1 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Damon Johnson entpuppte sich als ein langhaariger Hippie. Sein Drei-Tage-Bart und seine gepflegten, dunklen und langen Haare ließen sein Gesicht attraktiv aussehen. Seine markante gerade Nase und seine dunklen, vergnügt funkelnden Augen verliehen ihm das gewisse Etwas. Auf seinen Lippen lag ein fröhliches Lächeln, was nicht einmal verrutschte. Ich mochte ihn nicht.

Die geräumige Wohnung im dritten Stock war aufgeräumt. Die Luft war klar. Nichts erinnerte hier an eine Männerbude. Ausdruckslos schaute ich mich um, wobei ich den Blick in Richtung des Schönlings vermied. Mein Bruder betrat hinter mir den engen Flur. Stocksteif blieb ich stehen. Meine Atmung war gepresst. Es waren mir zu viele Menschen, männliche Menschen, auf zu engem Raum. "Hi. Ich bin Damon", stellte er sich freundlich lächelnd vor und reichte mir die Hand.
Natürlich. Perfekte weiße Zähne!
Automatisch wich ich zurück und knallte gegen meinen Bruder. Das Adrenalin in mir stieg wieder an und vertrieb die Müdigkeit. Die Wirkung der Tablette hatte rasch nachgelassen. Den Flug und den größten Teil der Taxifahrt hatte ich verschlafen, doch nun war ich hellwach und in Alarmbereitschaft. Ungerührt nahm er seine Hand zurück und bedeutete mir einzutreten. Ihn interessierte meine Panik recht wenig. "Ich habe dein zukünftiges Zimmer etwas eingerichtet. Ich hoffe, es gefällt dir", erzählte er vergnügt. Ich war mich sicher, ich würde es scheußlich finden. "Früher hat dort ein Kumpel von uns gewohnt, doch er ist vor einigen Monaten ausgezogen. Macht jetzt einen Entzug und danach geht es zurück zu seinen Eltern", redete er ohne Punkt und Komma. Desinteressiert sah ich an ihm vorbei. "Damon, Alter. Halt einfach die Klappe", kommentierte mein Bruder den Redefluss seines besten Freundes leicht gereizt. Dieser warf mir und Basti einen undefinierbaren Blick zu, schwieg dann aber tatsächlich. Dann drehte er sich kommentarlos um. Misstrauisch folgte ich ihm in ein kleines Zimmer am Ende des Ganges. Damon lächelte nochmal vergnügt, dann verschwand er in ein anderes Zimmer. Endlich. Ich war einen der beiden Idioten los.

Nun betraten Basti und ich den kleinen Raum. Bett, Schrank, Schreibtisch, Fenster, Spiegel, Bücherregal. Alles was man zum Überleben brauchte war in diesem Raum vorhanden. Auch die Farben waren ok. Violette Vorgänge und Bettbezüge, hell lilaner Teppich auf braunem Holzboden. Die Möbel waren weiß. "Damon meinte, lila sei eine positive Farbe." Mein Bruder lachte nervös auf und ließ meine große Reisetasche zu Boden fallen. Ich vermutete eher, dass Damon lila als Mädchenfarbe assoziierte und es deshalb ausgewählt hatte. "Ist doch ganz schick, oder?" Ich zuckte mit den Schultern. Es war in Ordnung. Heimisch hatte ich mich schon in Amerika nicht mehr gefühlt. Hier wird es mir genauso ergehen. Der Raum hatte vier solide weiße Wände. Ich hatte meine Ruhe. Das zählte. Mehr nicht.

Einige meiner persönlichen Sachen waren schon da. Mein Bruder hatte sie vorgeschickt. Ich werde sie verbrennen. An ihnen haftete der Geruch der Vergangenheit. Ich musste sie nur anschauen und mir wurde übel.
Spürst du ihn?
Mein Vater war allgegenwärtig. Ich wusste jetzt schon, dass an meinen alten Kissen noch sein Geruch haften würde. Ich wusste jetzt schon, dass auf jedem Bild sein Schatten drauf lasten würde. Es war, als hätte ich sein Haus nie verlassen.
Schwer schluckend ging ich ein paar Schritte vor und drehte mich langsam. Auf dem Schreibtisch standen drei Bilder. Im Regal standen weitere. Es waren Bilder von meiner Mutter, meinem Vater, meinen ehemaligen Freunden und Bastian. Von Lucas war kein Bild dabei.
Wie auch? Wir waren ja nie Freunde.
Mein nervtötender Wecker thronte auf meinem kleinen Nachttisch. Ich rang mir ein Lächeln ab. Mein Bruder hatte echt alles, was ich nicht brauchte, hierher geschafft. Das war schon echt bemerkenswert. "Gefällt es dir", fragte mein Bruder erneut. Er erhoffte sich eine verbale Antwort, doch ich nickte bloß knapp. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Enttäuscht sackte er in sich zusammen. "Ich...ich lasse dich mal alleine." Er lächelte nochmal, dann ließ er die Tür hinter sich zufallen. Wie auf Befehl sackte ich zusammen und ließ mich auf den weichen Teppich fallen. Ich war erschöpft. Den ganzen Tag hatte ich nur in Anspannung verbracht.

Mit zitternden Fingern holte ich mein Handy hervor. Tausende von Whats App Nachrichten prasselten auf mich nieder, nachdem ich es mit dem WLAN verbunden hatte. Immerhin hatte Basti mir das Passwort zuvor gegeben. Ohne WLAN, wäre ich wahnsinnig geworden.
Lucas hatte mir geschrieben. Zögerlich tippte ich auf den Chat.
Hi
Bist du angekommen?
Lebst du noch?
Wie ist London?
Alles ok?
Er hatte die Nachrichten zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben. Dummkopf. Als wenn ich mit dem Flugzeug abstürzen würde. Ich war doch schon längst abgestürzt. Und selbst wenn das Flugzeug fliegen verlernt hätte, hätte er es eh in den Nachrichten gesehen.

Statt richtig zu antworten, machte ich ein Foto vom Bett und schickte es ihm. Danach legte ich mein Handy weg. Die anderen Nachrichten ignorierte ich. Schwer atmen strich ich mir die Haare aus dem Gesicht. Mein Blick glitt durch das Zimmer, doch er blieb nirgendwo haften.
Lustlos setzte ich mich aufrecht hin. Mich einrichten wollte ich nicht. Ich wollte einfach nur zurück.
Es war Freitag. Freitag, der 3. November. Noch hatte ich Ferien. Nächsten Montag musste ich dann aber wieder zur Schule gehen.
Yeah.
Ich würde nochmal das vorletzte Schuljahr wiederholen, da ich mitten im Schuljahr wechselte. Das würde mir nur Fragen einbringen. Fragen, auf die ich wenig Lust hatte.

Mühsam richtete ich mich auf. Langsam ging ich zum großen Spiegel. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten schaute ich in den Spiegel. Das letzte Ma, dass ich mich im Spiegel betrachtet hatte, war Wochen her. Meine Haaren waren länger geworden. Sie mussten dringend gewaschen werden, so strähnig waren sie. Ein Haarschnitt würde meine Haarspitzen sicher auch erfreuen. Mein rechtes Auge war blasser. Eine schwarze und eine weiße Linie waren zu sehen. Wie Blitze durchzuckten sie meine blasse blaugraue Iris.
Harry Potter 2.0.
Missmutig verzog ich den Mund. Meine rechte Hand war immer noch eingegipst. Klobiges Scheißteil. Ich sah einfach nur grausam aus. Wie gegessen und ausgekotzt. Ich trat näher an den Spiegel heran. Je näher ich kam, desto genauer sah ich mein ehemals hübsches Gesicht. Ich hatte es seit dem Vorfall nicht gesehen. Diese schreckliche Narbe. Quer über mein halbes Gesicht. Meine rechte Augenbraue war geteilt, meine Stirn und meine Wange hatten ebenfalls die tiefe Kraterspur. Ich fühlte mich wie der Grand Canyon. Ich hatte den kack Grand Canyon in meinem Gesicht!
Mit meiner zitternden linken Hand fuhr ich die rötliche Narbe nach. Sie war einen halben Zentimeter tief, wenn nicht sogar tiefer. Angewidert trat ich einen Schritt zurück. Diesen Anblick würde ich definitiv kein weiteres Mal ertragen. Ich brauchte einen Vorhang für diesen Spiegel. Definitiv.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt