10 Kapitel

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Samantha P.o.V.

"Heute Abend steigt eine Party. Was ist, bist du dabei", fragte Amber und baute sich vor Jos und meinem Tisch auf. Es war Freitag. Die Woche hatte ich mit schweigen, ritzen und schlafen überlebt. Eine Party war das Letzte, was ich wollte. "Lily hat Geburtstag", erklärte sie mir nun. "Genau. Und deshalb verstehe ich nicht, wieso du die Leute zu meiner Feier einlädst", lachte diese und kam fröhlich lachend auf uns zu. Amber verzog ihren kleinen Mund. "Weil du sonst nur langweilige Leute einladen würdest", erklärte sie dann entschieden. "Unser ganzer Jahrgang ist eingeladen. Und die Freunde meines Bruders", konterte Lily und schüttelte lachend den Kopf. Diese Freundschaft der beiden war echt komisch. Einerseits hassten sie sich, aber im nächsten Moment liebten sie sich wieder. Das kam mir auf Dauer echt ungesund vor. "Ich hatte eigentlich am Dienstag, wo du nicht da warst Geburtstag, kann aber erst heute feiern", erklärte sie dann und lächelte mich an. Immerhin schien sie mir meine Abwesenheit nicht übel zu nehmen.
"Geht es um deine Party", mischte sich Jackson ein und umarmte die Brünette von hinten. "Jip. Sam soll auch kommen." Lily strahlte übers ganze Gesicht und drückte seinen Arm an sich. "Gute Idee", antwortete Jo und lächelte mich herzlich an. Seit einer Woche versuchte er mich verzweifelt zu integrieren und sah nun seine Chance gekommen. "Ich weiß nicht", schrieb ich auf meinen Block. Seit mein Gips ab war, war dies mein Kommunikationsmittel. Meine Schrift war zwar alles andere als leserlich, aber das war mir egal. Meine Muskeln mussten eben erst wiederkommen. "Komm schon! Das wird echt cool...", hielt Jo dagegen, während seine Schwester hyperaktiv auf und ab wippte. "Ja, Lily schmeißt die geilsten Partys! Ihr Bruder ist schon 24 Jahre alt und besorgt uns richtig viel Alkohol", erklärte sie breit lächelnd. Ich sah sie nachdenklich an. Amber war eigentlich die ganze Zeit nett zu mir, doch sie erinnerte mich zu sehr an Isabella, weshalb ich nicht warm mit ihr wurde.

Jedoch ließ die Erwähnung von Alkohol mich aufhorchen. "Du brauchst mir auch nichts zu schenken", lächelte Lily. Das war natürlich ein Argument zu kommen.
Wie alt wurde sie eigentlich?
"Deine Anwesenheit ist ihr Geschenk genug", spottete Jackson und erntete dafür einen Schlag auf den Oberarm. "Er hat aber recht", meinte sie dann und lächelte wieder. Konnte sie auch mal was anderes machen als Lächeln? Geschlagen zuckte ich mit den Schultern. "Ich muss meinen Bruder aber noch fragen!" "Ja klar. Du hast ja meine Handynummer. Schreib mir einfach, ob du darfst oder nicht. Und falls ich nicht antworte...", sie beugte sich über den Tisch und schrieb mit eleganter Schrift ihre Adresse auf meinen Zettel. "Für den Fall der Fälle. Ich habe noch so viel vorzubereiten. Somit kannst du einfach kommen!" Überglücklich strahlte sie mich an. Ich zeigte ihr den Daumen hoch, was sie grinsend wahrnahm. Ganz überzeugt war ich nicht.
Wobei, eine Party wäre schon ganz nett. Einfach abschalten und feiern, dass hatte ich ewig nicht gemacht. Ich würde wahrscheinlich den Preis für die schlechteste Mutter aller Zeiten kriegen, aber im Vergleich zu unserem Vater, war ich dann wiederum doch ein wahrer Engel. Und wenn jemand ein Problem damit hatte, sollte er die Klappe halten. Gedankenverloren legte ich eine Hand auf meinen flachen Bauch. Noch immer war ich zu dünn. Die Rippen waren sowohl spürbar als auch sichtbar. Und nun wuchs in mir drin ein kleiner Mensch heran. Kaum zu glauben. Vielleicht würde ich irgendwann so aussehen wie Bella in Twilight. "Hey, geht es dir nicht gut? Ist dir schlecht", flüsterte Lederjacken Jo da auch schon und lehnte sich zu mir rüber. Panisch erwachte ich aus meiner Melancholie und nahm meine Hand vom Bauch. Heftig schüttelte ich den Kopf, was er mit einem kritischen Blick abtat. Ich lächelte kurz gekünstelt, damit er mich in Ruhe ließ. Es wirkte. Ein Stich zuckte durch mein Herz. Lucas hätte mir das niemals so leicht abgekauft. Er hätte mich angeschaut und gewusst, was ich gerade dachte. Er hätte mich verstanden. Meine Haare fielen mir ins Gesicht als ich zusammensackte. Ich vermisste das arrogante Arschloch. So sehr er mich auch früher schikaniert hatte, er hatte es wieder gut gemacht. Er hatte es erklärt, sich entschuldigt. Das hatte mein Vater nie gemacht.

