42 - Optimistic

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Hoseok POV

Seufzend zog ich mir die Jacke über mein T-Shirt und stieß die Tür zum Hinterhof des Cafés auf. Die kühle Herbstluft umspielte mein Gesicht und veranlasste mich dazu, den Reißverschluss meiner Jacke bis knapp unter mein Kinn zu ziehen. Das Ende einer Schicht war immer mit einem Gefühl der Erleichterung verbunden, egal wie anstrengend und stressig sie auch war, der Feierabend machte alles besser. Heute jedoch war es eine angenehme Schicht gewesen, ich konnte mich nicht beklagen, denn es war weder total stressig noch irgendwie langweilig gewesen. Es hatte immer gerade soviel zu tun gegeben, dass man permanent beschäftigt war, ohne sich bei der Arbeit abhetzen zu müssen.

Ich folgte der Straße bis zur Bushaltestelle und nahm glücklich den gerade heranrollenden Bus zur Kenntnis. Heute war wirklich ein guter Tag, so müsste ich keine unangenehme Zeit an der Bushaltestelle totschlagen. Zudem war der Bus nur mäßig gefüllt, sodass ich einen Fensterplatz in einem Zweier ergattern konnte. Erschöpft und zugleich zufrieden lehnte ich meinen Kopf an die Fensterscheibe und ließ meinen Blick über die Landschaft gleiten, die am Busfenster vorbeizog. Die Fahrt würde nun mindestens eine halbe Stunde dauern und das auch nur, wenn der Verkehr auf dem aktuellen Level blieb, was leider oft nicht der Fall war. Der Weg bis zur Uni war eben nicht gerade ein Katzensprung, doch die Aussicht, gleich Yoongi wiederzusehen ließ mich darüber hinwegsehen, dass ich eine öde Busfahrt vor mir hatte.

Ich schloss die Augen, einen Blick nach draussen zu werfen hatte sich nicht wirklich gelohnt, das triste Wetter tauchte alles in ein gräuliches Licht und ließ die Umgebung so trostlos erscheinen, dass meine Augenlider von ganz alleine zu klappten. So trostlos alles auch wirkte, vermochte es dennoch nicht meine Laune runterzuziehen. Die Dinge hatten sich so rasant entwickelt, dass ich das Gefühl hatte, kaum hinterher zu kommen, kaum Zeit zu haben, das Geschehene zu verarbeiten, doch ich konnte mich nicht beschweren, denn so, wie es gerade lief, war es einfach perfekt.

Automatisch schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen, als meine Gedanken einmal wieder zu Jimin zurückkamen. Er machte mich unheimlich glücklich, so glücklich, dass ich mich nicht selten fragte, ob ich nicht in einem Traum gefangen war. Doch wenn es sich um einen Traum handeln würde, dann wäre es definitiv kein Albtraum, nein. Es wäre der schönste Traum, den man haben könnte und so traumhaft sich mein Leben zur Zeit auch anfühlte, so sehr wagte ich es zugleich zu bezweifeln, dass ich nur träumte. Diese Gefühle waren einfach zu echt, als das sie nicht real wären, nicht nur die Gefühle, die still in meinem Inneren vor sich hin lebten, auch die Gefühle, die Jimin mich durch sein Handeln spüren ließ, immer dann wenn er mich küsste, seine warmen Lippen ein angenehmes und zugleich aufregendes Kribbeln auf meiner Haut hinterließen, er seine starken Arme um mich schlang und mich damit ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit spüren ließ, welches mir so neu war, wie das flatternde Gefühl in meiner Magengegend oder das Gefühl, so wie man war akzeptiert zu werden, sogar geliebt zu werden.

Ob es zu früh war, zu diesem Zeitpunkt schon von Liebe zu sprechen? Ich wusste es nicht genau und prinzipiell war es mir auch egal. Das, was ich empfand war zweifelsohne genau das und die Art und Weise, wie er mit mir umging war so zärtlich, liebevoll und vertraut, dass es mir einfach egal war, ob man da schon von Liebe sprechen konnte, oder nicht. Nie zuvor in meinem Leben hat mich jemand etwas derartiges spüren lassen. Nie zuvor hatte ich mein Leben als so angenehm und zufriedenstellend empfunden, wie jetzt. Es war nicht nur die Körperlichkeit zwischen uns, die zweifellos von Anfang an eine entscheidende Rolle gespielt hat, es war ebenso die emotionale Komponente, vielleicht war es sogar gerade die emotionale Komponente.

An Jimins Seite hatte ich das Gefühl, dass ich genau so, wie ich war, mit allen meinen Fehlern und Schwächen, mit all den Eigenschaften und Vorstellungen, die von irgendeiner Norm abwichen, sein konnte. Es war, als gäbe er mir all die Zuneigung, die mir in der Vergangenheit verwehrt worden war. Das, was meine Eltern mir niemals gegeben hatten, das gab er mir jetzt in hundertfachem Ausmaß. Es spielte daher keine Rolle, wie man es nun benennen wollte, Liebe hin oder her, war dies das schönste Gefühl, welches ein Mensch mich bisher spüren lassen hat.

In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, mein Leben in Korea hinter mir zu lassen und mir in Japan etwas komplett neues aufzubauen. Es war nicht leicht, ich musste neben der Uni noch arbeiten gehen, um mein Studium sowie meine Wohnung zu finanzieren. Es war sogar verdammt anstrengend und manchmal hatte ich das Gefühl, dass der Druck über mir zusammen zu brechen drohte. Doch in Korea war es auch nicht leicht gewesen. Es hatte einen Grund, dass ich so weit entfernt von meiner Heimat eine Uni besuchte, ich tat das nicht etwa, weil die Uni hier so toll war, einen so guten Ruf hatte oder weil es hier besonders günstig war, zu leben. Ich war hierher gezogen, weil ich die Demütigung zuhause nicht mehr ausgehalten habe, weil ich es schlichtweg nicht mehr ertragen konnte, jeden Tag zu hören, was für ein elendiger Nichtsnutz von einem Sohn ich doch war. Dazu noch eine dreckige Schwuchtel. Irgendwann war das Maß einfach voll gewesen, der Tropfen war gekommen, der das Fass letztendlich zum Überlaufen gebracht hat und schon am nächsten Tag hatte ich meine Sachen gepackt, um von zuhause auszuziehen.

Schon als ich noch zuhause wohnte, hatte ich einen Nebenjob gehabt. Mein Vater hat das Geld, was er verdiente, zum Fenster herausgeworfen, Schulden aufgebaut und für meine Mutter und mich war dabei natürlich nicht besonders viel übrig geblieben, wovon man ein gutes Leben hätte führen können. Ich hatte mir also einen Nebenjob in einem kleinen Café als Kellner gesucht, einen Teil des Geldes meiner Mutter gegeben und den Rest zur Seite gelegt. Ich wusste schon damals, dass ich es früh genug brauchen würde.

Insgesamt war meine Lebenssituation hier also wesentlich besser, als sie es in Korea war und selbst, wenn ich mich hier mit Konflikten auseinandersetzen musste, die es zuhause nicht gegeben hatte, so gab es hier zumindest Leute, die mich auch in den unangnehmen Zeiten unterstützten und nicht von meiner Seite wichen.

Ich öffnete meine Augen und blickte durch das dreckige Fenster hinaus auf die Straße. Der Verkehr lief zähfließend, anscheinend war der Bus genau in den Feierabendverkehr gefahren, oder so. Ich fischte mein Handy inklusive Kopfhörer aus der Tasche, steckte mir die Knöpfe in die Ohren und sperrte den Lärm meiner Umgebung erstmal aus. Ich stellte fest, dass ich eine Line-Nachricht hatte und öffnete den Messenger, um nachzuschauen, von wem sie war. Ich lächelte, als ich sah, dass sie von Jimin war. Er schrieb, dass ich auf mich aufpassen sollte und dass er sich schon auf heute abend freute. Mein Bauch begann zu kribbeln, ich antwortete ihm, dass er sich keine Sorgen machen sollte und dass er Taehyung doch später schöne Grüße von mir bestellen sollte. Ich schickte die Nachricht ab, begann allerdings erneut zu tippen. Ich fügte noch hinzu, dass auch er auf sich aufpassen sollte. Anschließend sperrte ich den Bildschirm, verstaute das Handy in meiner Tasche und schloss erneut die Augen.

Auch, wenn zur Zeit alles perfekt zu sein schien, konnte ich mich nicht dagegen wehren, mir quasi permanent, wenn Jimin nicht in meiner Nähe war, Sorgen um ihn zu machen. Ich hatte Angst davor, dass der widerliche Typ von Prof sich immernoch auf freiem Fuß befand. Ja, die Polizei hatte gesagt, dass sie sich darum kümmern würde, doch wer sagte, dass sie schnell genug damit waren und warum hatten wir noch keine Benachrichtigung bekommen, dass der Perversling geschnappt wurde? War er vielleicht untergetaucht oder hielt die Polizei es einfach nicht für nötig, diese kleine Information an uns weiterzugeben, falls er denn gefasst worden war?

Ich drängte den Gedanken beiseite, es brachte nichts, mir jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Stattdessen spielte ich ausgewählte Situationen der vergangenen Tage immer wieder in meinem Kopf ab und musste feststellen, dass es eine ganz schön nützliche Methode war, um negative Gedanken aus dem Kopf zu verbannen. Ich stellte mir Jimins Lächeln vor, seine Augen, die beim Lächeln nicht mehr als schmale Schlitze waren, seine vollen Wangen, die dabei ganz besonders schön zur Geltung kamen und seine sündhaft schönen Lippen, von denen ich bereits abhängig war, die zu küssen es pure Freude war. Mit einem Lächeln auf den Lippen döste ich ein und wachte erst wieder auf, als der Bus an der Endstation, der Universität, hielt.

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