44 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Die Ruhe überkam mich. Die ganze Anspannung der letzten Tage fiel von mir ab und ich lächelte meinen Freunden hinterher.
Endlich waren sie weg.
Ruckartig löste ich meinen Blick von ihren Rücken und stiefelte in die Wohnung. Sie würden in ein paar Stunden zum Flughafen fahren und dann zurück nach Amerika fliegen. Der Abschied war anstrengend gewesen, weshalb ich froh war, dass sie nun weg waren.
Hannah hatte mich umarmen wollen. Ich war ausgewichen.
Lucas hatte mich umarmen wollen. Ich habe es ertragen.
Elli hatte eine Kaugummiblase platzen lassen. Wir hatten uns zugenickt.
Leon hatte seine Hände in den Jackentaschen versteckt. Ich habe ihn nicht angeschaut, so bedrohlich wirkte er.
Grace hatte mal wieder geraucht, mich abschätzig angeschaut und die Nase verzogen. Ich hatte sie daraufhin auch ignoriert.
Und Diego und ich hatten uns ebenfalls nicht mal mit dem Arsch angeschaut. Der große dunkelhaarige Junge machte mir extrem Angst.
Trotzdem hatte ich mir ein Lächeln abgemüht und so getan, als wäre ihr Aufenthalt hier toll gewesen.
War er nicht.
Es war ein lebendiger Albtraum gewesen. So viele Menschen auf engem Raum und alle wollten mit mir reden oder mich berühren. Es war abartig, wie viel Körperkontakt man normalerweise mit Menschen hatte!
Eine Umarmung hier, ein Händedruck da. Ein Tätscheln hier, ein Berühren da.
Auch wenn es oft nur die Hände waren, die sich berührten, reichte mir dies.

Das erste Mal seit Tagen war ich etwas entspannt. Eine plötzliche innere Ruhe überkam mich, als ich mich auf mein Bett fallen ließ. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein und aus. Mein Bruder räumte irgendwas umher, aber das war auch schon das einzige Geräusch, welches zu mir durchdrang. Die ganze Anspannung wich von mir. Endlich waren die vielen Menschen aus meiner Privatsphäre entschwunden. Ich hatte wieder einen Radius von mindestens drei Metern um mich herum wo kein Mensch war.
Angenehm.
Es war toll zu wissen, dass keiner meiner Freunde demnächst in mein Zimmer kommen würde.
Niemand, der mit mir reden wollte.
Niemand, der irgendwas von mir wollte.
Niemand, der hier war.
Viele Menschen vergaßen, dass Abstand genau das war, was ich brauchte. Ich brauchte meine Zeit, meine Ruhe, meinen Frieden. Sobald Menschen um mich herum waren, fühlte ich mich bedrängt, bedroht, unsicher. Mein Frieden verschwand, nahm mir meine Ruhe und ich hatte auf einmal keine Zeit mehr, mich auf Situationen einzulassen. Und genau diese Zeit brauchte ich.

Es gab Menschen, die konnte man ins kalte Wasser werfen und sie lernten sofort schwimmen. Und dann gab es Menschen, die warf man ins Wasser und sie ertranken erstmal, weil sie eine Schockstarre erlitten und überfordert mit allem waren. Ich war definitiv Typ Nummer zwei. Ein jeder wollte mich sofort dazu bringen, wieder Kontakt aufzubauen und sozial zu handeln. Jeder vergaß, dass ich Jahrelang ein Kartenhaus aufrecht erhalten habe. Eine qualvoll lange Zeit hatte ich das Kartenhaus, welches sich mein Leben nannte, aufrecht erhalten und versucht sozial zu sein. Doch dieses Kartenhaus war langsam aber sicher zusammengekracht. Karte um Karte war gefallen und ich musste mir nun erstmal ein neues Kartenhaus erschaffen. So wackelig dieses Kartenhaus auch war, es war ein Schutz. Und dieser Schutz war zusammen gebrochen.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt