Taehyung POV
Ich schluckte laut hörbar und legte meine Handflächen auf meine Oberschenkel, in der Hoffnung mich so beruhigen zu können. Ich schaute ihm in die Augen und versuchte in ihnen etwas zu finden, was mir helfen würde, die richtigen Worte zu finden.
"Jungkook, ich...", setzte ich an und merkte, wie sich das unsichtbare Band der Unsicherheit enger um meine Kehle schlang und mich damit verstummen ließ. "Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll." Na prima. Einen mieseren Anfang hätte ich nicht finden können. Es machte sich bereits ein leichtes Beben in meiner Stimme bemerkbar und wenn mich Jungkook nicht so angucken würde, wie er es eben tat, irgendwie liebevoll, interessiert und zugleich besorgt, hätte ich wohl aufgehört zu Reden, hätte gesagt, dass es nicht so wichtig wäre. Doch, so wie er mich musterte, sollte mir ein Rückzug verwehrt bleiben. Ich setzte mich aufrecht hin und sammelte all meinen Mut, den es irgendwo verborgen in mir zu finden gab. Wie es wohl bei Jimin und Hoseok abgelaufen war? Vielleicht konnte man das nicht wirklich vergleichen, doch die Beiden hatten es unglaublich schnell geschafft, ihre Gefühle füreinander zu kommunizieren. Wobei sie auch zusammen wohnten und das praktisch seit dem Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten. Okay, definitiv keine gute Referenz für meine eigene Situation.
"Du hast gesagt, dass du unsere Freundschaft wieder aufleben lassen möchtest. Dass du mich und die Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben vermisst hast. Als du wie aus dem Nichts einfach hier in Kobe aufgetaucht bist, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich war überfordert und ja, ich habe dich auch vermisst, sehr sogar. Doch die Dinge ... Sie waren schon damals nicht so leicht." Ich war mit jedem Satz unsicherer geworden, denn der Zeitpunkt der Offenbarung rückte näher und näher. Ich sah, dass Jungkook etwas auf der Zunge lag, er machte dieses Gesicht, als hätte er etwas einzuwenden, doch er übte sich in Schweigen, damit ich mit meiner Erzählung fortfahren konnte. "Damals habe ich dich darin bestärkt, Jimin zu sagen, was du für ihn empfindest, doch heute fühle ich mich, als wäre ich der Auslöser dafür gewesen, dass unsere Freundschaft so einen Verlauf genommen hat. Wenn ich dich nicht dazu gebracht hätte, ihm zu sagen, dass du dich in ihn verliebt hast, wäre dann heute vielleicht alles so, wie es früher war?" Ich sah, wie Jungkook seine Stirn runzelte. Diesmal übte ich mich in Schweigen, da es an der Zeit war, dass er etwas darauf erwiderte.
"Das siehst du definitiv falsch. Ja, du hast mich darin bestärkt, ehrlich zu ihm zu sein und ihm meine Gefühle zu offenbaren. Das hat mir geholfen, Mut zu sammeln und diesen Schritt zu gehen, doch ich würde nicht ausschließen, dass es nicht irgendwann auch so dazu gekommen wäre. Daher solltest du diese Schuld, wenn man denn überhaupt davon sprechen kann, nicht auf dich nehmen. Ich denke, die Umstände haben keinen anderen Verlauf unserer Freundschaft erlaubt."
Seine Worte machten mich nachdenklich und ich konnte mich nicht dagegen wehren, dass ich ihm Recht geben musste. Außerdem wurde mir bewusst, dass diese Sichtweise auch auf die derzeitige Situation anwendbar war. Vielleicht gab es nur die eine Möglichkeit, ehrlich mit ihm zu sein. Dass es so nicht weitergehen konnte, wie es derzeit lief, war mir ja schon klar geworden, aber dennoch schmerzte die Erkenntnis.
"Wahrscheinlich hast du Recht", murmelte ich und unterdrückte ein Seufzen. "Der Punkt ist, dass ich nicht weiß ob ich mit dir so befreundet sein kann, wie es früher der Fall war." Meine Kehle brannte, ich fühlte mich unwohl und mir war mittlerweile speiübel. Mir war bewusst, dass es unangenehm werden würde, aber dass ich mich so elendig fühlen würde, dass mir jeder weitere Satz so schwer von den Lippen ging, als wären sie aus Blei, das hatte ich nicht erwartet. Ich hob meinen Blick und musterte ihn unsicher. Zu meiner Überraschung sah er kein bisschen überrascht aus. Dass er mich so anschaute, als würde ich ihm eine längst bekannte Geschichte erzählen, verunsicherte mich. Mir fehlten die Worte, ich hatte zumindest erwartet, dass er ein wenig Resonanz zeigen würde, doch diese Reaktion verletzte mich auf eine ganz unerwartete Weise. Es war, als wäre es ihm einfach egal, was ich ihm erzählt hatte. Vielleicht interpretierte ich seine Reaktion auch ganz falsch, doch ich sah keine andere Möglichkeit, sie zu interpretieren. Ich schwieg, denn so wie die Dinge standen, erschien mir ein Geständnis meiner Gefühle überflüssig zu sein.
"Du hast Recht."
Ich schluckte den Kloß herunter, der sich in meiner Kehle gebildet hatte, doch das Gefühl der Erstickung wollte nicht verschwinden. Wie blöd nur, wenn man nah am Wasser gebaut war, denn allmählich spürte ich auch, wie meine Augen feucht wurden. Ich wandte mich ab und war im Begriff, mich von der Couch zu erheben. Ich wollte mir nicht die Blöße geben, in seiner Gegenwart auch noch zu heulen, doch seine Hand schloss sich sanft aber bestimmt zugleich um mein Handgelenk und hielt mich damit vom Aufstehen ab. Ich blickte ihn durch einen wässrigen Schleier hindurch an und presste meine zitternden Lippen aufeinander. Was sollte das jetzt werden?!
"Du verstehst mich falsch", setzte er an und warf mir einen Blick zu, der mich letztendlich dazu brachte, mich wieder hinzusetzen. Es war verdammt schwer, die Tränen zurückzuhalten, doch ich wusste, dass es das schlimmste wäre, den Damm brechen zu lassen, da ich mich dann wahrscheinlich gar nicht mehr beruhigen würde. Also versuchte ich bewusst ruhig zu atmen und wünschte mir, dass der Moment möglichst bald vorüber sein würde.
"Du verstehst es falsch, Taehyungie. Ich bin zu dem gleichen Schluss gekommen, wie du. Es hat sich etwas verändert, ich kann nicht ganz in Worte fassen, was es ist. Es ist nur so, dass das Gefühl was ich habe wenn ich in deiner Nähe bin, anders ist, als früher." Seine Hand hatte mich nicht los gelassen, er hatte allerdings von meinem Handgelenk abgelassen und stattdessen seine Finger mit den meinen verschränkt, sodass unsere Hände wie zwei zueinander passende Puzzleteile ineinander lagen. "Vielleicht bin ich bis jetzt nur zu blind gewesen, das zu sehen, was ganz offensichtlich vor meinen Augen liegt", fuhr er fort und rückte ein Stück zu mir rüber, sodass ich seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. Automatisch hielt ich die Luft an und versuchte den Klang meines laut pochenden Herzens auszublenden, doch das war unmöglich, denn statt dass sich mein Herz beruhigte, hämmerte es stetig und viel zu schnell weiter.
"Ich kann nicht mit dir so befreundet sein, wie früher, denn das was ich für dich offensichtlich empfinde, geht über das hinaus, was ich für einen gewöhnlichen Freund empfinden sollte", setzte er fort und führte seine freie Hand an meine Wange, um sie dort abzulegen. Es fühlte sich gut an, die Wärme seiner Hand beruhigte mich, doch das, was er sagte hatte den genau gegenteiligen Effekt. Ich wusste nichts darauf zu erwidern und hätte er nicht im nächsten Moment seine Lippen mit meinen verbunden, hätte ich wahrscheinlich nach einer Möglichkeit gesucht, seine Worte zu interpretieren ohne aus ihnen zu schließen, dass er meine Gefühle erwiderte. Doch das Gefühl seiner weichen Lippen ließ mich das vergessen. Zu lange hatte ich diesen Moment ersehnt, den Moment, in dem ich ihm so nah sein würde, wie ich es mir schon so lange wünschte. Ich erwiderte seinen Kuss augenblicklich und als hätte er einen Schalter in mir umgelegt, der meine ewige Unsicherheit endlich abschalten konnte, legte ich meine freie Hand an seinen Hinterkopf um sein seidiges Haar unter meinen Fingerkuppen zu spüren. Es war genauso weich, wie es aussah und diese Erkenntnis ließ mich leicht in den Kuss lächeln, der so behutsam und vorsichtig war, als fürchteten wir beide den jeweils anderen zu verletzen.
Als ich das Gefühl hatte, dass die Luft zur Neige ging, löste ich mich von ihm und blickte ihm verwirrt und ungläubig in die Augen. Ihm entkam darauf ein leises Kichern, wobei er seinen Kopf gegen meine Schulter sacken ließ und mich dann weiterhin gespannt musterte. Es kam mir vor, als würde ich träumen und es handelte sich definitiv um keinen schlechten Traum. Es war, als würden sich die Ereignisse überschlagen, denn dass wir uns heute küssen würden, nachdem er es war, der mir sagte, dass ich für ihn kein gewöhnlicher Freund war und nicht umgekehrt, hätte ich nie und nimmer erwartet. Vielleicht war sein Verhalten auf und nach dem Campusfest nicht nur ein Produkt des Alkohols gewesen und auch, wenn es mir schwer fiel, diesen "Plot Twist" als die Realität abzustempeln, versuchte ich, es einfach zu genießen. Gefühle waren unberechenbar, man konnte sie weder einfach abstellen, noch konnte man sie erklären. Aber vielleicht musste man sie auch nicht immer erklären können, vielleicht reichte es manchmal aus, sich zurück zu lehnen und ihnen die Führung zu überlassen.
Jungkooks Nähe gab mir einen gewissen Frieden, nach dem ich mich seit Beginn dieses Chaos' schon lange sehnte. Doch ich wusste, dass er nicht ewig halten würde, denn egal ob Yoongi uns helfen würde oder nicht, würde die Zeit, bis Sakurai endlich hinter Gittern sitzen würde, keine angenehme werden.
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Would You Rather
FanfictionPark Jimin, ein scheinbar normaler Student mit überdurchschnittlich guten Leistungen. Obwohl sein Leben von Erfolgserlebnissen erfüllt sein sollte, fehlt dem jungen Studenten ein Ziel im Leben und die Motivation etwas zu erreichen. Als er sich einem...