Samantha P.o.V.
Sitzen und gut aussehen. Das war definitiv mein Talent. Dank meines Vaters hatte ich gelernt, Menschen das sehen zu lassen, was sie sehen wollten. Lächeln, nicken, ab und an was sagen. Je länger sich der Nachmittag zog, desto schwieriger wurde es für mich, ruhig zu bleiben. In meinem Kopf pochten die Erinnerungen. Sie lieferten sich mit meinen Plänen und anderen Gedanken einen Wettkampf um die Vorherrschaft meiner Gedanken.
Angst traf auf Panik.
Furcht traf auf Schmerz.
Hass traf auf Schock.
Es war schwierig, meine Gedanken zu sortieren. Immer wieder tauchten längst verdrängte Bilder auf und tanzten vor meinem inneren Auge umher. Vor allem die Bilder, welche Hannah ausgegraben hatte, förderten diese Flashbacks. Alleine das erste Bild, brachte lauter Erinnerungen mit sich. Es war schlimm.
Hannahs Lächeln.
Meine Maskerade.
An dem Tag hatte ich zum ersten Mal gespürt, was es heißt, geprellte Rippen zu besitzen. Hannah hatte meine Schmerzen nicht bemerkt, doch ich erinnerte mich an sie, als ich meine leblosen Augen auf dem Bild sah.
Was war ich glücklich, dass Grace meinen Schmerz wahrnahm. Eher jemand reagieren konnte, kippte sie rein zufällig das Wasser über das Papier. Die Klebe der Fotos löste sich auf, die Seiten wellten sich, die Bilder verloren ihre Farbe.Mit jedem Bild, welches zerstört wurde, rückte eine Erinnerung in den Hintergrund. Glücklicherweise hatte mein Kopf noch zehntausend weitere Bilder, welche nachrücken konnte.
Ich konnte nicht mehr.
Das Pochen hinter meinen Augenlidern wurde nicht besser. Steif erhob ich mich, murmelte was von Toilette und verschwand im Bad. Zitternd umklammerte ich das Waschbecken, starrte mein bleiches Spiegelbild an und würgte die aufsteigende Galle hinunter. Trotz Make-up sah ich grausam aus.
Bleiche eingefallene Wangen.
Rötliche Augen, wo teilweise die Wimpern fehlten.
Narben über das halbe Gesicht.
Strähniges Haar.
Die Liste über meine fehlende Schönheit war unendlich. Grace Dunkelheit dagegen war ein krasser Kontrast. Sie erschien plötzlich neben mir, schloss die Tür und setzte sich auf die Toilette. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem lockeren Zopf gebunden, ihre Augen waren mit dunklen Farben stark betont und ihr schlanker Körper steckte in einem überdimensionalen schwarzem Pullover von Diego. Ihre roten Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln, als sie sich noch einmal erhob und das Fenster öffnete. Dann setzte sie sich auf den Fußboden, zog eine Packung Zigaretten hervor und zündete sich lässig eine an. Kommentarlos ließ ich mich auch auf den Boden nieder und nahm dankbar die Zigarette entgegen. Mit leicht geschlossenen Augen nahm ich ein, zwei Züge, inhalierte das Nikotin förmlich und atmete erleichtert aus. Meine hektische Atmung wurde ruhiger und allmählich krochen die Erinnerungen in ihre dunklen Höhlen zurück.Ruhig rauchten wir beide die Zigaretten zu Ende. Niemand sprach. Es war angenehm. Nachdem nur noch ein kläglicher Rest des neuen Wundermittels namens Zigarette übrig war, erhob ich mich und hob den Toiletten Deckel an. Bevor ich den Zigarettenstummel reinwerfen konnte, überrollte mich jedoch eine neue Welle der Übelkeit. Innerhalb von Sekunden brach ich zusammen und kotzte. Krämpfe durchzuckten meinen Körper, während er verzweifelt versuchte, den Magen zu entleeren. Blöd war nur, dass ich nichts gegessen hatte. Ich hatte die Tabletten, welche ich nehmen sollte, mal wieder auf leeren Magen genommen und bekam nun die Quittung serviert.
Mal wieder.
Grace saß kommentarlos daneben. Weder half sie mir, noch sagte sie irgendwas. Sie reichte mir einfach noch eine Zigarette, welche ich ablehnte und verpestete unsere Luft noch mehr. Nach etlichen qualvollen Minuten, betätigte ich die Spülung und ließ mich schlapp auf den Boden fallen. Ausgestreckt lag ich im Bad und versuchte meine Atmung wieder unter Kontrolle zu kriegen. Es gelang mir nicht.„Dir geht es scheiße", bemerkte die Brünette sehr geistreich. Keuchend nickte ich und unterstützte somit ihre Aussage. Ich hätte auch gar nichts sagen müssen, doch ich wollte mich bemerkbar machen. Zum mindestens einmal in meinem Leben, wollte ich was zu meinem Zustand sagen.
Doch ich schwieg schon wieder.
„Du musst hier weg", stellte sie schließlich fest. Lange schaute sie mich an, schwieg, presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. „Weit weg. Das alles hier tut dir nicht gut." Sie beschrieb mit ihren Armen einen weiten Bogen und sah mich weiterhin ernst an. Grace war nie ernst.
Abrupt setzte ich mich auf. Dieses Gespräch wurde intim. Kurz war ich versucht die Flucht zu ergreifen, aber da mir die Kraft dazu fehlte, beließ ich es beim Sitzen. Es war eh ein Wunder, dass Basti mich noch nicht holte. „Lucas hält sie in Schach. Sie denken, wir führen ein Frauengespräch. Hannah war richtig stinkig, als ich gegangen bin", erriet sie meine Gedanken und grinste leicht. Still hob ich eine Augenbraue, dann legte ich mich wieder auf den Rücken. „Du hast schon Pläne, oder", fragte sie mich leise.
„Ja." Meine Stimme war kratzig und klang nicht wie meine. Trotzdem redete ich weiter. „Ich will weg von hier. Weit weg. Für immer."Sie nickte kurz, presste ihre Lippen aufeinander, dann stand sie ruckartig auf und trat an den Spiegel heran. Geschäftig holte sie einen roten Lippenstift aus ihrer Hosentasche hervor und zog ihre Lippen nach. „Für immer?" „Ja. Ich will weg Grace. Ich will einfach nur noch vergessen." Verzweifelt sah ich die Decke an. „Irgendein Ziel?" Routiniert machte sie einen Kussmund, musterte sich aus verschiedenen Blickwinkeln und nickte sich im Spiegel zu. „Mir egal. Himmel oder Hölle. Hauptsache weg."
Schwungvoll drehte sie sich nun um und lächelte leicht. „Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Aber Sam, versprich mir eins: Wenn du gehst, dann mit Würde, okay?" Sie hockte sich neben mich und schaute mir direkt ins Gesicht. Fragend musterte ich sie. Was hatte sie denn jetzt für abgedrehte Gedanken? Ich richtete mich leicht auf.
Ein leichtes Lächeln erschien auf meinen Lippen. „Mein Abgang wird stilvoll sein. Langweilig aber mit einem kleinen Gracetouch." Anerkennend hob sie eine Augenbraue. „Gracetouch?" „Nichts ist so wie es scheint. Das ist doch der Gracetouch oder?" Ein stolzes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Du hast es erfasst, Prinzessin. Und nun erzähl mir deine Idee."
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Broken Inside
De TodoSamantha ist gefallen. Ohne Lucas hat sie ihren Halt im Leben verloren. Er war ihr Fels in der Brandung und hat sie vorm Ertrinken gerettet. Doch nun ist er nicht mehr da. Der Umzug nach England hat sie vollkommen aus der Bahn geworfen und nun versi...