich ihm vertrauen konnte. Harry war trotz allem mein bester Freund und hatte mich außerdem die ganze Zeit über nie belogen, außer in dieser einen Nacht. Sein forschender Blick fing meinen genau im richtigen Moment auf, denn er nahm das letzte Bisschen meiner Zweifel von mir.
"Das war nicht alles.", stellte er fest. "Erzähl mir, was dich noch belastet."
Gerade als mich Panik überkam, weil ich nicht wusste, wie ich meine anderen Gedanken in Worte fassen sollte, schaltete sich mein Magen ein. Er knurrte laut und veranlasste uns beide dazu, zunächst darüber zu schmunzeln und schließlich in schallendes Gelächter auszubrechen.
"Ich habe offensichtlich Hunger.", erklärte ich kichernd und deutete auf meinen Bauch. Harry richtete sich in der Zwischenzeit komplett auf und lenkte seinen Blick auf die unappetitlichen Pancakes, was ich ihm nachtat. Wir konnten beide nicht anders als noch mehr zu lachen, da wir offensichtlich keine Lust auf das verbrannte Gut hatten und sie, nicht mehr komplett müde betrachtet, wirklich mickrig aussahen. Es war schön auch mal einfach mit Harry zu lachen, anstatt dauernd zwischen den Welten herzuspringen und über Ernstes zu reden.
"Ich habe sicher noch eine Tiefkühlpizza im Gefrierschrank.", bot ich grinsend an und deutete auf den Versuch eines Frühstücks.
Schließlich brachten wir die zwei unangerührten Teller zurück in die Küche, räumten sie dort auf und kümmerten uns dann gemeinsam um die Pizza. Trotz seiner ständigen Präsenz kehrten meine Gedanken jedoch immer wieder zu den zwischen uns liegenden Problemen zurück, sodass ich mich nicht mehr wirklich konzentrieren konnte. Wir redeten kaum, selbst als wir schließlich begannen zu essen, was auch ihm aufzufallen schien. Doch wie konnte ich ihm erklären, dass ich vor meinen Gefühlen zu ihm tatsächlich Angst hatte? Als ich kurz meinen Blick zu ihm lenkte, begannen wir beide zu lächeln. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck von Harry, wenn seine grünen Augen auf meine Lippen starrten und sein Grinsen schief wirkte.
"Hör auf mich so anzusehen.", verlangte ich und biss von meinem Pizzastück ab.
"Wie denn?", erkundigte er sich amüsiert und zeigte seine Grübchen, die ich so mochte.
"Als würdest du mich gleich küssen wollen.", gab ich zurück. "Wir können das nicht immer so weiter machen, solange nicht klar ist, was das hier überhaupt ist."
"Dann lass uns darüber reden und es aus der Welt schaffen.", schlug er vor, griff nach dem Barhocker auf dem ich saß und drehte mich so zu sich, dass ich ihm direkt gegenüber war.
"Das ist nicht so einfach. Das war es nie.", bemerkte ich.
"Wieso machen wir es dann nicht einfach? Ich fange an.", gab er zurück und nahm meine Hände in seine. "Ich stehe zu allem, was ich heute getan und gesagt habe und wiederhole es gern noch einmal. Ich liebe dich, Taylor, und ich bitte dich um eine zweite Chance. Ich verspreche dich so zu behandeln wie du es verdienst, und ich weiß, dass wir es schaffen können. Du kannst mir vertrauen."
"Es ist nicht, dass ich dir nicht vertraue.", erklärte ich und wurde mit jedem Wort leiser. "Aber seit dieser Nacht fühle ich mich unsicher. Ich habe Angst vor einer weiteren Enttäuschung, schätze ich."
"Ich habe mich geändert.", merkte er an und legte seine Hände an meine Wangen. "Vielleicht bin ich nicht perfekt, aber für dich habe ich alles getan und werde ich alles tun, um so nahe wie möglich dahin zu kommen."
Es war das dritte Mal an diesem Tag, dass Harry mich mit seinen Worten oder Taten überraschte. Noch nie hatten wir so ein ehrliches Gespräch geführt und vielleicht hatte er ja Recht, vielleicht hatte er sich wirklich geändert. Sein Verhalten zumindest ließ einen das leicht glauben. Als ich ihn in diesem Moment ansah, kamen mir Eds Worte wieder in den Sinn. Ich liebte Harry, und er schien mich zu lieben, und selbst wenn es schwer werden würde musste ich uns einfach diese Chance geben.
"Okay.", flüsterte ich.
"Heißt das du nimmst mich zurück?", fragte er hoffnungsvoll und lächelte begeistert.
"Das heißt, dass wir sehen, was die Zukunft bringen wird.", antwortete ich ehrlich und stand von meinem Sitz auf, um näher zu ihm gehen zu können. "Wir überstürzen nichts und geben einander Zeit."
Allem Anschein nach reichte ihm diese Antwort zumindest fürs Erste, denn er sprach das Thema nicht mehr an und lächelte lediglich glücklich über meinen Entschluss. Zumindest nahm ich an, dass es an meiner Entscheidung lag.
Nachdem wir unser Mahl beendet hatten warfen wir uns noch aufs Sofa und schauten verschiedene Serien. Doch wie immer, wenn ich mich eben damit abgefunden hatte, dass es gut war, Harry bei mir zu haben, endeten auch diese Momente viel zu schnell und er musste zum Flughafen aufbrechen. Natürlich wollte ich ihn nicht von seiner Arbeit abhalten, aber ich hasste es einfach, dass immer einer von uns gehen musste, wenn ich gerade damit begann, mich bei ihm wohlzufühlen.
Als er schließlich ging, räumte ich noch ein wenig auf und versuchte mich so und mit einer heißen Dusche abzulenken. Glücklicherweise gelang mir das mehr oder weniger, sodass ich an diesem Abend sogar einigermaßen entspannt einschlafen konnte. In der folgenden Woche fiel mir beinahe alles einfacher, als zuvor: Mir machte das Tanztraining Spaß, ich beherrschte die Schrittfolgen immer besser und ließ sogar Steves Gemeckere über mich ertragen. Da Ed wegen eines Unfalls seiner Mutter zurück nach England reiste, gab es sogar einige freie Stunden zwischen den hektischen Tourvorbereitungen und so hielt ich mich oft in Einkaufsstraßen auf. Weihnachten war nur noch zwei Wochen entfernt und bisher hatte ich keine Zeit gehabt, auch nur daran zu denken, weswegen ich noch keinerlei Geschenke gekauft hatte. Zum Glück schneite es oft und viel, sodass zumindest langsam Weihnachtsstimmung aufkam, wobei auch immer mehr Einladungen zu Wohltätigkeitsveranstaltungen und Weihnachtsbällen bei Steve eingingen und so die barmherzigste Zeit des Jahres ankündigten. Obwohl ich es einfach lächerlich fand, dass die Welt anscheinend nur im Dezembermonat an die Armen und Benachteiligten dachte, lief ich über so viele rote Teppiche wie möglich und grinste mit den anderen Berühmtheiten um die Wette. Ich sang Weihnachtslieder, überreichte Preise, traf die Gesichter berühmter Stiftungen und reiste deswegen auch in verschiedenste Städte der Vereinigten Staaten. Während dieser Zeit schrieb ich so viel wie nur möglich mit Harry. Wie sich herausstellte, würde ich ihn so schnell nicht wieder sehen, da One Direction ausschließlich Pressetermine in Europa hatte. Harry fehlte mir irgendwie, und ich wusste nicht, ob das gut war. Ich wollte ihm zwar wirklich eine zweite Chance geben und fühlte mich dabei auch einigermaßen wohl, doch es machte mir noch immer schreckliche Angst, mich ihm zu öffnen. Außerdem plagten mich unheimliche Schuldgefühle wegen der Sache mit Adam, denn von ihm hörte ich in dieser Woche kaum und er fehlte mir als Freund und Stütze unheimlich. Ich wusste, dass ich Mist gebaut hatte und dass ich an seiner Stelle das gleiche getan hätte, doch das machte es mir auch nur wenig leichter.

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