Die nächsten acht Tage verliefen weitgehend ereignislos. Rachel redete kein Wort mit mir, seitdem ich sie an Coles Geburtstag so angemotzt hatte, Cole war beinahe nie zu Hause, ging wahrscheinlich wieder in seine Fightclubs, und Dad arbeitete viel. Ali war auch beschäftigt mit der Schule und so saß ich zumeist einfach alleine in meinem Zimmer rum und schaute in die Luft. Es ging mir ziemlich gut, das redete ich mir zumindest ein und es funktionierte auch, ich weinte kein einziges Mal.
Heute war Rachels und Dads Hochzeit, ich war gerade von meinem Wecker geweckt worden, um fünf Uhr morgens. Die Trauung würde zwar erst um elf Uhr stattfinden, aber es war noch viel vorzubereiten. Meine Großeltern waren bereits gestern angereist und schliefen in Rachels Hotel, die anderen Gäste ebenso.
Als ich mit müden Augen in die Küche schlurfte, saß Rachel schon hellwach an ihrem Laptop. Ich musste mich bei ihr entschuldigen, schließlich waren wir eine Familie. Ich schlurfte zu ihr, sah sie mit einem halb schmollenden, halb entschuldigenden Blick an und setzte mich auf den Stuhl neben ihr. „Das mit letzter Woche tut mir leid." Murmelte ich und sah ihr in die Augen. Man kannte, dass sie schon einige Kaffees intus hatte und wohl die ganze Nacht wach war.
„Schon gut." Grinste sie und schloss mich in die Arme. „Du musst mir helfen, ich suche immer noch nach der richtigen Frisur, außerdem weiß ich nicht, ob ich dunklen oder eher hellen Lidschatten nehmen soll, mein Kleid ist ja leuchtend weiß und da sieht vielleicht dunkler Lidschatten zu heftig aus. Die Frisur muss zu dem Schleier passen, den kann man nämlich nur an einer Hochsteckfrisur festmachen, weil er sonst..." sprudelte sie los, als ich meinen Finger hob und sie so stoppte.
Ich nahm ihr grinsend die Kaffeetasse, an der sie sich festkrallte, aus der Hand und stellte sie weit weg, Rachel wurde von zu viel Kaffee wie eine aufgezogene Springmaus. „Alles nach der Reihe. Als erstes frühstückst du. Dann kommen die anderen Brautjungfern, helfen dir beim Aussuchen der Frisur und des Makeups, dann mache ich dir die Haare und schminke dich so wie du es ausgesucht hast, dann ziehst du das Kleid an und erst dann machen wir anderen uns fertig. Cole wird sowieso erst später aufstehen und ich werde ihn beauftragen, dass er Dad, wenn dieser aufwacht, informiert was los ist und aufpasst, dass er in seinem Zimmer bleibt, damit er dich nicht sieht."
Rachel atmete schnell und sah mich aufgeregt an, also schloss ich sie nochmal in die Arme und beruhigte sie so. „Das wird der schönste Tag deines Lebens." Sie nickte, als müsste sie sich selbst überzeugen und ich strich ihr ein Brot, da sie nicht in der Lage war, klar zu denken vor all der Aufregung.
Zwei Stunden später standen die beiden Brautjungfern, Ali, Rachel und ich in meinem Zimmer. Rachel betrachtete sich lächelnd im Spiegel, Haare und Makeup hatte ich gerade fertiggemacht und nun war sie in ihr Kleid geschlüpft. Während ich ihr den Schleier an ihrer Hochsteckfrisur befestigte, hatte sie bereits Tränen in den Augen.
Es war ein wunderschönes Gefühl, wie sehr sie sich freute. Zu sehen, dass sie meinen Dad wirklich liebte und das wirklich wollte. „Danke, Hailee. Danke, danke, danke." Murmelte sie und fiel mir in die Arme. „Nicht weinen, sonst verschmiert das Makeup." Warnte ich lachend und machte mich dann auf den Weg zu Coles Zimmer, um ihn zu bitten, Dad zu übernehmen, schließlich musste dieser ganz schön verwirrt sein, wenn er aufwachte.
Ich hatte beinahe Herzklopfen, als ich an Coles Tür klopfte. In meiner Jogginghose, dem weiten Shirt, bei dem ich nicht mal sicher war, ob es mir oder ihm gehörte und meinen zu einem Knödel gebundenen Haaren. „Ja?" Coles Stimme hörte sich müde an, kein Wunder, es war auch erst halb acht.
„Ähm... könntest du zu Dad gehen? Ich meine, wenn er aufwacht. Könntest du ihm erklären, was los ist und dass er heute heiraten wird? Und aufpassen, dass er nicht aus seinem Zimmer kommt, damit er Rachel nicht sieht? Bitte." Ich redete schnell, wie wenn ich vor einem Date aufgeregt wäre.
Cole schmunzelte ein bisschen, dann nickte er. „Wird gemacht." Meinte er. „Gut, danke." Ich wollte schon wieder aus dem Zimmer gehen, als er mir „Und Hailee?" hinterherrief. Ich drehte mich ein wenig zu schnell um, sodass er breit grinste. „Es ist deren Hochzeit, nicht deine. Beruhig dich ein bisschen, zu zitterst."
Wie gut beobachtete er mich denn, wenn er in diesen dreißig Sekunden schon gesehen hatte, wie aufgeregt ich war. Ich nickte schnell, ging dann aus dem Zimmer, kam jedoch kurz darauf wieder hinein, da ich noch was vergessen hatte. „Und du vergiss deinen Anzug nicht, wehe du tauchst da ohne Fliege auf, alle Männer tragen Fliege, wir haben es extra auf die Einladung geschrieben." Ich sah ihn drohend an und er brach in Gelächter aus.
„Du bist süß, wenn du aufgeregt bist." Murmelte er eher zu sich selbst, aber ich hörte es. Es war Rachels und Dads Hochzeitstag, für mein Gefühlschaos war heute keine Zeit, also ignorierte ich die Bemerkung. „Aber ist notiert, ich werde Fliege tragen." Fügte er etwas lauter an und ich nickte und verschwand wieder aus dem Zimmer.
Rachel war nun ganz fertig, die Hochzeitsgäste würden in vierzig Minuten in unserem Garten stehen und so machten wir anderen uns fertig. Ich zog das weiß-blau gestreifte Kleid an, das ich mir rausgesucht hatte. Es umspielte meine Figur schön und hob meine Schokoladenseite hervor. Der gerade Ausschnitt, der beinahe bis zum Hals ging, mit dem bis zur halben Brust tiefen Schlitz sah sehr elegant aus, die Oberschenkellänge peppte es jedoch ein wenig auf.
Ich lockte meine Haare und flocht die vorderen Strähnen nach hinten, sodass alle Haare sich hinter meiner Schulter befanden. Ich schminkte mich auch noch ein bisschen, dann zog ich meine Pumps an und machte mich auf den Weg zu den anderen, die schon im Garten warteten.
„Kannst du kurz nachsehen, ob dein Vater schon bereit ist und wie er überhaupt gelaunt ist? Er soll mich ja erst dann sehen, wenn ich zum Altar gehe und sobald er runterkommt werden die Brautjungfern und ich zur Kirche fahren." Meinte Rachel nervös und so ging ich wieder hoch in den ersten Stock.
Ein Teil in mir hoffte, dass ich Cole gefiel, diesen Teil ignorierte ich jedoch. Ich klopfte an die Tür und steckte nur meinen Kopf hinein. „Seid ihr fertig?" fragte ich und Cole nickte. Dad stand noch vorm Spiegel, als ich jedoch einen Schritt ins Zimmer ging, drehte er sich zu mir und umarmte mich. „Wann habt ihr das alles geplant? Das ist ja... unglaublich, Überraschung gelungen." Strahlte er, was sich sofort auf mich übertrug. „Planung, Dad. Alles Planung." Grinste ich.
„Bist du bereit?" fragte ich dann, als er mich losgelassen hatte. „Fast." Lächelte Dad und hielt mir die Fliege entgegen. „Ich kann das nicht." Meinte er und so machte ich sie ihm um. Ich hatte es damals von Mum gelernt, eine gute Ehefrau muss Fliegen binden können, hatte sie immer gesagt.
Dad bedankte sich und ich wollte schonwieder aus dem Zimmer gehen, als Cole mich aufhielt. Ich wusste, dass er ebenfalls weder Fliegen noch Krawatten binden konnte, da er das nie gebraucht hatte, doch ich nahm an, er hätte schon jemand anderen gefragt.
„Scheiß drauf." Murmelte ich und stellte mich vor Cole hin. Mein Herz pochte wie beim ersten Mal, verdammtes Herz. Ich spürte Coles Blick auf mir, die ganze Zeit über, und es kam mir vor, als würde es eine Ewigkeit dauern, seine Fliege zu binden. Außerdem machten sein wundervoller Geruch und sein übertrieben gutes Aussehen es nicht einfacher.
Gerade, als ich fast fertig war, sprach Dad meine Gedanken von zuvor laut aus. „Eine gute Ehefrau muss Fliegen binden können, hat deine Mum immer gesagt." Flüsterte er bedächtig. Ich erstarrte in meiner Bewegung und schluckte. Wieso musste er das genau dann sagen, wenn ich mit Cole beschäftigt war?
Ein müdes Lächeln kam über mein Gesicht, ich beendete meine Arbeit schnell und klopfte Cole auf die Brust, als Zeichen, dass er fertig war. „Danke." Lächelte er und ich verlor mich beinahe darin. „Mum würde sich für dich freuen Dad." Flüsterte ich, bevor ich den Raum verließ.
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Call me Babe
Fiksi RemajaHailee (16) und Cole (17). Sie sind Stiefgeschwister, müssen zusammen leben. Sie verstehen sich eine Sekunde und zicken sich in der nächsten an, bis sie sich gegenseitig beinahe hassen. Doch was, wenn etwas Unvorhersehbares passiert und sie herausfi...