32 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Mein Weihnachtsgeschenk von James und Mary war ein Sammelband mit verschiedenen Gedichten. Außerdem schenkte mir Mary noch den Film „Kingsman-The Secret Service". Höflich lächelte ich, bedankte mich mit einem Nicken und einem leisen Danke. Sonja schenkte mir eine CD von Taylor Swift und ein kleines Make-Up Set, welches aus Pinsel, Rouge, Lidschatten und Mascara bestand. Yeah, ich hasste Taylor Swift. Ihr nervöser Blick huschte zu meinem Bruder. Anscheinend waren die Geschenke auf seinem Mist gewachsen.
Er schien mich wohl richtig gut zu kennen. Nicht.
Um sie nicht noch weiter in Verlegenheit zu bringen, lächelte ich und bedankte mich zurückhaltend bei ihr. Mein Kopf begann zu schmerzen. Die Menschen, der Abend, all das strengte mich enorm an. Trotzdem musste ich stark sein. Mit einem falschen Lächeln auf dem Lippen schaute ich den Geschenkeaustausch der Anderen an. Schnell legte sich ein Schleier vor meine Augen. Alles zog an mir vorbei. Als wäre ich nicht anwesend. Sonja und ihre Mutter alberten ausgelassen mit Basti herum. James gönnte sich noch einige Plätzchen und schaute den drei vergnügt grinsend zu.

Schließlich stand mein Bruder auf. Seine feucht glänzenden Hände wischte er an seiner Hose ab. Als er meinen skeptischen Blick bemerkte, lächelte er kurz unsicher und zupfte sein Hemd zurecht. Er verschwand im Flur und ließ mich mit den fröhlichen Menschen zurück. „Wo will er denn jetzt hin", fragte Mary verwirrt und setzte sich aufrechter hin. „Ach Mama. Lass ihn doch. Du benimmst dich wie eine Gefängniswärterin", neckte Sonja ihre Mutter. Liebevoll zog sie ihre Mutter wieder in eine bequemere Sitzposition. „Ach Mary. Der Junge ist alt genug. Der verläuft sich schon nicht", mampfte James. Erst jetzt schien seine Frau zu bemerken, dass er sich immer wieder Plätzchen gönnte. „James. Jetzt hör auf wie ein Schwein zu fressen. Ehrlich! Kannst du auch mal einige Minuten ohne Essen überleben", schimpfte sie ihren Mann aus. Ihr Ton ähnelte einer Mutter, die ihren vierjährigen Sohn erziehen musste. Schmollend schob sich James das letzte Plätzchen in seine dicken Backen und begann dieses trotzig zu kauen. Böse stierte ihn Mary an. Sie entriss ihm förmlich den leeren Teller und brachte den außer Reichweite ihres Mannes. Eigentlich sinnlos, da der Teller eh leer war.

Mein Bruder betrat sichtlich nervös den Raum. Er räusperte sich mehrmals, womit er unsere Aufmerksamkeit bekam. „Ähm ja. Erstmal Danke, dass meine Schwester und ich Weihnachten hier feiern durften. Es war, wie auch die letzten Jahre, einfach nur fantastisch", begann er. Seine Stimme brach kurzzeitig weg, doch er fing sich schnell wieder. Schnell fuhr er sich mit der rechten Hand durch die Haare, seine linke Hand behielt er hinter seinem Rücken versteckt. „Aber ich wollte jetzt nicht das fantastische Essen loben", er räusperte sich wieder, dann fing er Sonjas leicht verwirrten Blick ein und redete etwas flüssiger weiter. „Sonja. Wir kennen uns jetzt schon vier Jahre. Seit exakt drei Jahren, auf den Tag und auf die Uhrzeit, genau, bist du nun meine Freundin und ich muss sagen, es waren die besten Jahre meines Lebens. Du warst in dieser Zeit nicht nur meine Freundin, nein du warst auch einfach der beste Mensch auf der ganzen Welt, welcher immer für mich da war. Wir haben so viel Mist schon erlebt, dass ich gar nicht wüsste, wovon ich als erstes erzählen soll. Wann immer ich dich besuchte, warst du da und ich möchte dich auch nicht missen. Am liebsten würde ich morgens aufwachen und als erstes dein wunderschönes Gesicht sehen. Leider können wir ja aktuell nicht zusammen wohnen, da wir beide einfach beruflich unterwegs sind und durch das Studium an andere Ecken des Landes müssen. Allerdings weiß ich, dass ich mein Leben nicht ohne dich verbringen möchte. Es macht mich rasend zu wissen, dass du irgendwo im Land bist und keiner weiß, dass diese geniale Frau meine Freundin ist." Er atmete einmal tief durch, dann schritt er sicher auf die sprachlose Sonja zu. Ihr Mund stand offen und in ihren Augen schimmerten die ersten Tränen. „Sonja. Du weißt, dass ich warten hasse. Und ich kann es einfach nicht länger hinauszögern. Deshalb frage ich dich, willst du, Sonja, meine Frau werden und mich bis zu deinem Lebensende an der Backe haben?"
Stille.

Innerhalb von wenigen Sekunden brach Sonja in Tränen aus und fiel meinem Bruder, welcher mit einem Ring in der Hand vor ihr kniete, um die Arme. Dieser fing sie im letzten Moment auf und sah sie mit seinen grauen Augen hoffnungsvoll an. „Natürlich will ich", schluchzte sie und kuschelte sich an ihn. Überglücklich stand mein Bruder auf,  zog sie in seine Arme und küsste sie. Mary brach in Freudentränen auf. Überfordert wuselte sie durch das Wohnzimmer, knuddelte die Turteltauben und ging dann Sekt suchen. James dagegen saß selbstzufrieden auf seinem Platz. Seine Gratulation grölte er lautstark durch den immer kleiner werdenden Raum. Aufgeregt kam Mary zurück gerannt. „O mein Gott, meine Tochter wird heiraten", keuchte sie atemlos und ließ übermütig den Sektkorken fliegen. Dieser landete mit einem lautem Knall irgendwo im Tannenbaum. „Sollte nicht das frisch verlobte Paar den Sekt knallen lassen", fragte ihr Mann belustigt, doch sie ignorierte ihn. Vergnügt befüllte sie die Sektgläser mit mehr Sekt als nötig. Ich wurde immer kleiner auf meinem Platz, während die anderen sich zusammen stellten und erheitert anstießen.

Das erklärte also, wieso mein Bruder heute so zerstreut gewesen war. Er hätte mich wenigstens in seine Pläne einweihen können. Verplappert hätte ich mich ganz bestimmt nicht. Aber anscheinend war ich ja auch der Grund, warum die beiden nicht mehr zusammen lebten.
Ich zerstörte sein Leben.
Er wollte mich wohl nicht hier haben, sonst hätte er mir davon erzählt. Selbst die Tabletten halfen nicht. Die Gefühle überrannten mich trotzdem und somit sah ich zu, wie Sonja ihren Eltern strahlend den Verlobungsring zeigte. Steif erhob ich mich und schritt auf die kleine Gruppe zu. Erst jetzt fiel Bastis Blick auf mich. Schuldbewusstsein blitzte in seinen Augen auf. „Oh Sam. Wir haben dich ganz vergessen. Willst du noch mit anstoßen?" Mary war ihr Fehlverhalten sichtlich peinlich, doch ich winkte ihr unnötiges Angebot ab. „Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung", krächzte ich und nickte beiden zu. Mein Blick fiel auf den schmalen Ring. Enttäuscht presste ich meine Lippen aufeinander. „Halte den Ring in Ehren. Der hat meiner Mutter gehört. Und ihrer Mutter. Und deren Mutter. Er wird immer an die Tochter weitergegeben. Vergiss es nicht, falls ihr auch mal eine Tochter habt."
Keiner hörte mir wirklich zu oder verstand meine Worte.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt