49. I wish

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"Harry, Harry, Harry, ich will den aber haben." - "Nein, Gemma. Wir hatten erst Weihnachten, da hast du genügend Geschenke bekommen." Harry seufzt und schüttelt den Kopf, während seine Schwester mit großen Augen den pinken, blinkenden City-Roller im Schaufenster bestaunt. Eigentlich waren wir nur zum Spazieren in der Fußgängerzone, denn brauchen taten wir nichts.

"Bitteeeee. Damit bin ich die Coolste.", jammert sie weiter. "Gem, ich habe nein gesagt. Außerdem ist der viel zu teuer." Sie schlägt einmal kurz gegen die Scheibe und dreht sich dann zu uns um. Als ich ihre glänzenden Augen und die erste Träne sehe, muss ich wegschauen. Niemals dürfte ich Kinder bekommen - das würden nur verzogene Gören werden, weil ich nicht 'nein' sagen kann.

"Soll ich ihn ihr kaufen?", flüster ich in Harrys Ohr, so dass Gemma mich nicht verstehen kann. "Nein. Sie muss auch lernen 'nein' zu akzeptieren. Außerdem sollst du nicht so viel Geld für uns ausgeben." Ich nicke, seufze aber innerlich. Hat er denn noch nicht verstanden, dass ich Dank meines Vaters genügend Geld habe und es gerne für ihn und seine Schwester ausgebe? Da kommt mir gerade ein schrecklicher Gedanke. Wenn ich mich vor meinem Vater geoutet habe und er es nicht tolerieren sollte... wird er dann den Geldhahn zudrehen? Ich will gar nicht daran denken... Verdammt! Vielleicht hätte ich mich doch mal um eine berufliche Laufbahn kümmern sollen.

"Ich hasse dich!", schreit Gemma und rennt weg. Ich sehe ihr nach und blinzel einige Male. "Autsch. Das war fies." - "Ach, sie kriegt sich gleich wieder ein. Schau... sie ist zum Karussell gerannt, dann wird sie den Roller gleich vergessen haben." Harry lächelt und verschränkt wieder unsere Finger miteinander, ehe wir langsam weiter schlendern, Gemma weiterhin im Blick.

Die Stadt ist heute leerer als üblich und irgendwie wirkt sie schon fast ungewohnt, nachdem die Weihnachtsbeleuchtung und -beschmückung wieder entfernt wurde. Auch die kleinen Buden, an denen man Glühwein, Süßes und sonstige Weihnachtsleckereien erhaschen konnte, fehlen nun. Stattdessen erstreckt sich gähnende Leere über die Einkaufsstraße.

An einem kleinen Elektronikladen bleibt Harry stehen und beäugt die ausgestellten Objekte. Als seine Mundwinkel nach oben zucken, folge ich seinem Blick. Eine Kamera mit allem Schnickschnack ist dort in Szene gesetzt worden. Viel verstehe ich nicht von der Beschreibung, was dieses Teil alles kann, doch als ich zum Preis schiele, muss sogar ich schlucken. Wie kann so ein Ding so schweineteuer sein. Ich schaue zurück zu Harry, sehe Betrübtheit in seinen Augen und wie er kaum merklich den Kopf schüttelt, fast so als müsse er zu sich selbst sagen, dass dieses Gerät einfach nicht drin.

Mein Handy klingelt und ich reiße mich von Harrys Profil los, um es aus meiner Hosentasche zu holen. "Solange du telefonierst, geh ich mal eben zu Gem.", sagte Harry und nickt in Richtung des kleinen Spielplatzes. "Okay, bis gleich." Mit einem Blick aufs Display sehe ich, dass es mein Vater ist. Ich hole tief Luft und nehme das Gespräch an.

"Hallo Dad." - "Hallo Louis, wie geht es dir?" Er fragt vorsichtig, wahrscheinlich ist er sich nicht ganz sicher, ob ich irgendwie sauer auf ihn bin. 

"Mir geht es ganz gut. Wie sieht es bei dir aus?" - "Oh, das ist schön. Mir geht es auch gut, danke."

Meine Güte, wie förmlich.

"Hör zu, Louis. Deine... Mutter fragt immerzu nach dir, sie möchte dich kennen lernen. Was soll ich ihr sagen?" - "Kein Interesse. So eine Person möchte ich nicht kennen lernen." Ganz ehrlich hatte ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht, es war jetzt gerade eine spontane Entscheidung, als er mich fragte.

"Sie hat sich verändert. Vielleicht nur ein Gespräch? Dann kannst du immer noch entscheiden?" Ich seufze und reibe mit der flachen Hand über meine Stirn. "Schick mir ihre Nummer, ich überleg's mir. Aber verdient hat sie es nicht."

"Danke. Dafür, dass du wenigstens darüber nachdenkst, wird sie schon dankbar sein." - "Verdammt, warum stehst du so hinter ihr? Vögelst du sie wieder?" - "Louis! Wie kannst du sowas sagen?", fragt er sichtlich empört. Und das ist es, was mich misstrauisch werden lässt, denn sonst haben wir immer ganz offen über Sex und Frauen gesprochen. Also entweder liegt es daran, dass sie meine Mutter ist oder... er fickt sie wirklich. Gott, daran will ich nicht denken.

"Ist ja auch egal. Schick mir einfach ihre Nummer okay? Ich muss jetzt auflegen." - "In Ordnung. Danke Louis, das bedeutet mir auch etwas. Bis dann und schöne Grüße an Harry.", verabschiedet sich mein Dad und beendet das Gespräch.

"Und schöne Grüße an Harry.", äffe ich ihn leise nach und erstarre sofort, nachdem ich es ausgesprochen habe. Woher weiß er, dass ich den Abend mit Harry verbringe? Langsam drehe ich mich um meine eigene Achse und scanne die Umgebung ab, ob irgendwo mein Vater lungert. Hat ihm jemand gesteckt, dass ich mit Harry zusammen bin? Okay, Louis, beruhig dich. Er hat bestimmt im Hintergrund Harrys Stimme gehört. Obwohl... ich habe doch erst das Gespräch angenommen, als Harry schon weg war oder? Mein Blick fällt auf den Spielplatz. Er ist zu weit weg, als dass man Harrys Stimme hätte am Telefon hören können. Seufzend fahre ich mir mit meinen Fingern durch die Haare.

Ich schaue zurück ins Schaufenster und mustere die Kamera, die Harry vorhin so angelächelt hat. Gemma und Harry sind mit der Schaukel beschäftigt und schnell öffne ich die Kamera in meinem Handy, mache ein Foto des Wunschobjektes und weiß, was ich Harry zum Geburtstag schenke.

Lächelnd stecke ich mein Handy zurück in die Hosentasche und laufe dann zu den beiden Geschwistern.

"Na, wer war das?", fragt Harry, ohne mich anzublicken, da er damit beschäftigt ist, Gemma auf der Schaukel anzuschubsen. "Mein Vater. Meine... Erzeugerin will mich kennen lernen."

"Oh... und was hast du gesagt?" - "Erst wollte ich nicht, er hat aber nicht locker gelassen, also habe ich ihm gesagt, er soll mir ihre Nummer schicken. Ich überlege es mir dann."

"Okay, du hast alles Recht der Welt es dir zu überlegen. Und keiner nimmt es dir übel, wenn du es nicht willst, Schatz." - "Ja. Ja, ich weiß. Ich werde darüber nachdenken. Aber weißt du, was noch merkwürdig war? Er sagt, ich soll dich grüßen. Woher weiß er bitte, dass wir den Abend zusammen verbringen? Unmöglich kann er deine Stimme gehört haben."

"Echt? Oh wow, das ist kurios. Meinst du, er hat uns in der Stadt gesehen?" - "Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung..."

Where is the love - [Larry-AU] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt