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„Was ist -verdammt nochmal- gestern passiert?"

So meldete ich mich bei Lara. Nach meinem sehr verwirrenden Gespräch mit Damon und einer sich ziehenden Geschichtsstunde konnte ich meine Neugierige nicht mehr bremsen und hatte sofort Laras Nummer gewählt.

„Ich wünsche dir auch einen schönen Tag. Ja, mir geht es gut, danke der Nachfrage. Und dir so?", ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.
Wahrscheinlich war ich wirklich ziemlich unhöflich gewesen.

„Tut mir leid.", antwortete ich deshalb halblaut.

„Ist schon gut. Also, was meinst du damit?"

„Soeben hat mich ein ziemlich beliebter Junge unserer Schule angesprochen. Er war super nett und hat mir sogar Kekse geschenkt.
Kannst du dir das erklären?"

Sie kicherte.

„Ist das dein Ernst?"

Mir wurde heiß. Ich wollte nicht, dass sie sich über mich lustig machte. Nicht wegen meiner Vergesslichkeit. Nicht wegen etwas, wofür ich nichts konnte.

„Lara. Es ist wirklich dringend. Ich weiß nicht, was ich tun soll."

Wahrscheinlich lag es daran, dass die letzten Tage so stressig waren. Erst der vergessene Englischtest, dann das ernste Gespräch mit meinem Vater und nun tat ein wildfremder Junge so, als würden wir uns kennen. Das alles spielte zusammen, sodass meine Stimme zu Zittern begann und meine Augen feucht wurden.
Anscheinend bemerkte Lara meine Verzweiflung.

„Hey, Aria. Beruhige dich erstmal. Alles gut!
Es war nichts weiter. Der Junge heißt Damon..."

„Ja das weiß ich doch!", meine Stimme überschlug sich.

„In Ordnung. Du hast mir erzählt, dass er sich im Café zu dir gesetzt hat. Ich war noch nicht da. Ihr habt euch unterhalten und er hat die Kekse aus der Schale, welche auf deinem Tisch stand, gegessen.
Als ich kam, wirktest du genervt, aber er war eigentlich ganz nett. Ich glaube, insgeheim hast du dich gefreut, dass er sich neben dich gesetzt hat."

„Warum sollte ich mich gefreut haben?"

„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich, weil er sonst nur mit Zahnstochern ausgeht, was du mir übrigens auch erzählt hast.
Ich denke, dass du dich geschmeichelt gefühlt hast. Irgendwie wirktest du hippelig."

Ich setze mich auf einen Steinsockel am Eingang unserer Schule. Ich fühlte mich ausgelaugt, deshalb war mir dieser unbequeme Brocken lieber als zu stehen.

„Ich erinnere mich an nichts, was mit ihm zu tun hat.", flüsterte ich in mein Telefon. Es war mir peinlich diese Beichte laut auszusprechen.
Für einige Momente herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Ich wusste, dass Lara verzweifelt nach einer logischen Erklärung suchte. Wahrscheinlich genauso erfolglos wie ich.

„Du stehst in letzter Zeit einfach sehr unter Stress. Die Schule hat doch gerade erst wieder begonnen und du musst dich neu sammeln. Das wird schon wieder."

„Und wenn nicht?", das war die riesige Frage, die mir wie ein Stein auf den Schultern lag. Was, wenn es nicht besser werden würde?

„Dann bin ich für dich da. Das weißt du doch."

Ihre Worte trösteten mich etwas. Ich wusste, dass ich mich immer auf sie verlassen konnte. Genau deshalb sagte ich ihr auch, wie ich mich fühlte, was mir durch den Kopf ging und was meine größten Ängste waren.

„Danke, Lara."

Die Klingel läutete und ich verabschiedete mich schnell von ihr. Kaum zu glauben. Wir hatten uns gestern erst verabschiedet und heute musste ich sie wieder anrufen. Ich fühlte mich schlecht, weil ich ihr nicht auf die Nerven gehen wollte, aber ich wusste, dass sie mir immer helfen würde.

In Mathe dachte ich nochmal über mein Gespräch mit Damon nach. Er würde jetzt wohl denken, dass ich geistesgestört war, oder zumindest eine arrogante Zicke.
Eigentlich müsste mir das egal sein. Immerhin verhielten er und seine Freund sich nicht besser, doch aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass er schlecht von mir dachte.
Ich wollte, dass er mich tolerierte... vielleicht sogar mochte.
Ich gebe zu, dass ich in diesem Augenblick der Emanzipation kein gutes Vorbild war. Immerhin überlegte ich verzweifelt, wie ich am besten bei einem Jungen ankommen könnte. Auch wenn dies zur Folge hätte, dass ich mich verstellen müsste.

Aus irgendeinem Grund war mir das letzte Gespräch, welches wir geführt hatten, im Nachhinein dermaßen peinlich, dass ich mir wünschte, er hätte sich in diesem wunderschönen, idyllischen Café nicht neben mich gesetzt. Ich wünschte, dass nur das geschehen war, woran ich mich erinnern konnte.

Mein Mathematiklehrer schrieb ein Gleichungssystem an die Tafel. Er hat ein Minuszeichen zu viel gesetzt.

Ich müsste meinen Fehltritt irgendwie wieder gut machen. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, möglichst normal zu sein. Ich wollte ungern, dass alle Schüler und Lehrer von meinem Problem, dass ich ständig Dinge vergaß, erfuhren. Sie würden mich auslachen oder denken, dass ich mir das nur ausgedacht hätte, um keine Hausaufgaben machen zu müssen.

Mein Lehrer hatte das Minuszeichen zu viel bemerkt und seinen Fehler korrigiert.

Wenn es bei mir auch nur so leicht wäre. Wenn ich mit einem Wischer mein Problem aus der Welt schaffen könnte.
Danach würde ich so tun, als wäre nie etwas geschehen. So wie mein Lehrer. Doch es würden immer Spuren übrig bleiben.
Seien es die Augen der Schüler, die seinen Fehler bemerkt haben oder die verwischte Kreide, anstatt des Minuszeichens, welche immer noch leicht zu sehen war.

Nie würde es vollständig vorbei sein.

Gaps in my HeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt