2

11.6K 478 17
                                    

Der kühle Wind zerrte an meinen Haaren. Seit Sonnenuntergang saß ich nun auf dem Dach und betrachtete den Himmel über mir. In ein paar Stunden ging mein Flieger zurück nach Amerika. Meine Tasche stand gepackt auf dem Bett.

"Ro, komm wir müssen los", rief nun Gabe von unten zu mir hoch und ich rollte genervt die Augen. Gabriel Bain hatte genau eine, meiner Meinung nach, ganz schlimme Eigenschaft. Er musste immer überpünktlich sein. Nicht auf die Minute genau, nicht fünf Minuten vorher, Nein, um sich gut zu fühlen musste der Kerl meistens mindestens eine Stunde vorher da sein.

Aber er fuhr mich schon mitten in der Nacht zum Flughafen, da wollte ich ihn nicht unnötig reizen, weswegen ich seufzend vom Dach kletterte, mich geschickt durch das Fenster schwang und lautlos auf meinen Füßen landete. Mein Schrank von einem Mitbewohner stand mit verschränkten Armen vor mir und runzelte die Stirn.

"Komm jetzt", grummelte er dann, hievte meinen Koffer hoch und schleppte ihn durch die Tür. Augen verdrehend folgte ich meinem besten Freund. Erschöpft ließ ich mich kurze Zeit später in die weichen Ledersitze seines Wagens fallen und lehnte meinen Kopf an das Kopfteil. Kaum war er losgefahren, schlief ich ein.

Wärme streichelte mein Gesicht und ich öffnete die Augen. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir das ich nicht lange geschlafen hatte. Wir waren kurz vor Sonnenaufgang losgefahren und nun breitete sich das goldene Licht über den rosanen Himmel aus. Tief atmete ich ein. Noch fünf Minuten bis zum London Heathrow Airport. Mit einem Seufzen atmete ich aus und blickte zu Gabe, der konzentriert auf die Straße schaute.

Gabe war Schotte und ebenso wie ich war er hier, weil er geflüchtet ist, aber im Gegensatz zu mir vor seiner Familie. Als mittleres Kind einer beinahe zehnköpfigen Familie war er für sie entweder unsichtbar oder das schwarze Schaf. Sein ältester Bruder war Anwalt und dessen Zwillingsschwester eine erfolgreiche Chirurgin. Sein jüngster Bruder hatte ein Stipendium für Harvard bekommen und so weiter. Nur Gabriel war normal. In den Augen seiner Familie gewöhnlich. Nicht mehr und nicht weniger.

"Worüber denkst du nach?", holte mich Gabe zurück in die Realität und ich sah wie er mir einen kurzen Blick zuwarf und die Stirn runzelte. Ich schüttelte stumm den Kopf. "Nichts, großer.", murmelte ich.

Mit seinen beinahe 2.05m war er wirklich ein Riese. Und schlecht sah er auch nicht aus, mit den haselnussbraunen Augen und den kupferroten, weichen Wuschelhaaren. Aber leider interessierte ihn die Frauenwelt nicht sonderlich.

"Was sagt Leo eigentlich dazu das du mich mitten in der Nacht zum Flughafen bringst?", grinste ich. Amüsiert zuckten die Mundwinkel des attraktiven Schotten. "Er ist beleidigt. Du weisst doch wie er ist", grinste er dann und warf mir einen schelmischen Blick zu den ich belustigt erwiderte.

Dann wandte er seinen Blick wieder der Straße zu und atmete tief ein. "Wir sind da", murmelte er und ich folgte seinem Blick zu dem großen, weitläufigen Flughafengebäude und der dahinter liegenden Start-und Landebahn.
Geschickt parkte Gabe den Wagen in eine freie Parkbucht, stieg aus, öffnete die Heckklappe und hievte meine Koffer aus dem Kofferraum. Träge und ohne Elan folgte ich ihm, meine Handtasche drückte ich eng an meine Brust.

Ich hasste das Fliegen. Ich blieb lieber mit beiden Beinen fest auf dem Boden.
Doch es führte kein Weg daran vorbei, ich konnte ja schlecht fahren.
Frustriert entwich mir ein dunkles Knurren. Blitzschnell wirbelte Gabe herum und sah mich mit großen Augen an. "Was war das?", meinte er und schluckte. Ich verdrehte die Augen und boxte ihm leicht gegen die Schulter. "Idiot", grinste ich dann.
Auch wenn ich es versucht hatte zu verheimlichen hatte Gabe in den letzten Jahren ein paar meiner Eigenarten mitbekommen. Zum Beispiel, dass ich mich so gut wie nie verletzte, das ich minimal stärker war als gewöhnliche Mädchen und meine Augen um einiges besser als die Anderer. Mein Augenarzt sprach von Adleraugen, die vielleicht bei 100 Menschen einmal vorkam.

Desinteressiert zuckte ich mit den Schultern und versuchte mit einem ruckartigen Kopfschütteln diese Gedanken loszuwerden. Gabe schüttelte seinerseits amüsiert den Kopf und wandte sich langsam mir zu, nachdem er auch die letzten Gepäckstücke aus dem Auto gehievt hatte.

Dann breitete er die Arme aus und lächelte traurig.
"Bis Dienstag, süße", flüsterte er und schloss mich fest in seine Arme. Sanft erwiderte ich die Umarmung, löste mich dann aber rasch und wandte mich um. "Bis Dienstag, Gabe", rief ich noch, bevor ich mich zum Check-in aufmachte.

Zweieinhalb Stunden später saß ich auf meinem Fensterplatz und blickte auf ein weißes Meer aus Wolken. Eine Weile betrachtete ich die endlosen Weiten bis ich schließlich schläfrig die Augen schloss und mich dankbar in die Welt der Träume ziehen ließ.

"Miss? Sie müssen aufwachen, wir sind gelandet.", ertönte eine helle Stimme und riss mich aus der schmeichelnden Schwärze des Schlafes. Träge öffnete ich die Augen und blickte in die sturmgrauen Augen der Stewardess die mich freundlich ansah.

Als ich ihre Worte letztendlich realisierte, zuckte ich zusammen und stemmte mich aus dem Sitz. "Verzeihung",murmelte ich, doch die Frau winkte lachend ab und wandte sich um. Schnell hievte ich mein Handgebäck aus der Klappe und verließ das Flugzeug.

Gefühlte Stunden später, stand ich endlich mitsamt meiner Koffer in der sanften Wärme außerhalb des Flughafens und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. "Ro?", riss mich eine dunkle Stimme aus meinen Gedanken und ich wandte neugierig den Kopf. Ein großer, junger Mann mit dunkelbraunen, dicken Haaren kam vorsichtig mit großen Augen auf mich zu. Zinnfarbene Augen musterten mich erstaunt, was mich zum Grinsen brachte. "Hi, Dan", lachte ich und lief auf meinen großen Bruder zu, der mich allen Anschein nach abholte. Dieser richtete sich nun zu seiner vollen Größe auf und breitete die Arme aus. Lachend fiel ich ihm in die Arme und schmiegte mich eng an ihn. "Wow, meine Ro ist erwachsen geworden", murmelte er und schloss seine Arme enger um mich. Wieder kicherte ich und löste mich aus seiner Umarmung.

Mein Bruder musterte mich noch einmal von oben bis unten, bevor er einmal tief einatmete und schließlich breit grinste. "Na Dann, beeilen wir uns, kleine Schwester, ich muss Ian noch von der Schule abholen", verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Ian war doch in dem Alter meines Bruders oder verwechselte ich da was? Warum mussten wir ihn von der Schule abholen?

Meine Verwirrung schien sich in meinem Gesicht nur allzu deutlich wiederzuspiegeln, denn mein Bruder fing an laut zu lachen und warf mir dann einen amüsierten Blick zu. "Ian ist Lehrer, du Dummie", hechelte er belustigt und krampfte seine Hände um das Lenkrad um sich besser beherrschen zu können. Beleidigt schob ich meine Unterlippe schmollend nach vorne, verschränkte die Arme und starrte stur aus dem Fenster. Dan lachte nur noch mehr als er mich beleidigt da so sitzen sah.

"Du bist doch jetzt nicht wirklich deswegen beleidigt oder, Kleine?", lachte er. Ich brummte nur unstimmig und mein Bruder rastete komplett aus. "Pass auf, du baust noch einen Unfall", knirschte ich.

Grinsend äffte mich mein Bruder amüsiert nach, was ich aus dem Augenwinkel nur zu gut mitbekam. Schmollend sank ich tiefer in den weichen Sitz und wandte meinen Kopf um aus dem Seitenfenster zu starren. "Meine kleine Schwester ist vielleicht äußerlich eine Frau geworden aber innerlich ist sie immer noch dieselbe", grinste Dan und piekste mich dann glucksend in die Seite.

Als wir an besagter Schule ankamen, war ich ihm schon gar nicht mehr böse. Lange konnte ich ihm nicht böse sein, konnte ich noch nie.

Auf einmal haute mein Bruder mit voller Wucht auf die Hupe, was dazu führte das ich mir erschrocken die Ohren zu hielt. Verwirrt hob ich dann denn Kopf und sah mich suchend um, um die Quelle desjenigen ausfindig zu machen, dessen Aufmerksamkeit mein Bruder versuchte auf sich zu ziehen.

Wenig später war ich auch schon erfolgreich. Am Eingang der altmodischen Schule, stand ein breit gebauter blonder Mann der sich suchend umblickte. Nach dem Dan ein zweites Mal auf die Hupe drückte und ich ihm einen finsteren Blick zuwarf, wurde der junge Mann endlich auf uns aufmerksam. Grinsend lief er mit großen Schritten auf den Jeep von Dan zu. Als die stürmischen Silberaugen, meine trafen, atmete ich ruckartig tief ein.

Vor mir stand Ian Suvell, mein früherer bester Freund.

Pain of Wolves Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt