Die Träne brachte mich endgültig wieder zu Verstand. Ich drückte Kyle sanft von mir weg. Er schaute mich irritiert an. Wahrscheinlich hielt er mich nun für völlig übergeschnappt. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Schließlich war ich diejenige gewesen, die sich ihm angehangen hat.
Oh, wie schämte ich mich jetzt schon für mein Verhalten. Ich schielte über seine Schulter und schaute, ob ich Damon immer noch sehen konnte. Doch natürlich war er schon längst weg. Bestimmt war er gerade dabei irgendetwas kaputt zu machen und ich Esel war daran schuld. Warum musste ich mich denn auch ständig daneben verhalten, wenn Damon in der Nähe war? Soeben hatte ich mich wie eine pubertierende Göre aufgeführt und Kyle da mit reingezogen.
„Falls du jetzt das Gefühl hast, ich will was von dir, muss ich dir leider sagen-...", er ließ mich gar nicht ausreden.
„Ganz ruhig, Süße. Ich erwarte keinen Heiratsantrag von dir. Schließlich war ich derjenige, der dich geküsst hat, nicht andersherum.", er sah gelassen aus. Viel zu gelassen.
„Ja, aber ich habe es zugelassen. Das war nicht richtig von mir. Ich habe das nur getan, weil ich-..."
„Weil du Damon eifersüchtig machen wolltest."
Langsam nervte mich sein arrogantes Verhalten.
„Nein, weil ich ihm zeigen wollte, dass das zwischen uns nicht funktioniert.", erwiderte ich ein wenig gereizt.
„Ihr beide seid echt kompliziert, wusstest du das? Meiner Meinung nach, war das zwischen euch beiden vorbei, bevor es überhaupt begonnen hatte."
Dieser Satz traf mich ziemlich hart.
„Wieso sagst du sowas?", selbst ich hörte, wie geknickt ich klang.
„Nimm es mir nicht übel, Aria, aber ihr beide hattet doch von Anfang an Differenzen. Ständig habt ihr euch gestritten oder eine Meinungsverschiedenheit gehabt. Das hat jeder mitbekommen."
„Wir sind beide eben sehr leidenschaftlich. Da kommt es schonmal zu Streitereien. Doch wir haben uns jedes Mal wieder versöhnt.", langsam wurde ich trotzig. Wieso musste ich mich überhaupt vor Kyle rechtfertigen? Besonders zu einem Thema, das nun offiziell der Vergangenheit angehörte.
„So viele Streitereien sind aber auch nicht gut. Früher oder später hättet ihr euch nur gegenseitig zerstört. Da ist es ganz gut, dass du das beendet hast."
Ich war sprachlos. Hatte Kyle vielleicht sogar recht mit seiner Argumentation? Hätten Damon und ich uns durch unsere impulsive Art irgendwann selber zerstört. Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
Ja, wir hatten uns oft gestritten, aber das hatte doch nur gezeigt, dass wir manchmal verschieden dachten.Verdammt, wenn Kyle tatsächlich recht hatte, war es -mal abgesehen von meiner Krankheit- die richtige Entscheidung gewesen das zu beenden. Schlagartig fühlte ich mich besser. Dann war der Kuss zwischen Kyle und mir wohl doch kein so fataler Fehler gewesen, versuchte ich mir einzureden. Doch tief im Inneren war diese Stimme, die das, was ich getan hatte, hasste.
Die restliche Pause wandelte ich wie ein Gespenst über den Schulhof und durch die Flure. Ich wusste nicht recht, wonach ich suchte und wohin ich wollte.
Am liebsten hätte ich mich Lara oder Mary anvertraut. Erstere fiel leider aus, weil ich nicht mehr genug Zeit hatte, sie anzurufen. Und Mary... ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie etwas von meinen Jungsproblemen hören wollte.Wenn ich ihr von dem heutigen Ereignis erzählte, würde sie mich wahrscheinlich fragen, wie ich noch in den Spielen schauen könnte. Das wäre wohl berechtigt, da ich keine ausweichende Antwort finden würde und mir genau dieselbe Frage stellte.
Vor einigen Monaten war ich die unsichtbare Schülerin, welche zwar keinesfalls schüchtern, aber auch nie besonders aufgefallen war. Ich hatte ein normales Leben, mit dem ich wenigstens klar kam.
Nun war ich eines dieser Mädchen, die Jungs küsste, nur um andere Jungen eifersüchtig zu machen. Ich war die Sorte von Person, über die Mary und ich damals nur die Augen verdrehten, wenn sie mal wieder einen neuen Freund hatten. Wahrscheinlich war ich nicht einmal besser als die Mädchen, die ihrem Freund fremdgingen oder einer anderen den Freund ausspannte.Wenn ich genauer darüber nachdachte, gehörte ich zu den Personen, von denen Mary und ich uns immer geschworen hatten, nie so zu werden wie sie.
Keine Wunder, dass sie in letzter Zeit so komisch zu mir war. Ich hatte mich verändert und das wahrscheinlich in die falsche Richtung.Doch was sollte ich mit dieser Erkenntnis machen? Sollte ich mich selber zwingen, wieder zu werden, wie ich mal war? Würde ich meiner Umgebung, meinen Freunden, mir und vor allem Damon damit einen Gefallen tun? Und wenn ja, war es wirklich das, was ich wollte?
Was Mary anging, entschied ich mich, den Weg des geringsten Widerstandes zu wählen. So, wie ich es in letzter Zeit eigentlich ständig tat.
Als sie mich fragte, was Kyle von mir wollte, zuckte ich mit gespielter Desinteresse die Schultern. Leider hatte ich nicht damit gerechnet, dass die Mädchen, die vor uns saßen sich lauthals über den Kuss von Kyle und mir unterhielten.
Ich spürte, wie Mary sich verkrampfte und ihre Lippen ganz schmal wurden und machte mich in meinem Stuhl immer kleiner.Was für eine Blamage!

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Gaps in my Head
Novela JuvenilInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...