13 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Ich stand tatsächlich pünktlich um halb vier vor Lilys Haus. Wobei, eigentlich saß ich auf dem kalten und dreckigen Boden. Stehen traute ich mir nicht mehr zu.
Deprimierend.
So traurig diese Tatsache auch war, ich war glücklich. Ich hatte den ganzen Abend mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich war frei gewesen. Meine Gedanken und Gefühle waren Achterbahn gefahren und hatten die Realität für einen kurzen Zeitraum vergessen. Zu meiner Überraschung hatte ich es trotzdem pünktlich raus geschafft. Damon dagegen war noch nicht da. Überraschung. Ich hatte eher vermutet, dass er noch früher auftauchen würde. Kurz zog ich mein Handy hervor, steckte es dann aber wieder ein. Keine Nachrichten, kein Anruf. Seufzend ließ ich mich nach hinten fallen. Scheiß auf den Dreck.
Der Himmel war von Wolken verhangen und es war mega kalt. November halt. Doch es störte mich nicht. Ich zitterte nicht einmal. Ich genoss einfach meine Ruhe. Leise summte ich eine Melodie vor mich hin, schloss die Augen und entspannte mich etwas. Immer wieder flatterten mir meine Haare in mein vernarbtes Gesicht, doch ich ignorierte sie. Der Alkohol ließ mich die Realität vergessen und erlaubte mir, einmal alle meine Sorgen über Bord zu werfen.
Einfach nur herrlich.
Seit ich Amerika verlassen hatte, hatte ich gefühlt keine Ruhe mehr gehabt. Andauernd war mein Bruder da und verfolgte mit Adleraugen jeden meiner Schritte. Dann auch noch die neue Schule, die Schwangerschaft. Es war alles so viel. Meine Gedanken liefen regelmäßig Amok.

Schritte knirschten neben mir auf dem Boden und zerstörten die ruhige Atmosphäre. "Bist du etwa zu besoffen um zu stehen oder willst du dir einfach nur so zum Spaß den Tod holen", fragte eine Stimme leicht amüsiert. Ruckartig öffnete ich meine Augen. Die Entspannung entwich meinem Körper und, gespannt wie ein Bogen, sprang ich auf. Panisch wirbelte mein Kopf nach rechts, woraufhin mir schwindelig wurde. "Woah, ruhig Blut. Alles gut. Ich bin es nur." Jetzt erkannte ich auch Damon, welcher sich heimtückisch von rechts angeschlichen hatte. "Ich hatte mir nur Sorgen gemacht, ob du schon komplett verreckt wärst." Er lächelte ein breites Zahnpastalächeln, doch ich verzog nicht einmal annähernd mein Gesicht. Viel mehr war ich gerade damit beschäftigt, nicht zu kotzen. Die Bewegung war zu heftig gewesen. Das schien das Genie mir gegenüber wohl auch gerade zu verstehen, denn er wich rasch einen Schritt aus. "Wehe du reiherst mir ins Auto. Das ist frisch gewaschen", kommentierte er meine Misere trocken und legte seine Hand flach auf meinen dreckigen Rücken. Prompt zuckte ich weg.

Geschockt sah er mich an, dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder gewohnt unleserlich. "Kommst du jetzt", überspielte er meine Reaktion und ging mit großen Schritten zu seinem heruntergekommenen Pick-Up. Misstrauisch blieb ich vor dem ehemals grünem Fahrzeug stehen. Trotz erhöhtem Alkoholpegel war ich nicht gewillt mich in diese Schrottmühle zu setzen. "Was ist", rief er von der Fahrerseite zu mir rüber. "Steig ein!" Er haute zwei Mal aufs Blechdach, welches protestierende Laute von sich gab. Also ergab ich mich schweren Herzens meinem Schicksal und stieg in das müffelnde Auto. Das nach Kaffee und Bier miefende Auto ächzte einmal und schwankte gefährlich, doch es behielt alle Teile beisammen. "Keine Angst, die gute alte Utah hat mich noch nie im Stich gelassen", erklärte er gelassen. Dann bückte er sich einmal und warf mir eine Wasserflasche auf den Schoß. "Wehe die ist nicht leer, wenn wir Zuhause sind." Ausdruckslos sah ich das Teil an. Dann schnallte er sich gewissenhaft an und startete mit sanften Bewegungen den Motor. Entsetzt schaute ich ihn an. Die Heimfahrt dauerte höchstens zehn Minuten. Rumpelnd setzte sich das Auto in Bewegung und mit gefühlten fünf km/h rollten wir über die Straße. Als er meinen fragenden Blick bemerkte, grinste er. "Was denn? Ich will doch nicht, dass du etwas in meinem kostbaren Gefährt verschüttest."

Kopfschüttelnd rückte ich weiter nach außen, öffnete die Flasche und begann zu trinken. Tatsächlich hatte ich die Plastikflasche innerhalb einer Minute geleert, weshalb Damon auf einmal das Gaspedal durchtrat. Röhrend beschleunigte das Auto und synchron zu jeder Kurve, wuchs mein Übelkeitsgefühl. Doch ich würde nicht hier kotzen. Diese Genugtuung gönnte ich weder Damon noch meinem Bruder, weil dieser mir dann das Feiern komplett verbieten würde. Also umklammerte ich meine Tasche und starrte stumm auf meine Füße. "Wir sind da! Und das Auto ist noch ganz", verkündete der Schönling neben mir leicht stolz und öffnete die Tür. Schneller als er piep sagen konnte, stand ich vor der Haustür und hetzte, nach dem Aufschließen der Haupttür, die Treppe hoch. Dort öffnete ich die Tür zu deren Wohnung, zog die Schuhe aus und sprintete, auf hoffentlich leisen Sohlen, ins Badezimmer. Hecktisch ließ ich Wasser in das Waschbecken laufen und hielt meine Hände unter den kalten Strahl.

Damon erschien auf einmal hinter mir. Sein Spiegelbild zeichnete sich plötzlich ab, weshalb ich panisch zusammen zuckte. "Alles in Ordnung", fragte er mit leiser Stimme. Unregelmäßig atmend nickte ich.
Nichts war in Ordnung.
Meine Panik hatte gerade einen neuen Höhepunkt erreicht. Diese Autofahrt war eine reinste Qual gewesen. Alle meine Ängste, welche der Alkohol erfolgreich verdrängt hatte, überrollten mich wieder. Und ich konnte nichts dagegen tun. Mir war, als wäre ich auf einmal wieder nüchtern. Stocknüchtern. Meine Puder-Rosa-Welt, in welcher ich mich bis eben noch befunden hatte, verschwand schlagartig und machte der harten Realität Platz.
Die Tiefe Stimme von Damon war auf einmal ganz weit weg, genau wie das Badezimmer, welches vor meinen Augen langsam verschwamm. "Samantha. Sam. Kleine, hörst du mich? Hey, beruhig dich." Langsam sank ich auf meine Knie und starrte auf meine zitternden Hände.
Bloß nicht umkippen!
"Atme ein. Und wieder aus. Tief Luft holen. Ein, aus. Ein, aus." Am Rande bekam ich mit, wie er das kleine Fenster öffnete und die kalte Nachtluft mich freundlich umarmte. "Alles wird gut", murmelte er. Ich glaube, er saß neben mir. Immerhin berührte er mich nicht. Dann wäre ich wahrscheinlich komplett ausgeknockt gewesen.
Seine große Hand reichte mir einen Becher mit kaltem Wasser, welches ich sofort runterkippte. Kalt lief es meine Speiseröhre hinunter und beruhigte meinen aufgewühlten Magen. Allmählich klärte sich meine Sicht wieder. "Geht es wieder", fragte er leise und sah mich besorgt an. Er hockte vor mir. Schnell nickte ich und stand schwankend auf. "Lag es an mir", fragte er besorgt. Ich sah ihm an, dass er mir helfen wollte, doch er ließ seine Hände wieder sinken.
Schlauer Junge.
Hektisch schüttelte ich den Kopf, woraufhin ich wieder zu schwanken anfing. Nun packte er doch meinen Unterarm. Sofort erstarrte ich und sah ihn mit geweiteten Augen an. "Ich lasse dich hier nicht umkippen", fluchte er, ließ mich dann aber sofort los. "Nicht noch einmal."

Schweigend standen wir uns gegenüber. Gepresst atmete ich ein und aus. Ich wollte was sagen, konnte aber nicht. Er wollte nichts sagen. Forschend musterte er mein Gesicht, bis ich den Blick senkte. "Kein Alkohol mehr für dich! Und keine Partys. Und nun putze die Zähne und geh ins Bett", sprach er schließlich mit rauer Stimme, dann verschwand er. Das Problem an Befehlen und Regeln? Ich brach sie mit Leidenschaft gerne. Somit bekam er nicht mit, wie ich seinem breiten Rücken meinen schmalen Mittelfinger präsentierte.
Dieser Hornochse hatte mir nichts zu sagen!

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt