23 Kapitel

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Bastian P.o.V.

Hätte mir irgendjemand mal erzählt, dass meine eigene Schwester Angst vor mir haben würde, hätte ich ihn haltlos ausgelacht. Früher hatten wir eine gute Beziehung zueinander gehabt. Sie hatte geschwiegen, wenn ich mal wieder heimlich auf einer Party gewesen war und ich hatte ihr im Gegenzug meine Freunde vorgestellt. Unser Vater hatte immer einen enormen Druck auf mich ausgeübt. In allen Fächern musste ich Bestnoten bringen. Zusätzlich habe ich früh angefangen, ihm bei seinen Arbeiten über die Schulter zu schauen und Kundengespräche zu beobachten. Nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung eines Teenagers, aber ich habe es gemacht. Er war der festen Überzeugung gewesen, ich würde in seine Fußstapfen treten. Samantha hatte er immer in Ruhe gelassen. Zum mindestens hatte ich das bis vor kurzem angenommen. Gefühlt war mein Leben unter der Fittich des großen Geschäftsmannes Peter Duncan schon grausam gewesen. Ich hatte mich immer eingeengt gefühlt. Jeden Ausweg hatte ich genutzt. Ein Jahr Internat? Immer gerne. Ein extra Kurs in der Schule um länger fortzubleiben? Klar. Aber im Nachhinein kam mir mein Leben harmlos vor. Meine kleine Schwester dagegen war durch die Hölle gegangen.

Sonja kam lächelnd auf mich zu und riss mich aus meiner Gedankenwelt. Wie so oft stand ich vor dem Café in dem sie nebenbei jobbte und wartete auf sie. „Solltest du nicht bei deiner Schwester sein?" Ihr sanftes Lachen drang zu mir rüber. „Damon ist bei ihr", lächelte ich und zog sie an mich. „Danke, dass du mich mal wieder abholst", strahlte sie, während ich einfach nur ihren herrlich süßen Geruch einatmete. Sanft gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn, dann ließ ich sie los. „Darf ich dich noch zum Essen einladen" Zaghaft lächelte ich sie an, woraufhin sie sich strahlend bei mir einhakte. „Gerne. Ob du es glaubst oder nicht, ich verhungere schon", lachte sie und und klopfte sich auf ihren untrainierten aber relativ flachen Bauch. „Also alles wie immer", schmunzelte ich. Schweigend liefen wir Hände haltend durch die weihnachtlich geschmückte Fußgängerzone. „Wieso bist du nicht bei deiner Schwester?" Hartnäckig wie sie war, eröffnete sie das Gespräch. Kurz sah ich zu ihr rüber. Braune Haarsträhnen flogen ihr ins ungeschminkte Gesicht und ließen sie wie eine Jugendliche erscheinen. „Sie hat Angst vor mir." Meine knappe Antwort missfiel ihr sichtlich, denn sie blieb abrupt stehen und sah mich forsch an. Vor ihr konnte ich einfach nichts verbergen. „Wie meinst du das?" „Genau so wie ich es gesagt habe", seufzte ich und sah ihr schmerzgepeinigt in die braunen Rehaugen. Sofort wurde ihren Gesichtszüge weicher und sie zog mich in eine ihrer legendären Umarmungen. „O Basti. Das tut mir so leid", begann sie, doch brach ihre tröstende Rede dann ab.

Ich vergrub mein Gesicht in ihre weichen Haare. „Ich weiß doch, wie sehr du sie liebst. Aber versprich mir eins", sie packte meine Schultern und sah mich eindringlich an. Das sie dabei den Kopf legen musste, ließ sie weniger bedrohlich aussehen. Trotzdem machte mir ihr intensiver Blick etwas Angst. „Ich kenne dich gut, deshalb versprich es mir: Bitte gib dir nicht die Schuld an ihrem Leben. Das macht dich nur kaputt!" Ihre sonst so sanfte Stimme hatte einen Ton angenommen, dem ich niemals widersprechen würde. Niemals. Ich war nicht Lebensmüde. Also seufzte ich laut, sagte aber nichts. Kurz lächelte sie mich an, dann ging sie gemütlich weiter. Sonja wusste ganz genau, dass ich ihr niemals ein Versprechen abschlagen würde. Und brechen würde ich es auch nie.
„Wie gedenkst du deiner Schwester zu helfen?" Nachdenklich liefen wir mit dem Storm von Menschen durch die erleuchteten Straßen. „Ich wollte ihre Freunde anrufen. Also ihre Freunde aus Amerika. Ich glaube, dass würde ihr helfen. Sie und Lucas hatten eine, nennen wir es mal so, spezielle Beziehung." „Speziell", echote sie und sah mich fragend an. Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Erklären könnte ich das Ganze auch nicht. „Frag mich nicht. Ich wusste bis vor kurzem nicht einmal, dass die beiden befreundet sind! Aber anscheinend vertraut sie ihm. Sie vertraut ihm mehr als mir, würde ich sagen", gestand ich mir leise ein und fuhr mir verzweifelt durch die feuchten Haare. „Bastian", ermahnte mich meine Freundin streng. „Du machst dir schon wieder zu viele Sorgen. Hör auf damit!"
Wie ein braver Schuljunge nickte ich ergeben. „Ich denke, dass wird sie freuen. Hat Samantha nicht eh kurz nach Weihnachten Geburtstag?" Wieder nickte ich. „Da wäre doch ein Wiedersehen mit ihren Freunden ein tolles Geschenk", schlussfolgerte die Frau neben mir. „Ja, das dachte ich mir auch."

Schweigen machte sich wieder breit. Es war aber keines dieser unangenehmen Schweigen. Hand in Hand liefen wir weiter. Jeder von uns hing seinen eigenen Gedanken nach. Ich machte mir Sorgen um meine Schwester. Meine Freundin sorgte sich vermutlich um mich. Sonja konnte sagen was sie wollte: Meine Schuldgefühle würden nie verschwinden. Niemals.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt