Familientradition

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Mit einem leisen Schmatzen kuschelte ich mich tiefer in mein warmes, weiches Deckenparadies. Vor meinem inneren Auge breitete sich eine Bühne aus und ich tanzte darauf herum.

Seltsam eigentlich, ich konnte nämlich nicht tanzen.

Ein unangenehmes, grausames Rütteln wollte mich aus meinem wohlverdienten Schlaf reißen, doch ich rollte mich murmelnd auf die andere Seite.

Die können mich alle mal... ich will schlafen... schlaaaafffen.

„WACH AUF!"

Ich fuhr hoch, verhedderte mich in meiner Bettdecke und krachte auf den glücklicherweise weichen Boden des Wohnwagens, in dem ich lebte, wenn wir nirgendwo anders unterkamen.

Fluchend wühlte ich mich aus meinem wundervollen Gefängnis und sah mich wütend nach dem Übeltäter um.

Der war auch schnell gefunden. Ich blickte geradewegs in das Gesicht meiner vierzehn Jahre alten Verwandten Lola. Die schlanke Blondine grinste mich an und ihre grünen Augen - ein Merkmal meiner doch recht großen Familie - funkelten frech.

„Du kannst mich mal! Mich einfach so zu wecken! Du verdammtes..."

Den letzten Teil schluckte ich gerade noch rechtzeitig hinunter. Amy, Lolas Mutter und die Tochter des Onkels meines Vaters, würde mich töten, wenn ich ihre geliebte kleine Sumpfschlange als Miststück bezeichnet hätte.

Wobei das ein ganz normaler Umgang in unserer Generation war.

„Komm endlich, es sind schon alle weg! Urgroßmama Pam sagt, du sollst dich mal beeilen!", teilte Lola mir mit und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf.

Ich machte einen Satz und versuchte sie zu packen, doch meine Bettdecke verriet mich und wickelte sich so fest um mich, dass ich mit dem Gesicht voran auf den Boden fiel.
Lola flüchtete lachend und schlug die Tür hinter sich zu.

Stöhnend befreite ich mich endgültig aus meiner Decke und sah mich um. Das einzige andere Bett - seit Riley mit ihrem Ehemann ausgezogen war und in einem eigenen Wohnwagen wohnte - war leer. Das bedeutete, dass Dylan schon wach war. Er hatte das Glück, sich mit mir den Wohnwagen zu teilen. Die anderen waren in zwei großen Wohnwagen verteilt, aber Dylan hatte nach Rileys Auszug unseren kleinen Wohnwagen erobert, der vorher meinen Eltern gehört hatte. Nach dem Tod meiner Mutter war mein Vater aber in den seiner Mutter gezogen, die selber noch um ihren verstorbenen Mann trauerte. Daran konnte ich mich aber nicht mehr gut erinnern.

Langsam zog ich mich an und kämmte meine unbändigen, dunkelbraunen Haare. Die hatte ich von meiner Mutter, mein Vater war nämlich schwarzhaarig.

Sobald ich fertig war, rannte ich förmlich durch die kühle Herbstluft zu dem ehemaligen Truck, in dem sich unser Leben abspielte. Er bestand aus Küche-, Wohn- und Esszimmer und war von meinem Großvater umgebaut worden. Natürlich nur auf Bitten meiner Urgroßmutter, der Obersten unserer wandernden Magierfamilie.

Behinderter Name. Keiner glaubt, dass wir irgendwas können, wir können es nur gut rüberbringen.

Der Truck war gerammelt voll dank meiner weit verzweigten Verwandtschaft. Und sie alle sahen mich strahlend an.

Wie ich diese Familientraditionen doch manchmal hasste.

Ich quetschte mich neben meinem Vater auf die Sitzbank und machte mich ans Frühstück, während alle durcheinander redeten. Meine Urgroßmutter stritt sich mit meinem Vater darum, wie lange sie denn noch leben wolle.
Gut, so formuliert klang es ziemlich abwertend, aber in Wahrheit machten die beiden sich immer einen Spaß daraus und diskutierten mögliche Todesursachen. War ja auch kein Wunder, sie war schon fast 100. Und immer noch kerngesund. Und mit einem äußerst seltsamen Humor.

Night Wolf  ~Avengers/Marvel FF~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt