An diesem Tag lief ich Damon nicht über den Weg. Ich schwankte zwischen Erleichterung und Enttäuschung. Zum einen war ich froh eine verlängerte Galgenfrist zu haben aber zum anderen wollte ich unbedingt mit ihm ins Reine kommen. Ich fühlte mich hin- und hergerissen und ich überlegte mehr als nur einmal, ob ich ihn nicht einfach suchen sollte. Doch ich wollte es ihm nicht so leicht machen. Zu häufig bekam er das, was er wollte. Die Mädchen rannten ihm hinterher, als wären sie Hunde. Ich wollte nicht so wie sie sein.
Also ignorierte ich meine innere Stimme, die mich dazu drängen wollte, Damon zu suchen und konzentrierte mich vollkommen auf den Unterricht.
Als der Schultag vorbei war, zog ich mein Handy aus der Jackentasche und schaute, ob ich Nachrichten erhalten hatte.
Der Name meiner kleinen Schwester strahlte mich an. Sie schrieb, dass es ihr gut gehen würde. Die Projektwoche machte Spaß, aber sie würde sich freuen uns wieder zu sehen. Emilia war in der 4. Klasse und war für eine Woche mit ihrer Klasse in irgendein Kaff gefahren. Sie wohnten auf einem großen Bauernhof, melkten Kühe und sammelten die Eier von Hühnern. Damit wollten die Lehrer das Umweltbewusstsein der Schüler wecken.
Ich vermisste das kleine Krümelmonster zu Hause. Es war ziemlich still ohne sie. Doch sie würde morgen zurückkommen und darüber war ich mehr als erleichtert.
Emilia hatte erst seit kurzer Zeit ein Handy, deshalb konnte ich mir vorstellen, wie lange sie für diese Nachricht gebraucht hatte. Es waren einige Rechtschreibfehler zu erkennen. Auf diese ging ich natürlich nicht ein, als ich ihr antwortete. Ich schrieb, dass wir sie ebenfalls vermissten und die Woche ohne sie sehr langweilig gewesen war.
Ich stellte mir vor, wie sie mit ihren kleinen Händen Früchte von Bäumen pflückte oder vom Feld erntete. Aber wenn sie den Geschirrspüler ausräumen sollte, machte sie immer Ärger!
Ich verstaute mein Handy in der Tasche meiner Hotpants und schaute mich um. Ich könnte Damon immer noch aufsuchen. Bestimmt war er auf dem Footballfeld und trainierte. Bald würde die Saison wieder beginnen und nach der langen Sommerpause mussten die Jungs wieder in Form kommen.
Mein Gehirn, welches konsequent „nein!" schrie, ignorierte ich, als ich, zum zweiten Mal in dieser Woche zum Footballfeld lief. Ich hatte mir nicht überlegt, was ich ihm sagen wollte, aber ich wollte auch nicht nochmal stoppen um darüber nachzudenken, weil ich Angst hatte, mein neu gewonnener Mut könnte mich wieder verlassen.
Meine festen Schritte verlangsamten sich.
Warum tat ich das eigentlich? Warum wollte ich mich mit einem Jungen, den ich nicht kannte, gut stellen? Warum lief ich ihm hinterher?
Nun blieb ich ganz stehen. Ich blickte unentschlossen auf einen Baum. Und was jetzt?
Ich hatte es fast geschafft, traute mich aber keinen Schritt weiter. Verzweifelt biss ich mir auf die Lippe und steckte meine Haare hinter die Ohren.
Warum konnte ich nicht einmal mutig sein?
Warum konnte ich meinen Ängsten nicht einmal ins Auge sehen? Ich wollte es ja! Doch meine Furcht mich zu blamieren war immens.
Ich trat nervös von einem Fuß auf den anderen.„Hey, du!", ich wendete meinen Blick von dem Baum ab und schaute in die Richtung, von welcher der Zuruf kam.
Ich lächelte.
„Hallo, Kyle. Schön dich mal wieder zu sehen."
Er hob theatralisch seine Hände.
„Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.", rief er in den Himmel und mein Lächeln wurde noch breiter.
„Was machst du hier, Aria? Wenn du die Natur genießen willst, ist der Stadtpark dem Schulhof definitiv vorzuziehen.", scherzte er.
Hatte ich den Baum wirklich so intensiv angestarrt? Mist! Wieso hatte ich die Eigenschaft mich ständig vor Jungs zu blamieren? Mein Gesicht wurde warm und ich spielte verlegen mit einer meiner Haarsträhnen.
„Ehrlich gesagt, suche ich Damon", flüsterte ich und versuchte von meinem merkwürdigen Verhalten abzulenken.
„Seid ihr beiden zusammen?", er runzelte die Stirn. Ich blicke verwirrt auf. Wie kam er denn auf sowas? Wirkte es etwa so?
„Nein. Wieso denkst du das?"
„Du suchst ihn ja ständig. Wir haben uns kennengelernt, weil du ihn gesucht hast. Hast du ihm immer so viel dringendes zu erzählen?"
„Nein...wir beiden- wir haben momentan nur eine schlechte Phase. Wir kennen uns ehrlich gesagt noch nicht so lange und haben uns trotzdem schon ganz schön in die Haare bekommen.", ich zuckte mit den Schultern, als müsste ich mich vor Kyle rechtfertigen, „ich bin ein sehr friedlicher Mensch und vermeide Streitereien, wenn es möglich ist."
„Also seid ihr nicht zusammen?"
Ich kicherte.
„Ganz und gar nicht!"
„Wenn das so ist. Hättest du Lust mal etwas mit mir zu machen?"
Meine Nervosität wandelte sich in Skepsis um.
„Ich kenne dich doch gar nicht."
„Deshalb können wir uns doch treffen. Damit wir uns kennenlernen!"
„...und wann?"
„Sobald du Zeit hast."
Mir fiel Damon wieder ein.
„In Ordnung. Aber heute geht es nicht. Ich muss Damon noch suchen."
„Da muss ich dich leider enttäuschen. Er hat sich heute für das Training abgemeldet. Hat irgendetwas von einem Termin geredet."
„Verdammt!", murmelte ich und schlug mit meiner Hand auf meine Stirn. Dann würde ich noch länger gequält werden. Ein Wochenende lang müsste ich warten, um mit ihm zu reden. Nach dem Wochenende würde ich mir doch viel zu viele Gedanken gemacht haben! Ich würde sicher nicht den Mut auffinden mit ihm zu reden.
„Also...? Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?"
Kyle wirkte auf mich sympathisch und auch, obwohl meine Menschenkenntnisse nicht die besten waren, machte er mir nicht den Eindruck ein Massenmörder zu sein. Deshalb willigte ich kurzerhand ein und zusammen verließen wir die Schule.

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Gaps in my Head
Roman pour AdolescentsInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...