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-Samus Sicht-

Auf dem Bild ist Penny zu sehen, auch wenn ich sie kaum erkannt hätte. Es ist dunkel, also muss das Foto unmittelbar jetzt entstanden sein. Sie trägt die selbe Kleidung wie nach dem Konzert am Körper, aber ihr schönes, schwarzes Oberteil wird von dunklen Flecken verziert. Ihr Gesicht ist nur teils zu erkennen, da auf den anderen Teil ein Schatten fällt. Ich reiße mich von dem Bild los und betrachte die weiteren Details nicht weiter - Ich muss dort hin, das ist das einzige was zählt! Ich brauche eine Minute, bis ich mich wieder soweit gefangen habe und aufhöre zu zittern, sodass ich wieder fahren kann. „Gib sofort den Standpunkt im Navi ein!" „Da." Die Route wird angezeigt und ich fahre wie ein Raser los. Endlich biegen wir in die dunkle, dreckige Gasse und ich springe aus dem Wagen. „Penny? Penny, bist du da?!" Ich harre kurz aus und lausche. Kein Laut. Ich renne die Straße weiter entlang. Plötzlich höre ich irgendein Schürfen. „Penny?! Penny bist du hier?! Ich bins! Ich bin hier!" Meine Stimme zittert und ich sehe mich in der Dunkelheit um. Eine dunkle Gestalt wankt langsam auf mich zu und mir bleibt das Herz stehen. Ich habe Angst genauer hinzusehen, zu sehen wer da wirklich vor mir steht, aber ich zwinge mich einige Schritte auf die Gestalt zuzugehen. „Oh mein Gott!" Ich stürze auf sie zu - Penny - und will sie in den Arm schließen, doch sie zuckt zurück. Gleichzeitig verwirrt, verzweifelt, aber auch erleichtert bleibe ich in einem Meter Abstand von ihr stehen und mustere sie. Ihr Mund ist komplett blutverschmiert und am Mundwinkel hat sich eine Kruste gebildet. Sie hat ein blaues, ebenfalls blutverschmiertes Auge, während das andere total matt und ausdruckslos zu mir schaut. An der Stirn, an den Wangen, am Kinn - überall im Gesicht hat sie Wunden, aus denen das Blut mehr oder weniger über das ganze Gesicht geströmt und getrocknet ist. Selbst am Hals kann ich Verletzungen ausmachen, die auf den ersten Blick für mich wie Schnittwunden aussehen und es lässt sich nur erahnen, wie der Rest ihres Körpers wohl aussehen muss. Sie kann kaum gerade stehen, sieht mehr tot als lebendig aus; würde sie so daliegen, ich würde sie für eine Leiche halten! Alle Farbe ist aus ihrem generell eher etwas hellerem Gesicht gewichen und als ich ihre Arme hinabsehe, da finde ich auch dort lauter Striemen, Wunden und verschmiertes Blut. „Penny", hauche ich und sehe sie fassungslos an. Ich will sie in den Arm nehmen, sie an mich drücken, ihr sagen, dass alles gut wird, aber erneut zuckt sie zurück, als ich meinen Arm zu ihr ausstrecke. In meinen Augen bilden sich Tränen und ich sehe, wie auch ihre Augen rot werden, bis schließlich dicke Tränen ihre Wangen hinunterlaufen und kleine, rote Kanäle in den Blutverschmierungen hinterlassen. „Samu", flüstert sie, dann bricht sie ohne Vorwarnung zusammen und ich kann gerade noch eine Hand unter ihren Kopf strecken und verhindern, dass dieser auf das harte, dreckige Straßenpflaster aufschlägt. Wer hat das getan? Wer hat meinem Engel so etwas grausames nur angetan?! „Ruf einen Notarzt! Bitte mach schnell!" Ich drehe Penny auf die Seite und streiche ihr über die glühende Wange. „Hörst du mich?" Keine Reaktion. Schon nach kurzer Zeit kann ich die Sirenen hören und nur wenige Augenblicke später sind Krankenwagen und Polizei eingetroffen. Während die Ärzte Penny untersuchen und auf eine Liege laden, stehen Niko und ich der Polizei Frage und Antwort. „Ich komme mit!", rufe ich den Ärzten zu und springe noch schnell in den Rettungswagen, bevor sie die Tür verriegeln und ins nächste Krankenhaus fahren. Ich starre die ganze Zeit Penny an. Was hat sie erlebt? Was hat sie durchgemacht?! Sie muss in den letzten Tagen durch die Hölle gegangen sein! Aber was wollten die von ihr?! Warum lässt man denn sein Opfer in so einem Zustand wieder frei?! Mir stockt der Atem. Wurde sie etwa vergewaltigt?! Oder konnte sie dem Täter bloß clever und tapfer wie sie ist entkommen? Und wenn ja: Sind die dann immer noch hinter ihr her?
Kurz bevor wir das Krankenhaus erreichen, kommt sie wieder zu Bewusstsein und am liebsten würde ich ihr tausende Fragen stellen, aber die Ärzte kümmern sich direkt um sie und so halte ich mich im Hintergrund. Schließlich bringt man sie in einen Untersuchungsraum, den ich nicht betreten darf. Also setzte ich mich auf dem Gang auf einen Holzstuhl und warte. Ich hoffe Niko hat Sini angerufen und ihr Bescheid gegeben...
Dann geht die Türe auf und die Ärztin bittet mich herein. „Sie sagt nicht viel; nur nach ihnen fragt sie immer wieder." Ich springe auf und laufe in den Raum, wo mein kleiner Engel zusammengekauert auf einer Untersuchungsliege hockt und zu mir hochblickt, als sie die Schritte hört. Sie streckt die Arme nach mir aus und ich will sie schon in den Arm schließen, als die Ärztin mich aufhält. Verwirrt sehe ich sie an. Penny will das doch eindeutig, oder etwa nicht?! „Gehen sie zu ihr, aber umarmen sie sie nicht. Sie hat noch starke Schmerzen und auch eine innere Verletzung, die noch abheilen muss", erklärt die Ärztin einfühlsam und ich nicke. Langsam gehe ich auf Penny zu, die mich nach wie vor ansieht und kaum bin ich nahe genug, da schlingt sie ihre Arme um mich. Aus Reflex will ich meinen Arm um sie legen, merke es aber in letzter Sekunde und lasse ihn wieder sinken. Eine Sache, die die Ärztin gesagt hat, geht mir immer wieder im Kopf herum. „Innere Verletzung, sagten sie?" „Ja genau." „Heißt das sie wurde..." Meine Stimme bricht ab und ich habe Angst auszusprechen, was ich denke. „Missbraucht?" Ich nicke ängstlich. „Nein. Nein, diese Verletzung scheint - so eigenartig und abwegig das auch klingt - von Elektroschocks, also Stromschlägen zu stammen." Ich bin im ersten Moment erleichtert, aber dann wird mir so richtig klar, was sie Ärztin gerade gesagt hat. „Elektroschocks?!" Ratlos zuckt sie mit den Schultern. „Ich kann mir das auch nicht vernünftig erklären, aber das steht ohne Zweifel fest. Ich habe bereits einen speziellen Kollegen hergebeten, der mit der Polizei eng zusammenarbeitet, der sich das nochmal ansehen soll." Pff, Polizei; dass ich nicht lache! „Und... und hat sie was gesagt? Was ihr passiert ist?" „Nein, wie gesagt: Sie redet nicht. Bloß sie wollte sie unbedingt sehen." Ich sehe zu Penny hinunter, die ihre Arme noch immer um mich geschlungen hat. Ich will gerade versuchen mit ihr zu reden, als es auch schon an der Tür klopft. Es ist wohl dieser spezielle Kollege, von dem die Ärztin eben gesprochen hat. Er wirft mir und Penny einen Blick zu. „Sind sie einverstanden, wenn der Herr neben ihnen während der Untersuchung dabei bleibt?" Ob sie mich jetzt rausschicken wird? Aber meine Sorge stellt sich als absurd heraus, denn Penny nickt heftig und klammert sich nur noch stärker an mir fest. Als der Arzt sie auffordert sich hinzulegen, gehen sowohl er als auch ich davon aus, dass es wohl besser ist, wenn ich ein Stück zur Seite gehe, aber noch bevor ich weggehen kann, greift Penny nach meinem Handgelenk. Ich wechsle einen Blick mit dem Arzt und bleibe schließlich neben Pennys Kopf stehen. Die Untersuchung dauert ziemlich lange und als der Arzt schließlich zurücktritt, ist sein Ausdruck finster.

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