62 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Unter strenger Beobachtung war ich gezwungen die verdammte Pizza aufzuessen. Oder zum mindestens die Hälfte. Frisch geduscht und nach Granatapfel duftend saß ich dem Grinch persönlich gegenüber. Damon hatte nämlich eine finstere Miene aufgesetzt und hatte drohend verkündet, dass er genauso viel wie ich essen würde. Da ich allerdings vermutete, dass er am Verhungern war, zwang er mich somit indirekt aufzuessen. Sein laut knurrender Magen unterstützte meine Vermutung. Meine Schinken-Käse-Pizza schmeckte zwar gut, aber es strengte mich unheimlich an alles zu essen. Nach der ersten Hälfte musste ich eine Pause einlegen. Nachdem er seinen letzten Bissen herunterschluckt hatte, sah er mich skeptisch an. Danach glitt sein Blick auf seine Pizza. Hunger lag in seinen Augen. „Du kannst auch meine Pizza essen", versuchte ich es kleinlaut und wollte ihm meine Pizza zuschieben, doch er unterbrach meine Bewegung mit einem energischen Kopfschütteln. „Du hast extra ein kleine Pizza bekommen. Und die wird gegessen", erwiderte er entschieden, doch in seinem Blick lag eine andere Antwort. Genervt verdrehte ich die Augen. „Wir können auch aufhören mit dem Essen." „Willst du mich entwa verhungern lassen?" Empört riss er die Augen auf und ergriff sein Wasserglas. Mein Blick glitt zu seinem Bauch, der vor den Feiertagen definitiv nicht sichtbar war. Er folgte meinem Blick und lachte auf. „Weihnachten ist die Zeit des Essens. Und Silvester gab es Raclette. Du denkst doch wohl nicht, dass ich da wenig esse", lachte er und schlug sich vergnügt auf seinen Bauch. Als sein hungriger Blick wieder sehnsüchtig auf seine Pizza fiel, seufzte ich und ergriff das nächste Stück. Mühsam kaute und schluckte ich einen Bissen nach dem anderen herunter, doch nach einem weiteren Stück war einfach Schicht im Schacht. In einem Zug trank ich mein Glas Wasser leer und lehnte mich im Stuhl zurück. Wenn ich noch einen Bissen Pizza herunterwürgen müsste, würde ich wieder kotzen. Anscheinend sah Damon dies endlich ein. „Du hast dich gut geschlagen", meinte er schmatzend und vernichtete in Sekunden schnelle seine und meine restliche Pizza. Zufrieden lehnte er sich auch zurück und lächelte. „Das tat gut", verkündete er voll und ganz zufrieden. Essen war sein Leben. Dies war wieder etwas, was ich überhaupt nicht verstehen konnte. Mir selbst fiel es inzwischen gar nicht mehr auf, ob ich was gegessen hatte oder nicht.

Bevor er mich noch in ein Gespräch verwickeln konnte, räumte ich den Tisch ab. „Ich gehe schlafen", wisperte ich und huschte aus der Küche. Durch meine ganze Schminkaktion, dem Übergeben und dem Duschen war es recht spät geworden und ich war fix und fertig. Mechanisch putzte ich meine Zähne, vermied dabei konsequent den Blick in den Spiegel und ließ mich anschließend in mein Bett fallen. Nach einigem umdrehen und zurechtrücken der Decke fand ich endlich die perfekte Schlafposition. Ausnahmsweise schlief ich recht schnell ein und landete unverzüglich im Reich der Träume.

„Du hast mir nichts zu sagen", weckte mich eine sehr laute Stimme aus meinem unruhigen Schlaf. Panisch schoss ich senkrecht aus dem Bett hoch und knipste hastig mein Licht auf dem Nachttisch an. Niemand war in meinem Raum.
Woher kamen die Stimmen?
Und ob ich das habe! Und nun schreie mal leiser, sonst wacht sie gleich noch auf", wetterte eine Stimme gegen an, welche definitiv genauso laut war wie die Erste. Schlaftrunken rieb ich mir meine Augen. Wieso brüllte Damon hier rum? „Dann halt du doch selbst die Schnauze!" Die zweite Stimme klang wütend, aber leiser als zuvor. Stirnrunzelnd schlug ich meine Bettdecke zur Seite. Ein Blick aufs Handy verriet mir, dass es kurz nach Mitternacht war. Wieso stritten Damon und mein Bruder um so eine Uhrzeit?
Vorsichtig schob ich mich zu meiner Tür, öffnete sie leise und schaute auf den Flur raus. Die Stimmen waren leiser geworden. Ganz langsam schlich ich mit nackten Füßen über den kühlen Boden. Jeder Schritt verklang lautlos in der Nacht. Vor dem Wohnzimmer blieb ich stehen. „Du hast mir nichts zu sagen", wiederholte mein Bruder nun deutlich leiser. „Sie wohnt unter diesem Dach und du hast die Verantwortung. Und Überraschung: ich wohne auch hier. Also ja, ich habe dir was zu sagen", entgegnete Damon schnippisch.
Redeten sie über mich?
Atemlos presste ich mich an die Wand neben der Tür. Mein Bruder schwieg wohl, denn Damon sprach nun ruhiger und etwas freundlicher weiter. „Du hast sie vor Gericht als unmündig erklärt und sie steht unter deiner Fittiche." Mein Bruder hat was getan? Ich dachte, ich sei volljährig und damit hat sich das. Wieso hat er mir das nie erzählt? Als wäre ich freiwillig woanders hingegangen. Verächtlich über die Feigheit meines Bruders schnaubte ich leise auf. Die beiden Streithähne bemerkten dies nicht. „Ja und? Was willst du mir sagen?" Mein Bruder klang nur minimal angepisst. „Ich will dir damit sagen, dass du deine Pflichten als Vormund komplett vernachlässigt." Anscheinend wollte mein Bruder was sagen, denn Damon sprach ruppig weiter: „Jetzt rede ich und du hörst zu! Wo war ich stehen geblieben? Deine Pflichten. Du kannst so jemanden wie Sam nicht alleine hier lassen. Das geht nicht", während sein Ton immer eindringlicher wurde, wurden meine Augen immer glasiger und Tränen formierten sich.
Jemanden wie mich?
„Sie ist psychisch nicht stabil, Basti. Es hätte heute wer weiß was passieren können." „Es ist aber nichts passiert", fuhr mein Bruder schnippisch dazwischen. Den Geräuschen nach zu urteilen, lief einer der beiden hektisch im Raum auf und ab. Damon seufzte und fuhr ruhig und geduldig fort. Fast war es mir, als würde er das Gespräch nicht zum ersten Mal führen und er wäre diese Reaktion gewohnt. „Nein, es ist nichts passiert, aber es hätte. Sie ist nun mal in einem Zustand, wo sie leicht aus der Fassung zu bringen ist. Und da kannst du sie nicht alleine lassen", redete er beschwörend auf meinen Bruder ein. „Ich kann sie schlecht zu jedem meiner Dates mitnehmen. Und ein Privatleben hätte ich auch gerne noch", entgegnete mein Bruder eisig. Schmerzhaft biss ich mir auf die Unterlippe, um meine Gefühle halbwegs kanalisieren zu können. „Dann hättest du sie nicht hierher bringen sollen!" Nach diesem Satz herrschte Stille.

Fassungslos starrte ich ins Leere. Das ich eine Belastung für meine Umwelt war, wusste ich. Aber das sie mich so kritisch betrachteten, wusste ich nicht. Und mit jedem gesagten Satz bohrte sich der Dolch tiefer in meine Brust. „Du hast Recht. Das hätte ich wirklich lassen sollen", seufzte mein Bruder entmutigt. Die Schritte verstummten. „Aber wo hätte sie sonst hingekonnt? Ich meine, sie ist doch meine Schwester."
Und du bist mein Bruder und trotzdem führst du dieses Gespräch.

Broken InsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt