54 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Platt wie eine Flunder lag ich auf dem Boden und starrte die weiße Decke mit ihren grauen Flecken reglos an. Morgen würde die Schule wieder losgehen und ich war absolut nicht bereit dafür.
Wann war man das schon?
Jeder Tag war anstrengend. In einem Haus Menschen aus dem Weg zu gehen war einfach, in einer Wohnung weniger. Trotzdem hatte ich es erfolgreich geschafft, Basti nie länger als zehn Minuten am Stück ertragen zu müssen. Da Damon vor ein paar Tagen nochmal zu seiner Familie gefahren war, hatte ich mich teilweise sogar in sein Zimmer verkrochen. Da hatte mein großer Bruder bislang noch nicht gesucht. Er war halt doch nicht so schlau wie er dachte. Dazu kam auch, dass er nicht annähernd wusste, wie ich zu seinem Mitbewohner stand. Er wusste eh nicht viel über mich. Und das war mir inzwischen sogar sehr recht.

Anscheinend hatte er aber heute die gleiche Erkenntnis gehabt, denn er wuselte andauernd um mich herum und redete mit mir. Selten hörte ich ihm zu. Auch jetzt klopfte er an der Tür und trat ruhig rein. „Hätte ich gewusst, dass du den Boden bevorzugst, hätte ich ja kein Bett kaufen müssen", schmunzelte er. Augenverdrehend richtete ich mich auf und neigte meinen Kopf. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr hatte ich mich an meine blinde Seite gewöhnt und bekam nicht mehr sofort Panik, wenn sich jemand aus dem toten Winkel anschlich. Das war aber auch die einzig positive Entwicklung würde ich sagen.  Schwerfällig ließ er sich auf den Boden nieder und sah mich abwartend an.
Ich eröffne definitiv kein Gespräch.
„Also, Sammy. Ich habe eine Idee", begann er auch schon. Innerlich verzog ich mein Gesicht. Dieser Satz war meistens mit etwas negativem behaftet. Mit etwas sehr negativem. In meinem Kopf waren auch eine Menge Ideen, aber keine davon war positiv. Und wenn anderem Menschen ihre Ideen für positiv hielten, waren sie für mich meistens negativ.

Ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah ihn abwartend an. „Wir gehen heute Abend ins Kino. Und essen zusammen richtig schick. Wir machen mal so einen richtigen Bruder-Schwester-Abend!" Er sah mich hellauf begeistert an. Da hatten wir ein exzellentes Beispiel für eine eigentlich gut gedachte Idee, welche ich dagegen als negativ empfand. Das Problem mit uns beiden war, dass ich ganz andere Vorstellungen von einem Bruder-Schwester-Abend hatte. Eine davon war, dass sowas nicht stattfand. Ich atmete schwer ein, dann sah ich ihn aufrichtig an. „Können wir vielleicht was anderes machen? Ich will mit diesem Gesicht nicht unbedingt essen gehen", gestand ich leise und biss mir auf die Lippen. Sofort schmeckte ich Blut. Ein Kinobesuch stand auch nicht unbedingt weit oben auf meiner Liste. „Oh, ja klar, dass verstehe ich. Also...", begann mein Bruder herum zu stottern. Wir beide waren nicht gut in diesem Geschwisterding. Ganz früher waren wir es einmal, aber das hatte sich schnell geändert. Umso schwerer fiel es uns jetzt.
Er bemüht sich immerhin.
Ich hatte zwar ein kaltes Herz, aber in so herum stottern zu sehen, tat selbst mir in der Seele weh. „Wir könnten doch ins Kino gehen und vorher hier noch Pizza oder so bestellen", schlug ich vor. Das wäre ein Kompromiss den ich gerade noch eingehen würde. Erleichtert stieß er Luft aus seinen Lungen aus. „Wäre das für dich in Ordnung?" Ergeben nickte ich. „Ist ja dunkel im Kino." Das war auch der einzige Grund, warum ich dies machen würde. Ein breites Strahlen erstreckte sich über sein Gesicht. Immerhin war er glücklich. „Okay, dann bestelle ich eben mal schnell Karten und du suchst dir Essen aus." Voller Motivation hechtete er aus dem Raum. Der Film würde für mich wohl eine Überraschung werden. Auch gut.

Da ich absolut nicht wählerisch bei Essen war und nur ein Kriterium hatte, nämlich dass es eine kleine Portion sein musste, wählte ich einen Burgerladen aus. Da konnte mein Bruder sich den Bauch voll schlagen und ich hatte meine Pommes. Und wenn ich die nicht schaffen würde, könnte er sie haben. Win win.
Mein Bruder, der leider ein absoluter Gourmet geworden war, verzog leicht das Gesicht. „Burger? Ehrlich? Ich glaube, den letzten hatte ich vor zehn Jahren."
Gott, wie konnte er überleben?
„Aber gut, dein Wunsch ist mir Befehl." Er ergriff das IPad und gab seine Bestellung ein. Alleine seine Liste würde für uns beide reichen. Für die nächsten zehn Jahre vermutlich auch. Wortlos nahm ich das Gerät an mich und gab meine Bestellung in Form einer kleinen Pommes ein. Stirnrunzelnd beobachtete er mich dabei. „Nimm wenigstens einen Salat dazu." Aja, ich war ja eine Vegetarierin für ihn. Trotzig sah ich ihn an. Ich hatte absolut keinen Hunger, doch er duldete keinen Widerspruch. Da ich mich aber nicht rührte, nahm er mir das IPad aus der Hand und ergänzte die Bestellung um einen normalen Salat. Toll. Noch mehr Essen war ich wegschmeißen würde. „So, und das wird gegessen. Wenn du weiterhin das Essen verweigerst, wird der Wind dich noch umwehen", entschied er und drückte auf bestellen. „Na und. Was juckt es dich?" Sofort schossen seine Augenbrauen in die Höhe. Ups. Manche Gedanken sollten lieber in meinem Kopf bleiben. Peinlich berührt biss ich mir auf die Lippen und wich seinem Blick aus.
„Bitte?" Anscheinend konnte er meine Worte selbst nicht glauben, denn er sah mich unglaublich an. Wenn die Katze schon aus dem Sack war, konnte ich meinen Frust auch ganz rauslassen.
Wenn schon, dann richtig.
„Was interessiert es dich", wiederholte ich das gesagte etwas höflicher und leiser. Unauffällig kroch ich auf mein Bett und ergriff die Bettdecke. Ich hasste Konfrontationen. Sie eskalierten immer so schnell und bescherten nur Leid und Schmerzen. Doch nun täte ich leider eine angefangen. Aufgebracht sprang Basti auf und begann im Zimmer auf und ab zu tigern. Komplett aufgelöst schaute er mich an, blieb immer wieder stehen und wollte was sagen, doch kein Wort verließ seine Lippen. Andauernd strich er sich über sein kariertes Hemd oder durch seine Haare. Ich schwieg und sah ihn leicht ängstlich an. Mein Bruder kam immer sehr nach meinem Vater. Es explodierte schnell, wurde laut und herrisch. Kontrolle über seine Emotionen waren nie seins gewesen. Abrupt hielt er inne, wirbelte zu mir herum und leckte sich nervös über die Lippen. „Denkst du das wirklich?"

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt