6 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Kotzend hing ich über der Toilettenschüssel. Jackson stand hilflos hinter mir. Er war vollkommen überfordert mit der Situation. Als er mir den Rücken streicheln wollte, war ich fast in die Toilette gefallen, so sehr hatte er mich erschreckt. Nun stand er mir hängenden Armen da und beobachtete meinen Zusammenbruch. Lily war unterwegs zum Sekretariat, mit der Begründung, dass sie sonst mit kotzen müsste. Und Lederjacken Jo stand vor dem Mädchenklo und verhinderte das Eindringen irgendwelcher Menschen.
Den Weg zur Toilette hatte ich sofort gefunden. Nachdem Amber mich konfrontiert hatte, wurde mir kotzübel und ich war gerannt. Nun hing ich hier. Kotzend. Mir war speiübel. Mein Magen rumorte, mein Hals brannte. Inzwischen spuckte ich nur noch Galle aus, mein Magen war schon lange leer. Aufhören konnte ich trotzdem nicht.
Erbärmlich.
So hatte ich mir meinen ersten Tag nicht vorgestellt.

Zierliche Hände berührten mich, strichen mir die Haare aus dem Nacken. Ich zuckte zusammen. "Dein Bruder ist auf dem Weg hierher", flüsterte Lilys Stimme in mein Ohr. Ich schloss schmerzgepeinigt die Augen. Er hatte mit mir echt nur einen Klotz am Bein. "Schsch." Immer wieder strich sie über meinen Rücken. Davon wurde mir nur noch schlechter und ich erbrach mich erneut.
Völlig entkräftet sank ich zurück, lehnte mich gegen die Kabinenwand und ließ den Tränen freien Lauf. Sie brannten auf meiner Haut. Vor allem meine Narbe lief Amok vor Schmerzen. Salzwasser traf auf meine spröden und aufgeplatzten Lippen und brachte auch diese zum brennen. Mein Gesicht stand in Flammen. Lily saß mir gegenüber, ihr Gesicht war vor Anstrengung verzogen. Sie war leichenblass. Anscheinend kämpfte sie damit, bei dem beißenden Gestank nicht auch zu spucken. Eine völlig aufgelöste Sekretärin kam reingestürzt. Ihre hohen Schuhe ließen sie bei ihrer Vollbremsung fast zu Boden gehen, doch sie klammerte sich noch tapfer an die Tür fest. "Wie geht es dir", fragte sie mit gepresster Stimme. "Ich tippe mal auf scheiße", antwortete Jo hinter ihr für mich. Zitternd zeigte ich den erhobenen Daumen. Dann schloss ich die Augen. Konzentriert achtete ich auf meine Atmung und blendete meine Umwelt gekonnt aus.

Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich aufschrecken. Die besorgten Augen meines Bruders schauten mich an. Sanft strich er mir die Tränen aus dem Gesicht, doch ich zuckte zurück. Mit voller Kraft knallte mein Kopf gegen die Wand und ich verzog das Gesicht vor Schmerzen. "Komm", wisperte er mit rauer Stimme. Schwach stand ich auf, schwankte leicht, doch er fing mich auf. "Deine Freunde haben mir deine Sachen schon gebracht."
Meine was?
Das nervige Trio begleitete uns noch zum Auto. "Werde schnell wieder gesund", lächelte Lily zaghaft. "Ich werde Amber zurechtweisen", versprach Jo und Jackson meinte scherzhaft: "Sieh es positiv: Du darf dich jetzt schön Zuhause ausruhen, während wir hier vergammeln."
Ich lächelte schwach. Meine Übelkeit war immer noch vorhanden, doch ich hatte nun wirklich alles ausgekotzt was ging. Routiniert startete Basti den Wagen und lenkte uns durch die neugierigen Schülermenge vom Schulgelände. "Wir fahren zum Arzt. Ich denke nämlich nicht, dass es eine Schockreaktion auf den Artikel war", erklärte er finster. Anscheinend hatten die anderen über die Geschehnisse aufgeklärt. Ich nickte nur und umklammerte beinahe krampfhaft mein Unterleib. Ich hatte höllische Schmerzen. "Vielleicht hast du was falsches gegessen. Vielleicht hast du auch durch den ganzen Stress eine Übersäuerung des Magens." Er begann allerhand mögliche Sachen aufzuzählen, doch die grausamste aller Erklärungen ließ er aus.

Der Arzt entpuppte sich als Krankenhaus. Wenn mein Bruder was wissen wollte, dann musste er immer gleich in die Vollen gehen.
Gott stehe mir bei.
"Dann können sie auch gleich deinen Gips abnehmen. Eigentlich sollte er schon längst ab sein, aber da wir umgezogen sind, hat sich alles etwas verschoben", sprach er leicht nervös weiter. Die Erziehungsposition lag ihm gar nicht. Mit seinem verzweifeltem Drang, alles richtig zu machen, geriet er sehr schnell an seine Grenzen. Und ich war eh nicht die einfachste kleine Schwester, das gab ich ganz offen zu. Kurz gesagt: Meinem Bruder drohten bald die Nerven durchzugehen. Und wenn ich ihn so anschaute, würde das bald passieren.

"Weißt du, was ich nicht verstehe?"
Nein, aber du wirst es mir sicher gleich sagen!
"Im Krankenhaus. Du hast mir mir gesprochen. Wieso hast du da mit mir gesprochen und jetzt, jetzt kriegst du gar keinen Ton mehr mir gegenüber raus?" Sein Blick wanderte kurz zu mir rüber, dann konzentriere er sich wieder auf die Straße. Sein Ton war mitgenommen. Er litt. Und mir wurde schlecht. Direkte Konfrontation war bei mir nie das Beste gewesen. Mit aufgeblähten Wangen beugte ich mir vor, kämpfte mit mir selbst und versuchte verzweifelt nicht zu kotzen. Seine Hand strich über meinen Rücken. Ich kotzte in meine Tüte. Sofort machte sich ein abartiger Gestank breit, weshalb er die Fenster öffnete. "Tut mir Leid", murmelte er, zog die Hand zurück und schwieg. Mein Herz brach in zwei. Mal wieder.
Ich wollte ihn nicht verletzen, aber in mir sein kämpften zwei Seiten gegeneinander: Mein Verstand gegen meinen Instinkt. Und der Instinkt war zur Zeit einfach übermächtig.

Im Krankenhaus zeigte sich mal wieder, das Geld die Welt regierte. Der Name Duncan war immer noch sehr gewichtig. Ich glaube, er war noch nie so aussagekräftig gewesen wie aktuell. Innerhalb von fünfzehn Minuten waren wir dann auch schon dran. Eine junge blonde Ärztin lächelte uns freundlich an. Die war doch höchstens fünfunddreißig Jahre alt. Hatte die überhaupt schon fertig studiert? Als wenn die schon Ahnung von ihrem Job hatte.
Ihr Name war Dr. Peterson. Sie lächelte meinen Bruder einen Augenblick zu lange an, dann wandte sie sich mir zu. Trotzig schaute ich sie weiter an. Mein Bruder übernahm das Reden. "Und warum denken Sie, dass es keine normale Magendarmerkrankung ist", fragte sie interessiert. Nun wurde mein Bruder unruhig. "Nun ja, sie....", er unterbrach sich, schüttelte den Kopf und sah die Ärztin dann ausdruckslos an. "Der Name Duncan sagt Ihnen ja sicher etwas. Meine Schwester wurde vor knapp zwei Monaten schwer misshandelt. Ich tippe daher stark auf zu viel Stress und so." Ich schluckte schwer.
So lange war das schon her?
"Oh", mehr fiel Miss Perfect dann doch nicht ein. "Dann kann der Gips als erstes doch ab, oder", fragte mein Bruder ausweichend. Sie hob eine Augenbraue, nahm dann die Schere und griff sanft nach meiner Hand. Ich zuckte zusammen, biss mir auf die Unterlippe und ließ sie mit der kalten Schere den Gips aufschneiden. Routiniert machte sie meine Haut danach sauber, untersuchte den ehemals gebrochenen Knochen und nickte zufrieden. "Der ist sehr gut zusammen gewachsen." Misstrauisch bewegte ich die Finger. Es war ein eigenartiges Gefühl. Sie rollte mit ihrem Stuhl zum Computer, tippte etwas ein und wandte sich dann mir wieder zu. Mein linker Arm war immer noch um meinen schmerzenden Bauch geschlungen. "Leg dich doch bitte mal auf die Liege." Skeptisch kam ich ihrem Befehl nach und lag steif da. Sanft drückte sie auf bestimmte Stellen und fragte immer wieder: "Tut das weh?" An mehreren Stellen schoss ich fast senkrecht hoch und hätte ihr am liebsten die Augen ausgekratzt vor Schmerzen. Meine Rippen waren zwar verheilt, aber immer noch sensibel. "Eigenartig", murmelte sie und ihre Stirn legte sich nachdenklich an Falten. Augenblick war mein Bruder bei uns und sah sie verzweifelt an. "Sie ist siebzehn, oder?" "Ja...", unsicher setzte sich mein Bruder auf den Rand der Liege und sah die junge Ärztin an. "Sie sagten, Ihre Schwester sei misshandelt worden. Nun ja, es muss natürlich nicht stimmen, aber im Falle einer Vergewaltigung kann es natürlich auch zu unerwünschten Folgen kommen." Mein Bruder wurde kreidebleich. "Sie meinen....." "Ja, genau, das meine ich." Ihre weichen Augen schauten nun mich an. „Samantha, wann hattest du zum letzten Mal deine Periode?"

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt