33. Kapitel

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,,Bilal?", ist das einzige, was ich sagen kann, denn meine Stimme spielt nicht mehr mit. Mein Hals ist viel zu trocken.


,,Dounia, sag mir, dass du das nicht ernst meinst?", fragt er mich verzweifelt und zu verletzt. Ich habe ihn verletzt. Ihn!

,,Bilal, worüber sprichst du?", frage ich ihn und mir tut der Anblick weh. Diese Seite von ihm ist mir neu und ich weiß nicht, wie ich mit dieser umgehen soll. Er studiert schweigend mein Gesicht und ich ertrage diese Stille nicht. Denn ich weiß nicht, was in ihm vorgeht, was er fühlt und was ihm so traurig gemacht hat.


,,Ich würde dich niemals, aber niemals körperlich verletzen. Niemals.", sagt er und schaut mir die tief in die Augen. Er greift nach meiner Hand und streichelt meinen Handrücken.


,,Dafür bedeutest du mir viel zu viel.", fährt er fort und jetzt wird mir alles klar. Der Satz, den ich ihm gesagt habe, dass ich mir nicht sicher bin, ob er mich auch mal körperlich verletzen wird, hat ihn sehr verletzt. Ein Gefühl sagt mir, dass er niemals seine Hand vor mir heben würde, da er mir viel zu viel Zuneigung schenkt. Doch im Grunde habe ich den Satz auch nur gesagt, damit ich ihn ein wenig einschüchtere und er mit dem Boxen aufhört. Doch im Endeffekt habe ich ihn nur verletzt. Ich wollte, dass er sich Gedanken drüber macht und mir sagt, dass er es sein lassen wird, weil er nicht möchte, dass ich so über ihn denke. Aber er hat es komplett falsch interpretiert.

,,Hast du mich gehört?", hackt er nach. Er wartet hoffend auf eine Antwort von mir, während ich mir Gedanken über seine Interpretation mache. Um ihn die Angst wegzunehmen, sage ich zügig:

,,Ja, habe ich. Bilal, ich will doch nur, dass du aufhörst andere zu verletzen. Du tust dir doch auch dabei weh und das will ich nicht. Findest du die zerkratzte Hände schön? Soll es andere manipulieren? Gewalt ist keine Lösung.", erkläre ich ihm verzweifelt und lege meine freie Hand auf seine.


,,Ich kann nicht anders. Ich muss meine Wut immer an jemanden rauslassen.", entgegnet er und schaut mich an.

,,Warum Bilal? Sag mir nur warum?", rufe ich aus und schaue ihn enttäuschend an. Tuen ihm denn die Verletzende nicht leid?


,,Für mein Verhalten verbirgt sich eine Geschichte.", rechtfertigt er sich. Er senkt seinen Blick und atmet tief ein. Sein Blick hat er auf unsere Hände gerichtet. Eine Geschichte? Welche Geschichte? Seinem Tonfall aus zu urteilen, scheint es keine gute zu sein. Ich versuche mich zu überzeugen und mir einzureden, dass es eine gute Geschichte sein könnte, doch bekomme es nicht hin. Denn er wirkt sehr traurig und sein Tonfall war auch nicht überzeugend. Ich schaue seine Augen an und ich sehe Dunkelheit und Leere. Ich weiß nicht was ich tuen soll, weshalb ich ihn einfach anschaue, bis er zu sprechen beginnt.

,,Als ich sechzehn Jahre alt war und mein Vater noch bei uns war, lief alles gut. Er ging arbeiten, meine Mutter war die beste Hausfrau und meine kleine Schwester und ich gingen zur Schule. Bei meinem Vater war die Arbeit jedoch recht komisch, denn er kam alle zwei Wochen nach Hause. Ich wusste nicht, wo er gearbeitet hat und weiß es seit heute nicht, was mich richtig wütend macht. Das Problem war, dass ich ihn jedes Mal gefragt habe, wenn er zu Hause war, wo er gewesen war. Und jedes Mal hatte er mit:
Mein Sohn, ich war nie weg. geantwortet. Nie bekam ich die Antwort, die ich haben wollte. Eines Tages als meine Mutter am telefonieren war, hörte ich wie sie jemanden erzählte, dass mein Vater in der Arbeit qualvoll geschlagen wurde. Dass nicht nur einer auf ihn drauf gegangenen ist, sondern glatt vier. Meine Mutter weinte Wasserfälle, war kraftlos und ich wusste nicht, was ich tun sollte. In mir stieg die Wut und ich begann zu zittern. Ich lief schnell zum Garten raus und schlug heftig mit meiner Faust in einem Baum rein. Vor lauter Wut spürte ich gar nicht, dass meine Hand heftig am bluten war und ich sie gar nicht mehr bewegen konnte. Ich wollte es nicht meiner Mutter sagen, weil sie sich erschrecken würde und sie ohnehin keine Kraft hatte. Doch leider tat mir meine Hand so weh, dass ich nicht anders konnte. Ich ging wieder rein, erzählte ihr es, sie geriet in Panik und fuhr mich blitzschnell ins Krankenhaus. Der Arzt sagte mir, dass sie gebrochen ist. Ich bekam ein Gips um meine Hand sowie auf meinem Arm und meine Mutter begann zu weinen. Der Anblick tat mir viel mehr weh, als die Schmerzen, die ich spürte. Ich begann wieder an zu zittern, weil ich nichts unternehmen konnte. Das einzige, was ich tat, war, dass ich lachte und ihr sagte, dass es mir nicht weh tut. Ich habe sie nur angelogen, damit sie nicht allzu traurig sein sollte. Ich alberte herum, erzählte ihr, dass sie die Erste und die Einzige sein wird, die auf meinem Gips unterschreiben wird. Jedenfalls musste ich den Gips vier Monate ertragen und zwei Wochen später kam mein Vater wieder. Ich war so glücklich und erleichtert, dass ich mir versprochen habe die Haustür abzuschließen, damit er nicht mehr zu der scheiss Arbeit hingehen konnte . Als ich dann sein Gesicht sah, konnte ich nicht anders als zu weinen. Er war mit blauen Flecken bedeckt. Der Anblick tat mir so weh, dass ich heulend auf ihn zugegangen bin. Ich legte meine Arme um seinen Bauch und fragte ihn permanent was passiert ist. Doch er streichelte nur meine Haare und gab mir keine Antwort. Ich war so wütend, weil ich die Wahrheit schon wusste und er nicht in der Lage war mir die zu erzählen. Mein Gips habe ich versucht so gut wie möglich zu verstecken, denn ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um mich macht, da er selbst viele hat. Meine Mutter kam ins Wohnzimmer rein und zog mich von ihm weg, um den Anblick nicht mehr ertragen zu müssen. Nachdem ich beim dritten Mal nachgelassen habe und mich meine Mutter zu meinem Zimmer schickte, heulte ich meine Seele aus. Dounia, ich hatte Angst um ihn. Angst, dass die Bastarde ihn wieder verletzen könnten. Ich weiß nicht einmal, aus welchem Grund die Mistkerle ihn geschlagen haben. Wenn ich es nur wüsste. Sie würden die frische Luft der Welt nicht mehr einatmen. Du musst wissen, dass mein Vater so ein netter, guter Mann war. Er hatte so ein schönes, gutes Herz. Er hatte nie böse Absichten im Sinne und ausgerechnet er ... ausgerechnet er, wird von dreckigen Mistgeburten geschlagen. Ich verstehe es immer noch nicht, wie kann so ein guter, netter Mensch, der niemals jemandem etwas schlechtes wünschen würde, geschlagen werden? Wie? Dounia die Mistgeburten haben ihn so heftig geschlagen, dass er nach dem Ereignis nur paar Tage zum leben hatte. Verdammt.", zischt er, zieht seine Hände aus meinen weg und schlägt heftig auf seinem Lenkrad. Er legt seine Arme, überkreuzt auf dem Lenkrad, versteckt sein Gesicht zwischen seinen Armen und beginnt zu schluchzen. Meine Augen füllen sich sofort mit Tränen. Der einzige Weg ihn zu trösten, ist ihm Liebe zu schenken. Ich steige aus, laufe um das Auto und öffne seine Tür. Er schaut mich bereit mit seinen roten, feuchten Augen an. Bevor ich nach seiner Hand greife und ihn vom Auto rausziehe, fällt mir sein Gurt auf. Wann hat er sich angeschnallt? Ich gehe sehr nah ans Auto und ihm ist bewusst, was ich machen möchte, weshalb er sich nach hinten anlehnt. Ich beuge mich zu ihm runter, um ihn abzuschnallen und spüre wie er mich beobachtet und jede einzelne Bewegung von mir verfolgt. Als ich es endlich geschafft habe, steige ich ich mit meinen Oberkörper langsam hoch und bleibe mitten in meiner Bewegung inne, als wir auf Augenhöhe sind. Keiner sagt etwas. Wir schauen uns schweigend in die Augen. Ich darf jetzt nicht nachlassen, sondern muss meinen Plan vollenden. Ich lassen den Gurt los, greife nach seiner Hand und ziehe ihn raus. Er kommentiert nichts und schaut mich nur an. Als ich genug von seinen tiefen Blick habe, lasse ich seine Hand los, schwinge meine Arme um seinen Bauch und lege mein Kopf auf seiner Brust. Mich erschüttert sofort ein fremdes Gefühl, welches schnell verschwindet. Sein Geruch geht mir sofort in die Nase und fange sofort an es zu lieben. Sein Oberkörper fühlt sich sehr trainiert an. Ich will gerne wissen, wo er trainieren geht? In Gedanken versunken, ist mir erst jetzt aufgefallen, dass er die Umarmung gar nicht erwidert, was mich auf einen Schlag traurig macht. Das war eine furchtbare Idee. Ich hätte es nicht tuen sollen. Doch warum erwidert er die Umarmung nicht? Er hat mir vorhin noch gesagt, dass er sich niemals zurückziehen würde, wenn es darum geht mich zu umarmen. Das waren nur leere Wörter. Ich entferne mich mit langsam von ihm und beschließe zu gehen. Er ist wie jeder andere. Wie konnte ich mich auf ihn einlassen? Nur weil er mich nicht wie die anderen behandelt, dachte ich, dass ich in seinen Augen etwas besonderes bin. Doch ich habe mich geirrt. Ich entferne mich langsam von ihm und mache mir schon Pläne welchen Bus ich nehmen muss. Ich weiß gar nicht, ob hier überhaupt Busse vorbeifahren. Doch dann werde ich kräftig zu ihm gedrückt. Er legt seine Arme um mich und versteckt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Ich bin angewurzelt. Ich dachte, er würde mich nicht umarmen wollen? Ich höre wie er mein Geruch einatmet und ich will ihn dabei sehen, weshalb ich mein Kopf zu ihm umdrehe. Er hebt sein Kopf hoch und schaut mich lächelnd an.


,,Das war ein Fehler mich umarmt zu haben?", gesteht er lächelnd. Ich verstehe ihn überhaupt nicht.


,,Warum?", frage ich misstrauisch und enttäuschend.


,,Jetzt brauche ich deine Nähe noch mehr als davor.", antwortet er mit einer rauen Stimme und hat dieses verführerische Lächeln aufgesetzt.

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