"Nein", widersprach mein älterer Bruder heftig. Er saß gelassen mit Damon auf der alten Couch im Wohnzimmer, während ich auf dem Boden davor saß und ihn bittend mit meinen Zetteln in der Hand ansah. "Das letzte Mal, als du auf einer Party warst, warst du extrem betrunken. Das mache ich nicht noch einmal mit!" Wieso musste er ausgereicht jetzt seine brüderlichen Gefühle für mich entdecken? Da ich mir über die Unterhaltung im Vorfeld viele Gedanken gemacht hatte, hob ich meinen Zettel hoch und zeigte auf eine Zeile. "Das war eine Party, nun geht es um einen Geburtstag!" "Wo ist da der Unterschied", er schüttelte der Kopf und verschränkte seine Arme vor seiner kräftigen Brust. Prinzipiell gab es da keinen Unterschied, aber das war ja egal. "Das liegt doch auf der Hand!" "Das ist ein riesiger Unterschied", fing nun auch Damon an, welcher gelassen sein stinkendes Bier aus einer Dose schlürfte. "Auf einer Party besauft man sich grundlos, auf einem Geburtstag zu Ehren des Geburtstagskindes."
Besser hätte ich es auch nicht erklären können.
"Und genau das ist mein Problem. Du bist zu jung für so viel Alkohol!" Die Falte auf seiner Stirn wurde immer tiefer, während er sich gegen Damon und mich wehrte. Innerlich schnaufte ich auf. Wenn er wüsste, wie viel ich schon in mich rein gekippt hatte, würde ihm ganz anders werden. "Mensch Basti. Mach dich locker. Sie ist siebzehn Jahre alt. Bald achtzehn. Lass sie doch mal Spaß haben und freue dich, dass sie Freunde gefunden hat", moserte sein Kumpel und haute ihm feste auf die Schulter. Mein Bruder zuckte nicht zusammen, ich dagegen schon. "Aber sie ist schwanger", verzweifelt sah mein Bruder uns beide an. Natürlich musste er dieses Argument bringen. "Na und, sie treibt das Ding doch eh ab!" Danke Damon, endlich einer der mich verstand. Allerdings würde ich ihm für diese Denkweise definitiv keinen Preis verleihen. Ich vermutete stark, dass sie nicht pädagogisch wertvoll war. "Damon, Alter." Mein Bruder drehte sich verstört zu ihm. "Bist du sicher, dass du Arzt werden willst?" Statt verletzt zu reagieren, rülpste er einmal laut und zwinkerte mir zu. Angewidert wich ich unauffällig ein Stück weg. Biergeruch lag in der Luft. Alkohol war kein Problem. Alkohol in Kombination mit Männern ließ die Galle in mir hoch steigen. "Komm schon Basti. Sie ist eine Jugendliche. Sie hat scheinbar Freunde gefunden! Sie hatte lange genug ein scheiß Leben, jetzt lass sie Spaß haben!" Ich sah meinen Bruder bittend an. "Ich fahre dich hin und hole dich ab." Damit schien mein Bruder das Thema für beendet erklärt zu haben. Ich konnte von Glück reden, dass ich nicht bleiben wollte. "Quatsch, du hast Montag eine wichtige Prüfung und brauchst deine Ruhe übers Wochenende. Ich hole sie ab", widersprach Damon sofort. Skeptisch schaute mein Bruder mich an. "Wäre das für dich in Ordnung?" Ich wusste nicht einmal, dass bei ihm eine Prüfung anstand. Ich zuckte mit den Schultern. In einem Auto mit Damon? Klar. Davon träumte doch jeder Mädchen.
Das wird der Horror.
Misstrauisch musterte ich den besten Freundes meines Bruders. Er war mir immer noch nicht wirklich geheuer. Trotzdem nickte ich. Bevor noch jemand was sagen konnte, sprang ich auf und verkroch mich in mein Zimmer. Anmutig setzte ich mich vor den Spiegel und kramte meine Schminke und mein Make-up hervor. Mit ruhiger Händen begann ich mit routinierten Bewegungen meine Unebenheiten in der Haut abzudecken. Ruhig cremte ich die Verletzungen ein und puderte eine Menge Abdeckpuder obendrauf. Kurz brannte es wie Hölle, aber ich biss mir auf die Lippen und setzte den Prozess fort. Retten tat es nichts, aber immerhin minimierte es den schrecklichen Anblick.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt