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Keuchend riss ich die Augen auf. Ruckartig setzte ich mich in meinem weichen Bett auf und rieb mir ruppig über das Gesicht.

Wie ich es hasste. Wie ich es hasste, mich zu erinnern. Und ich verstand nicht warum mein Unterbewusstsein mir das immer und immer wieder abspielen musste. Dieses Leben war für mich vorbei. Und ich wollte es auch nicht wieder.

Angespannt stand ich auf und trat an das Fenster in meinem kleinen Zimmer. Vorsichtig schob ich den saphirblauen Vorhang beiseite und warf einen Blick auf die überfüllten Straßen Londons. Der wolkenverhangene Himmel warf ein düsteres Licht auf die brodelnde Stadt und auf einmal fühlte ich mich eingeengt.

Frustriert kniff ich die Augen zusammen. Ebenso wie die Träume hasste ich das immer wiederkehrende Gefühl vom Gefangen sein. Ich vermisste den beständigen blauen Himmel aus meiner alten Heimat. Selbst der Regen hatte sich dort nach Freiheit angefühlt. Ich vermisste die Ausritte über die weiten Ebenen mit den Bergen im Rücken und die Spaziergänge durch die dichten Wälder. Manchmal verstand ich selbst nicht warum ich die weiten Täler und Wälder der Rocky Mountains hinter mir gelassen und sie gegen die Enge der britischen Hauptstadt eingetauscht habe.

Seufzend ließ ich den schweren Vorhang wieder zurückfallen und machte mich für die Arbeit fertig.

Als ich kurze Zeit später in die Küche trat, hob mein Mitbewohner halbherzig den Kopf. "Na Cowgirl, gut geschlafen?", flötete er fröhlich und funkelte mich schelmisch an. Er wusste das ich selten gut schlief und hatte daraus einen Gag gemacht, den aber irgendwie nur er verstand. Er nahm einen Schluck von seiner Kaffeetasse und wurde dann ernster. "Und hast du dir überlegt ob du zur Hochzeit deines Bruders gehst?", fragte er mich und hob dabei beide Augenbrauen an, was ihm einem vorwurfsvollen Gesichtsausdruck verlieh.

Schwerfällig ließ ich mich in den zweiten Stuhl am Tisch fallen und stützte meinen Kopf in die Hände. Dann schüttelte ich den Kopf. "Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Der Flug würde am Freitag gehen und... ich weiss nicht ob ich bereit bin zurück zu kehren.", seufzte ich und starrte leer an die Wand hinter meinem Mitbewohner und besten Freund. "Es ist sieben Jahre her. Gib dir einen Ruck. Deine Familie vermisst dich und ich sehe wie sehr du unter der Großstadt leidest. Ein bisschen heimatliche Landluft würde dir gut tun.", meinte er aufmunternd. Zögernd biss ich mir auf die Unterlippe, doch dann traf mein Blick seinen der mich auffordernd ansah und ich knickte ein. "Okay, du hast ja Recht. Reservier mir einen Platz im Flieger, bitte. Ich muss los. Tschau", rief ich zum Schluss und huschte aus der Tür.

Ich arbeitete als persönliche Assistentin eines alternden Firmenchefs in einer großen Firma im Herzen Londons. Nachdenklich auf mein Handy starrend, öffnete ich die Tür zu der Etage mit den Büros als es einen Ruck tat und ich irritiert stehen blieb.

Vor mir stand Amy. Das Klischee der Büromatratze. Lange Beine, blaue, klare Augen und eine wasserstoffblonde Mähne die das fehlende Gehirn kaschieren sollte. Sie hasste mich aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Ein brauner Fleck auf ihrer vorher, wahrscheinlich, blütenweißen Bluse zog meinen Blick an und ich runzelte irritiert und belustigt die Stirn. "Jetzt glotz nicht so blöd, du dumme Sau. Hol mir eine neue Bluse. Hopp,Hopp.", giftete sie und funkelte mich an. Ein schiefes Grinsen erschien auf meinen Lippen und ich lehnte mich kritisch zurück. "Sorry, Amy. Ich bin nicht deine Assistentin, sondern die von Mr. Rythm. Aber du kannst dir gerne eine Bluse kaufen gehen. Das ist ja wohl im Interesse aller.", lachte ich und setzte meinen Weg unbeirrt fort, während sie mir die verschiedensten Beleidigungen hinterher warf. Aber die brachten mich nur noch mehr zum lachen.

An den hinteren Büros angekommen hielt ich an und klopfte an die Tür. Eine tiefe, raue Stimme bat mich freundlich herein. "Guten Morgen Mr. Rythm. Hier sind die Unterlagen von gestern, welche Amy vergessen hatte mir vorzulegen. Und ihr Meeting beginnt dann um Punkt zwölf Uhr wie abgemacht. Und ... ich hätte da noch eine Frage", den letzten Satz brachte ich eher schlecht als recht über die Lippen und ich starrte stur auf den marmornen Fußboden. "Schieß los, kleines", munterte mich mein Chef auf und ich holte tief Luft.

"Ich bräuchte über das Wochenende Urlaub, da mein Bruder heiratet und ich gerne dabei sein wollte.", fragte ich dann hastig und war stolz auf mich das ich mich nicht verhaspelt hatte. Leise lachte mein Vorgesetzer und ich hob überrascht den Blick. Warum lachte er denn jetzt? Er hob den Blick und seine kleinen Augen funkelten mich belustigt an.

"Glauben Sie wirklich das ich Sie von der Hochzeit Ihres Bruders abhalte? Natürlich bekommen Sie frei. Und jetzt bereiten Sie den Meetingraum vor.", mit diesen Worten scheuchte er mich aus seinem Büro und ich machte mich erleichtert an die Arbeit.

Um kurz nach neun Uhr abends verließ ich erschöpft die Firma und machte mich auf den Weg nach Hause. Die Dunkelheit schmiegte sich sanft um mich und gab mir ein Gefühl von Sicherheit.

Es war nicht weit nach Hause und ein Spaziergang durch die Londoner Straßen tat mir immer gut. Tief atmete ich die kühle Nachtluft ein. Zwar war sie nicht so leicht und aromatisch wie die daheim aber sie war trotzdem klar und kühl.

Sowie es sein sollte. Ein Seufzen entglitt meinen Lippen und ich schloss für einen kurzen Moment die Augen. Ich war kein Stadtmensch, egal wie lange ich in einer Leben würde, ich würde mich nie daran gewöhnen.

Der Heimaturlaub würde mir wahrscheinlich wirklich gut tun. Tief atmete ich ein und öffnete dann meine Augen wieder. Morgen war Donnerstag, was bedeutet das ich morgen alles für meinen Aufenthalt in Amerika vorbereiten muss.

'Nach Hause', hauchte eine helle Stimme schwach in meinem Kopf. Erschrocken zuckte ich zusammen. Es war lange her seit ich sie das letzte Mal gehört habe und sie war deutlich schwächer geworden aber der Gedanke an zuhause ließ sie anscheinend wieder Kraft tanken.
Frustriert fuhr ich mir durch mein dichtes Haar.

Wenige Minuten später betrat ich die Wohnung und stellte meine Tasche ab. Gabe hatte anscheinend Nachtdienst, weswegen ich allein in der dunklen Wohnung saß. Fest biss ich die Zähne zusammen und holte mein Handy raus um meine Eltern anzurufen und ihnen zu sagen das ich kam.

Nach dem dritten Klingeln ertönte die helle Stimme meiner Mutter:" Bei Dawn, wer ist da?". "Hey, Mom, ich bins", seufzte ich. Stille legte sich über die Leitung. "Roux? Meine Ro?", hauchte meine Mom zittrig. Ich seufzte. "Ja, ich bins.", antwortete ich ihr und bestätigte das offensichtliche. Am anderen Ende der Leitung ertönte ein leises Wimmern. "Schatz, wer ist da?", fragte aus dem Hintergrund mein Dad mit seiner tiefen Bassstimme. "Es ist Roux", weinte meine Mom beinahe.

Im nächsten Augenblick hörte ich wie meiner Mom das Telefon aus der Hand genommen wurde. "Roux, wölfchen, was machst du denn für Sachen? Unterhältst dich sieben Jahre lang nur über deinen Bruder mit uns. Hat dich der Unfall damals wirklich so mitgenommen? Wie geht es dir jetzt?", fing mein Dad an zu faseln und ein schwaches Lächeln erschien auf meinen Lippen. "Es war nicht der Unfall, Dad, sondern etwas anderes. Mir geht es gut", beantwortete ich seine Fragen und im gleichen Augenblick hörte ich am anderen Ende der Leitung ein erleichtertes Seufzen. "Und was können wir für dich tun?", riss sich mein Dad dann zusammen. Tief atmete ich ein und sammelte meinen Mut. "Ich komme nach Hause".

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