Lucas P.o.V.
Annie war super. Auf dem ersten Blick war die kleine Brünette vielleicht etwa unscheinbar, aber sie hatte es faustdick hinter den Ohren. Klein, aber oho. Mit diesen Worten konnte man sie perfekt beschreiben. So schüchtern sie auch auf den ersten Blick wirkte, so vorlaut war sie in Wirklichkeit. Es war herrlich. Man konnte mit ihr stundenlang lachen und diskutieren ohne das einem langweilig wurde. Leider wohnte sie eine Stadt weiter und somit sahen wir uns nur alle paar Tage oder nur am Wochenende. Doch das war für uns beide in Ordnung. Und so kam es, dass wir uns trotz seltenen Sonnenschein in ein gemütliches Café verdrückt hatten und die Leuten durch die großen Glasscheiben beobachteten.
„Faszinierend oder?" „Hm", gab ich wenig intelligent als Antwort und verschluckte mich vor Schreck an meinem Kaffee. Mit einem breiten Lächeln setzte sie sich auf ihrem Stuhl um und sah mich an. „Hast du mir überhaupt zugehört", lachte sie und schüttelte fassungslos ihren Kopf. Ein Glück waren ihre langen Haare im Zopf zusammengeflochten, denn sonst hätte ich jetzt Kaffee und Kuchen mit Haaren. „Nicht wirklich. Entschuldige. Was hattest du gesagt?" Innerlich gab ich mir eine Ohrfeige. Vor mir saß ein traumhaftes Mädchen und ich war dabei es zu ruinieren. „Heute ist Samstag und morgen ist Sonntag. Wie jedes Wochenende. Und trotzdem benehmen sich die Menschen so, als würde morgen die Welt untergehen", kopfschüttelnd nickte sie zu einer edel gekleideten Dame, welche mühsam zwanzigtausend Tüten mit sich schleppte. „Ich glaube kaum, dass man mit Markenkleidung sich vor dem Weltuntergang retten kann", bemerkte ich mit gerunzelter Stirn. Als wäre die Frau einen Marathon gelaufen, blieb sie keuchend stehen und versuchte umständlich ihren Schal wieder richtig zu drapieren. Es gelang ihr natürlich nicht. Dank des nassen Bodens konnte sie ihre Tüten nicht abstellen und somit musste sie sich mit ihrem verrutschten Schal zufriedengeben. „Naja, du musst es so sehen", begann Annie und schob sich ein Stück Apfelkuchen in den Mund. „Wenn die Aliens kommen und uns umbringen werden, wird sie vielleicht als letztes sterben, da die Aliens lieber einen Modesünder zuerst umbringen wollen. Und da sie perfekt gekleidet ist, wird sie zehn Minuten länger leben, als der Rest der jämmerlichen Menschheit." Zufrieden mit ihrer Begründung trank sie einen Schluck Kakao und lehnte sich grinsend zurück. Die Arme vor ihrem üppigem Busen verschränkt, schaute sie mich aus ihren blauen Augen herausfordernd an. Die Diskussion war eröffnet. „Ja, aber was wäre, wenn die Aliens ihre Kleidung haben wollen und sie somit als erstes umbringen? Dann war die ganze Shoppingtour und die Geldausgaben umsonst gewesen", schlussfolgerte ich und trank meinen Kaffee in einem Zug aus. „Aber immerhin sieht sie gut aus. Besser in überteuerter Kleidung, welche Kinder gemacht haben, sterben, als in billiger Kleidung, welche Kinder gemacht haben", fuhr sie todernst ihren Standpunkt weiter aus. Verächtlich schnaubte ich. „Nur weil die Klamotten tausend Dollar mehr gekostet haben, heißt das nicht, dass die Kinder besser bezahlt wurden." „Aber dein Gewissen ist beruhigter. Vielleicht hatten die Kinder statt fünf Minuten zehn Minuten Arbeitspause. Das weißt du ja nicht", sie fuchtelte mit ihrer beladenen Gabel herum. Selbst sinnlose Diskussionen konnten bei ihr immer einen Funken ernst enthalten. „Also ich würde vor einer Alieninvasion Essen und Waffen kaufen", erwiderte ich, wechselte damit gekonnt das Thema und ergriff ihre gestikulierende Hand. Bevor sie reagieren konnte, klaute ich ihre Gabel und gönnte mir das Stück Kuchen. „Arschloch", brummte sie im milden Tonfall. „Pff." Gütig wie ich war, gab ich ihr ihre Gabel zurück. Glücklich machte sie sich über ihren Kuchen her. „Ihr Jungs und eure Waffen." Kauend fuchtelte sie wieder mit ihrer Gabel umher. Wenn jetzt jemand vorbeigehen würde, hätte er ein Auge weniger.
„Ich würde Pfefferspray nehmen." „Und wieso keine Knarre? Oder deine Gabel", lachte ich, als ein verzweifelte Kellner ihr die Gabel abnahm und auf den Tisch legte. Anscheinend war es ihm zu gefährlich geworden. Ungerührt ergriff sie die Gabel wieder und aß weiter, nur um Sekunden später wieder mit dem verdammten Ding durch die Luft zu wirbeln. „Na, also wenn schon würde ich wie Rapunzel eine Bratpfanne nehmen. Gabel bringen es nicht so." Zufrieden mit ihren Gedanken nickte sie. „Und wegen deiner Knarre: vielleicht sind die Aliens so stark gepanzert, dass keine Kugel sie durchdringen kann." „Und vielleicht sind sie immun gegen dein Pfefferspray. Was machst du dann", fragte ich und lehnte ich mich gespannt zurück. Ich liebte solche sinnlosen Diskussionen. Man vergaß die Sorgen der Welt und bekam einen tollen Einblick in die Gedankenwelt des Anderen. „Dann würde ich die sicherste alle Methoden wählen." Nun hatte sie meine Neugierde auf ihrer Seite. „Und die wäre?" Grinsend nickte sie in Richtung Fenster, wo ein untersetzter Mann in Bermudashorts und offenen Fellmantel vorbei stiefelte. „Ich würde mich so kleiden wie der werte Herr dort draußen. Wenn mich die Aliens so sehen würden, würden sie schreiend wegrennen", lachte sie leise in sich hinein. Verzweifelt versuchte ich ernst zu bleiben, aber sein Anblick erschwerte es mir. „Bitte sag mir, du würdest auch diese perfekten roten Gummistiefel tragen." Sie sah mich ernst an und nickte übertrieben. „Natürlich. Und das pinke Top unter dem Mantel. Für dich würde ich sogar Gel in meine Haare machen. Vielleicht könnte ich auch noch eine Feder in die Haare reinstecken", überlegte sie. Ich wollte gerade was erwidern, als mein Handy piepste.
Irritiert zog ich es aus meiner Jackentasche hervor. Annie bekam es nicht wirklich mit, da sie eine hitzige Diskussion mit dem wütenden Kellner anfing, welcher inzwischen, genervt von ihrem Gefuchtel, eine Schimpftirade angefangen hatte. „Schon das von Sam gehört?", lautete Grace kryptische Nachricht. Stirnrunzelnd sah ich auf den Bildschirm. Gestern hatte ich mit Sam noch geschrieben und da sah die Welt verhältnismäßig rosig bei ihr aus. Zum mindestens meinte sie das. Bevor ich was antworten konnte, widmete Annie mir ihre Aufmerksamkeit. Der Kellner dampfte wütend mit der Gabel ab. Anscheinend hatte er gewonnen, doch sie nahm einfach meine Gabel vom Teller und aß in Ruhe den Rest Kuchen auf. „Alles in Ordnung? Du bist so blass", stellte sie leicht besorgt mit. Unsere Scherze von eben verblassten in der Vergangenheit. Die Gabel behielt sie in der Hand. „Ja...nein", stammelte ich. Leider war das Mädchen nicht dumm. Ausnahmsweise legte sie die Gabel hin und legte sie über den Tisch zu mir rüber. Ihre zierlichen Finger ergriffen meine Hände und drückten sie sanft. „Hey. Was ist los?" Aus unserem lockeren Geplänkel war ein ernstes Gespräch geworden und ich verfluchte mich dafür. Hätte ich das Handy mal stumm gehabt. Tatsächlich hatte ich es seit Sams Vorfall nicht mehr stumm gestellt gehabt. Die Angst, dass wieder was passieren könnte, war zu groß.„Eine Freundin hat mir geschrieben." Jedes andere Mädchen hätte sicher eine Eifersuchtsszene geschoben, doch sie sah mich nur weiterhin besorgt an. „Anscheinend ist bei einer gemeinsamen Freundin was vorgefallen", erklärte ich lahm die Situation. „Samantha?" Das ich mit Sam befreundet war, wusste sie. Was vorgefallen war auch, da es überall in den Median war. Stumm nickte ich. „Ruf sie an", lächelte sie nun und drückte meine Hände noch einmal bestärkend. „Aber unser Date..." Energisch schüttelte sie den Kopf. „Man darf für neue Freunde niemals seine alten Freunde hängen lassen. Und Samantha hat wirklich gelitten. Ich glaube, sie braucht einen Freund. Sonst hätte dir deine andere Freundin niemals geschrieben", entschied sie. Ich öffnete den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Was sollte ich darauf auch erwidern? „Na los. Geh schon mal raus und rufe sie an. Ich bezahle in der Zeit und rede mal mit meinem Bruder ein ernstes Wort." Auf meinen irritieren Blick hin, zeigte sie auf den groß gebauten Kellner, welcher eben munter mit ihr diskutiert hatte. „Was meinst du, warum er so mit mir geredet hat", lachte sie. „Und nun schwing deinen geilen Arsch vor die Tür und rufe das Mädchen an!"
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Broken Inside
عشوائيSamantha ist gefallen. Ohne Lucas hat sie ihren Halt im Leben verloren. Er war ihr Fels in der Brandung und hat sie vorm Ertrinken gerettet. Doch nun ist er nicht mehr da. Der Umzug nach England hat sie vollkommen aus der Bahn geworfen und nun versi...