3 Kapitel

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Damon P.o.V.

Die Kleine war innerlich genauso zersplittert wie ihr rechtes Auge aussah. Ihr Vertrauen war so groß wie ein Atomkern. Obwohl sie durch ihr rechtes Auge nichts mehr sehen konnte, zeigte es klar und deutlich ihr Misstrauen mir gegenüber. Das einzige, was sie noch mehr fürchtete als mich selbst, war die Flucht vor mir und den Folgen. Folgen, die es nicht geben würde. Aber das wusste sie nicht. Sie hatte ihr Leben die meiste Zeit in Angst und Schrecken verbracht. Mein Blick ruhte ruhig auf ihrem Gesicht. Die Ärzte hatten es einfach nicht auf die Reihe gebracht, die Wunde in ihrem Gesicht richtig zu behandeln. Sie hatten so viele kleine, feine Splitter rausholen müssen, dass die Wunde extrem geweitet war. Die Nähe zum Auge und die Tiefe der Wunde waren durchaus kritisch. Die Ärzte waren Waschlappen gewesen und hatten zu wenig riskiert. Die Ansätze waren schon verheilt. Hätten Sie sich mehr Mühe gegeben, wäre der Rest irgendwann genauso gut verheilt. Doch nun würde sie auf ewig einen Krater im Gesicht haben. Mit Glück würde die Röte immerhin bald verschwinden. Rund um die große Narbe waren lauter kleine, weiße und rote Linien. Weitere Narben. Die Wunden waren nur nicht so tief gewesen.

Ihr Blick ruhte weiterhin auf mir. Wenn es nach mir gehen würde, würde ich sie in den Arm nehmen und nie mehr loslassen. Sie hatte etwas zerbrechliches an sich. Wer konnte einem so zarten Wesen nur so schreckliche Schmerzen antun?
"Vielleicht solltest du mal mit deinem Bruder reden. Er müsste sich inzwischen abgeregt haben. Wahrscheinlich flippt er vor Schuldgefühlen gerade erneut aus", bemerkte ich amüsiert. Keine Regung war auf ihrem schönen Gesicht zu sehen. Nicht mal ihre Augen zuckten. Wie in Stein gemeißelt.
Langsam, um sie nicht noch mehr zu verschrecken, erhob ich mich. Trotzdem wich sie weiter zurück. Gleich würde sie vom Bett fallen. Amüsiert lächelte ich, dann verschwand ich leise aus dem Zimmer. Zurück blieb ein kleines Häufchen Elend.

Bastian saß in sich zusammengesunken auf der schwarzen abgenutzten Couch. Als ich die Tür hinter mir schloss, schoss sein Kopf ruckartig hoch. "Alles in Ordnung bei ihr?" "Na abgeregt?" Unsere Fragen kamen gleichzeitig über unsere Lippen. Wir lächelten uns leicht an, dann setzte ich mich neben ihn. "Sie lebt noch, alles gut." Verzweifelt presste er die Lippen aufeinander und sah mich gequält an. "Wie konnte ich nur so ausflippen? Ich meine, ich weiß doch, wie...", er brach mitten im Satz ab und schüttelte fassungslos über sich selbst den Kopf. "Du hast dir einfach Sorgen gemacht! Jeder normale Bruder hätte so reagiert", versuchte ich meinen besten Freund zu beruhigen, doch er lächelte nur schwach. "Ja, aber ..." "Kein Aber", unterbrach ich ihn unwirsch. „Du hast dir Sorgen gemacht und das war in Anbetracht der Lage auch vollkommen legitim. Jetzt steh auf und beweg deinen verfickten Arsch zu deiner Schwester, bevor sie dich gar nicht mehr an sich ran lässt." Kurz sah er mich wegen meines harten Tones überrascht an, dann erhob er sich. Ich schaute ihn noch mal aufmunternd an, dann ging er unsicher zu seiner kleinen Schwester.

Nachdenklich stützte ich mein Kinn auf meine Hand. Samantha brauchte dringend psychologische Hilfe. Das stand komplett außer Frage. An sich hätte ich sie auch nicht mit in eine Wohnung mit zwei Typen mitgenommen, aber ich verstand ihn. Er wollte sie nicht mehr aus den Augen lassen. Wenn er sie bei sich hatte, konnte er sicher gehen, dass keiner ihr Schaden zufügen würde. Und trotzdem, alleine würden wir es mit ihr keineswegs schaffen. Wir würden sie noch näher an ihre innere Klippe treiben und dann dürften wir zusehen, wie sie fallen würde. Sie hatte tiefe innere Schäden. Ihr Vater hatte sie systematisch immer mehr zerstört. Das würden einfache Studenten, wie wir es waren, nicht gelöst bekommen. Selbst ich als Medizinstudent hatte schwer schlucken müssen. Am liebsten würde ich jetzt auf Psychologie umsteigen, nur ihr helfen zu können. Es war einfach schrecklich zu wissen, dass es solche grausamen Menschen auf der Welt gab. Auch der Gedanke, dass der Vater meines besten Freundes ein Schwein war, verstörte mich etwas. Ich hatte den alten Mr. Duncan nie kennen gelernt, aber so wie Bastian von ihm gesprochen hat, hätte ich niemals gedacht, dass er so ein Arsch war. Ein Glück war er tot. Hatte sich selbst umgebracht. Feiges Ekelpaket. Hatte sich im Gefängnis selbst sein Leben genommen.
Leider änderte sein Tod nichts an der aktuellen Situation. Er hatte nicht nur viel Geld, sondern auch eine verstörte Tochter hinterlassen. Ich würde lieber eine wenig verstörte Tochter und dafür kein Geld nehmen, aber man hatte ja nie die Wahl.

Sam hatte keine Wahl, als ihr Vater damals anfing ihre Zukunft zu beeinflussen. Alle sagten zwar immer, dass man immer eine Wahl hätte, aber dem ist nicht so. In einem Fall wie Samantha, hatte sie lediglich die Wahl gehabt, ob sie leben oder existieren wollen würde. Ihr Vater hatte sich fürs existieren ausgesprochen und sie hatte es stumm akzeptiert. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Die Wahl hatte ja nicht sie, sondern ihr Vater getroffen.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt