31 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Wie ein Spatz hatte ich das Essen hinter mich gebracht. Beim Fleisch hatte ich gesagt, ich sei Vegetarierin. Da ich vor Bastis Augen noch nie wirklich Fleisch gegessen hatte, nahm er es so hin. Hätte er sein Gehirn angestrengt, hätte er sich an die Pizza erinnert, aber seine Blicke galten eh nur Sonja. Der bekam nichts mit. Mary war ihr scheinbares Missgeschick sehr peinlich gewesen. Verlegen hatte sie auf den Braten angestarrt, nur um mir dann alles vegetarische anzubieten. Dagegen schaute mich James fassungslos an und erörterte mir laut polternd die Nachteile dieses Lebensstil. Sonjas Einwand, dass ich doch Fisch gegessen hätte, beantwortete ihre Mutter. Es gab Vegetarier, die Fisch zu sich nahmen. Ich nickte nur zustimmend. Wie zuvor hatte ich meinen Teller minimalistisch beladen und alles in Zeitlupe gegessen. Den Nachtisch hatte ich nicht einmal angerührt. Mein voller Magen wog Tonnen und mir war unheimlich schlecht. Dementsprechend unmotiviert saß ich nun auf dem großen Ledersofa und hörte den anderen kaum zu. Mary packte ein Fotobuch aus und setzte sich gut gelaunt neben mich. Ich rutschte ein paar Millimeter zur Seite.
Bloß Abstand halten.
Lächelnd zeigte sie mir Bilder von Sonja. Schwermütig betrachtete ich die Kindheitserinnerungen. Wieder einmal wurde mir vor Augen geführt, wie scheiße mein Leben doch war. Es gab kaum Fotos von mir, da meine Mutter schwer krank wurde als ich sehr jung war. Da war mein Leben und mein Wunsch nach einer tollen Kindheit nebensächlich geworden. Der Rest der Gruppe setzte sich zu uns und sofort begann die Familie lachend Anekdoten zu erzählen. Sonja war es extrem peinlich. Ihr Peinlichkeitslevel stieg an, als ein Bild von ihrem vierjährigen Ich erschien. Zufrieden lächelnd saß die Kleine in einem kleinen Pool. Nichts ungewöhnliches, würde sie nicht nackt in einem Pool gefüllt mit Tomatensoße sitzen.

„Das war ihr damaliger Wunsch zum vierten Geburtstag. Wir konnten ihr dies einfach nicht verwehren", lachte ihre Mutter und zeigte weitere Bilder, wo auch noch Spagetti ins Spiel kamen. „Mum. Du kannst doch nicht solche peinliche Bilder zeigen", jammerte Sonja beschämt und vergrub ihr Gesicht in ihren Hände. „Also ich finde, dass dieses rot dir hervorragend steht. Solltest du öfters tragen. Wir können dies gerne wiederholen", zog Basti sie auf und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gerade der Part ohne Kleidung gefällt mir", raunte er noch leise, woraufhin sie ihn mit hochrotem Gesicht schlug. Ihre Eltern lachten nur und zeigten vergnügt weitere Fotos. Ich dagegen wurde immer kleiner. Teilnahmslos stierte ich die Bilder an. Ab und an kicherte ich mit, wobei mein Lachen immer eine Millisekunde zu spät einsetzte. In den richtigen Momenten grunzte, nickte oder schmunzelte ich, aber sonst hielt ich mich bedeckt. Es fiel niemandem auf. Sonja, Basti und James blödelten vergnügt herum. Mary lachte mit, scherzte ein bisschen und suchte jedes noch so peinliche Foto raus. Sie war eher der ruhigere Typ, wohingegen James die ganze Nachbarschaft unterhielt.
Auch in diesem Moment schlug er sich laut grölend auf die schwabbelnden Oberschenkel. Basti erzählte ihm von einem seiner Geburtstage. Welcher es war, wusste ich nicht. Es war mir aber auch egal. Ich hatte nie wirklich meinen Geburtstag gefeiert. Es war nur ein weiterer lästiger Tag im Kalender. Seine Geburtstage hatte ich meistens mit Argwohn beobachtete.

„Also Kinder. Ich weiß, ihr packt normalerweise morgen früh die Geschenke aus." Ich verschwieg ihr mal, dass ich seit Jahren keine Geschenke bekommen hatte. „Aber wir machen es immer Heiligabend", erklärte Mary begeistert. Voller Tatendrang ergriff sie eine riesige blaue Tüte mit vielen Päckchen drin. Sorgfältige begutachtete sie die Geschenke. Ihre Unaufmerksamkeit war meine Chance. Leise stand ich auf und huschte aus dem Wohnzimmer raus. Verzweifelt irrte ich durch das festlich geschmückte Haus. Meine Suche nach dem Badezimmer gestaltete sich als sehr schwierig. Einmal öffnete ich einen Wandschrank, dann spazierte ich ins Schlafzimmer von Mary und James. Eigentlich heißt es zwar, dass alle guten Dinge drei sind, doch leider entpuppte sich die dritte Tür als Sonjas Kinderzimmer. An den Wänden hingen Poster, Lichterketten und Bilder. Der Holzschreibtisch verschwand unter vielen Schulsachen und auch das Bett war noch bezogen.
Es wirkte als wäre die Zeit hier stehen geblieben.
Obwohl Sonja hier nicht mehr lebte, hatten ihre Eltern alles so gelassen, wie ihre Tochter es zurückgelassen hatte. Leise schloss ich die Tür und ging wieder in den Flur raus. Sonjas Zimmer hatte Persönlichkeit, während meins einfach nur ein Raum war. Ihr Zuhause würde es wahrscheinlich ewig geben. Mein Zuhause existierte seit Jahren nicht mehr.

Das Badezimmer war sauber aber eng. Auf kleinsten Raum drängten sich Dusche, Waschbecken, Schrank und Toilette. Zögerlich schloss ich die Tür ab und schritt auf den Spiegel über dem übergroßen Waschbecken zu. Das glänzende Porzellan spiegelte ebenfalls mein trauriges Gesicht wieder. Sorgfältig überprüfte ich im Spiegel mein Make-Up, welches nach wie vor perfekt saß. Ein Blick auf die Uhr in meinem Handy verriet mir, dass es schon neun Uhr abends war. Seufzend holte ich die zwei abgetrennten Tablettenhüllen aus meiner Hosentasche und warf die weißen Übeltäter in den Mund. Mit Hilfe meiner Hände schaufelte ich mir kaltes Wasser in den Mund und schluckte die Pillen runter. Seit ich meinen Zusammenbruch hatte, zwangen mein Bruder und meine tolle Ärztin mich, diese Scheiße zu nehmen. Die lateinischen Namen waren mir zu kompliziert, weshalb ich sie einfach nur Chill-Pillen nannte. Eigentlich nahm ich sie nur nach Lust und Laune zu mir, was ein Glück noch niemand bemerkt hatte. Doch sobald irgendwas mit Menschen anstand, nahm ich sie so oft ich konnte. Meine Ängste verschwanden nicht komplett, aber mir war einfach vieles egal. Es war, als würde jemand einen Filter über mein Gehirn legen und die bösen Gedanken verdrängen. Mein Gehirn fühlte sich seltsam leer und vernebelt an. Sobald jedoch ein panischer Gedanke auftauchte, reagierte ich verzögert bis gar nicht. Mir war das meiste jedoch einfach nur egal.

Schwer atmend stützte ich meine Hände auf das Waschbecken. Trotz der Tabletten wusste ich, dass der Abend noch anstrengender werden würde. Die ganze Zeit in einem Raum mit zwei Männern und generell fremden Menschen, war unheimlich anstrengend für mich. Mein Kopf zeigte mir Horrorszenarien aus meiner Vergangenheit oder welche, die passieren könnten. Ein entspanntes Weihnachten war definitiv anders.

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