11 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Um zehn nach zehn schlug ich bei Lily auf. Mein Bruder atmete erleichtert auf, als Fleisch- und Grillgeruch ins Auto drang. Anscheinend erhoffte er sich nun eine harmlose Party. "Pass auf dich auf, okay? Wenn was ist, Ruf mich an! Und wenn du mich nicht erreichst, ruf Damon an." Besorgt lehnte er sich zu mir rüber. Ich lächelte ihn kurz an, dann kletterte ich aus dem Auto raus und schlug die Tür zu. Nach mehreren Sekunden des Wartens, fuhr mein Bruder endlich davon. Gott sei Dank folgte er mir nicht rein. Ich umklammerte meine Handtasche und ging dann unsicher die kurze Auffahrt hoch. Ein schönes großen Einfamilienhaus erhob sich vor mir. Es sah nett hier aus. Nicht so gruselig wie das Höllenhaus, wo ich mein Leben verbracht hatte. Girlanden zierten den kleinen Vorgarten und überall standen Lichter. Aus dem großen Haus drang Licht aus jedem Fenster nach draußen, so dass der Garten hell erleuchtet wirkte.
Da die weiße Haustür offen stand, ging ich rein. Drinnen war es genauso kalt wie draußen. Zitternd ging ich durch den simpel eingerichteten Flur und fand mich in einem großen Wohnzimmer wieder. Auf der riesigen schwarzen Couch stand Lily und dirigierten mehrere Jungs umher. Diese verrückten auf ihr Kommando Möbel umher und schlossen wertvolle Gegenstände weg. Als sie mich erblickte, lächelte sie mich breit an und sprang mit einem lauten Knall von der Couch. "Hey! Voll geil das du kommen durftest. Die Party ist im Keller. Ein paar sind schon da." Sie wirbelte einmal herum, fokussierte die Jungs und nickte schließlich zufrieden. "Meine Partydiener hier hatten nur vergessen, das Wohnzimmer zu sichern. Arg. Alles muss man selbst machen!" Sie zwinkerte mir zu, aber ich lächelte bloß überfordert zurück. Sie sah umwerfend in ihrem dunkelblauen Paillettenkleid aus. Ihre hohen Wangenknochen und ihre langen glatten Haare brachten ihr strahlendes Gesicht besonders gut zur Geltung. Obwohl sie schwarze Pumps trug, sprintete sie nun regelrecht durch den Raum um eine Vase aufzufangen. Es gelang ihr nicht. Sie verzog das Gesicht und wandte sich erbost dem unachtsamen Jungen zu. Der würde gleich wohl nicht mehr leben.
Da ich mich unwohl fühlte, drehte ich mich um und ging zurück in den Flur, während sie den braunhaarigen Tollpatsch ausschimpfte. Die Wand im Flur war mit vielen Bildern geschmückt und kurz erlaubte ich mir, sehnsüchtig zu seufzen und in Selbstmitleid zu verfallen. Ich hätte so gerne auch so eine Familie gehabt.
Stattdessen war der Teufel mein Vater.

Musik drang in meine Ohren und riss mich aus meinen Gedanken. Suchend folgte ich dem Beat und fand schließlich die Treppe zum Keller. Unten angekommen erkannte ich, dass sich schon über zwanzig Jugendliche amüsierten. An einer großen Holzbar bediente sich gerade eine Jungsgruppe, eine Mädchengruppe vollführte einen Paarungstanz auf der Tanzfläche.
Widerlich.
Zielstrebig ging ich zur Bar und setzte mich auf einen klapprigen Hocker. Ich fühlte mich fehl am Platz in meiner Röhrenjeans und dem schwarzen Top. Es war mir schon zu freizügig. Überall konnte man meine Narben sehen und wenn man genau hinsah, sah man unter dem dünnen Stoff meine Rippen. Ein Junge reichte mir einen Plastikbecher und ich griff ohne nachzufragen zu. Er grinste mich breit an und setzte sich neben mich. Sofort begann ich am Becher rum zu nippen. Ich wollte kein Gespräch. Das Zeug schmeckte nach Alkohol und irgendwas bitterem. Es war mir egal, ich kippte es so runter. "Dich kenne ich gar nicht. Wer bist du", begann er nun mit rauer Stimme zu sprechen. Er war schwer zu hören, da der laute Beat meine Ohren gehörig zum Beben brachte. "Wo kommst du her", fragte er interessiert und reichte mir mechanisch den nächsten Becher, welcher einfach so rum stand. "Hey, Johnny. Kumpel. Sie spricht nicht", platzte Jo dazwischen. Erschrocken zuckte ich zusammen und verschüttete ein Teil meines Getränkes, was die Jungs zum Lachen brachte. Jo war von rechts gekommen. Ich hatte ihn nicht gesehen. Ich hasste diese Schwäche. Beschämt biss ich mir auf die Unterlippe.

"Hey Sam. Alles fit", fragte er und zog sich seine Lederjacke aus.
Trägt er überhaupt auch mal was anderes?
"Echt? Wieso denn das?" Nun war Johnnys Neugierde geweckt. Sofort stürzte ich das Getränk hinunter. Ich brauchte Nerven! Jo zuckte mit den Schultern, nahm meine Tasche und sprang über die Bar rüber. "Keine Ahnung! Sie redet ja nicht", feixte er und verstaute die Sachen in einem Schrank, welchen er abschloss. Anscheinend fanden hier häufiger Partys statt, so routiniert war er. "Ja, aber wie kommuniziert ihr?" Verlegen kratzte der Hüne mir gegenüber sich am Kinn. "Schriftlich. Oder gar nicht. Solange ich reden kann und sie mir zuhört, ist es mir eh egal", lachte Jo und mischte sich nun auch was. "Du redest eh viel zu viel", entgegnete Johnny grinsend und erhob sich. Anscheinend war ich uninteressant geworden. "Man sieht sich!" Er nickte mir einmal zu, dann verschwand er mit einer Bierflasche im Gewühl. "Endlich sind wir den los. Er fragt immer so viel", stöhnte Jo und kletterte wieder auf meine Seite zurück. Ich nickte bloß abwesend.
War es wirklich eine gute Idee gewesen, hier her zu kommen?
Kurz zweifelte ich an mir, aber dann klammerte ich mich an den Gedanken der Normalität. Ich wünschte mir so sehr irgendwas normales, dass ich mich freiwillig in ein Irrenhaus begab.
"Und jetzt komm. Ich will sehen, wie amerikanische Mädels tanzen!"

Jo trank sein Getränk hastig aus, dann zerrte er mich mit sich mit. Ohne Rücksicht auf Verluste boxte er uns einen Weg in die Mitte des Raumes durch, wo Jackson und Lily auch waren. Anscheinend hatte sie nun auch ihren Weg hinunter gefunden. "Joooooooo", grölte das Geburtstagskind erfreut und fiel ihm um die Haare. "Lilyyyyyy", krakelte er genauso übertrieben zurück und wirbelte sie, ungeachtet der Tanzenden, in der Luft einmal um sich herum. "Schicker Tanga", kommentierte Jackson das Geschehen, nachdem er der fliegenden Lily geschickt ausgewichen war. "Du perverser Idiot! Vergiss dein Geschenk nicht", motzte ihn Lily lachend an und schlug ihn halbherzig auf den Arm. Fragend sah ich Jackson an, der missmutig das Gesicht verzog, "Du musst die ganze nächste Woche nett zu mir sein!", erinnerte sie ihn breit grinsend an das Geschenk. "Wenn du es nicht schaffst, bist du einen Monat lang mein persönlicher Sklave. Und ich meine damit nicht mein Sexsklave!" Nachdem sie das laut klar gestellt hatte, zog Jackson eine beleidigte Schnute. Jo lachte nur.
"Ach liebste Lily. Ich glaube, jeder hier in diesem Raum, wäre nur zu gerne mal dein Sklave." Zufrieden rieb sie sich die Hände und schaute ihn auffordernd an. "Fein, willst du gleich heute meiner sein?" Jo deutete eine elegante Verbeugung an. Ganz der Gentleman küsste er ihre Hand und richtete sich dann wieder auf. "Vergiss er", sagte er dann todernst und schaute ihr dabei treudoof in die Augen. Lily schlug daraufhin auch ihn. Jo wollte ausweichen, doch der langsam sich füllende Raum würde immer enger, sodass er fast hinfiel. Lachend musterte Lily ihn.
Es wurde voller und ich bereute es inzwischen hier zu sein.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt