45

174 8 0
                                    

Der große Tag war gekommen. Ich war fürchterlich aufgeregt und überlegte immer wieder, ob ich nicht doch lieber absagen sollte. Es war so viel einfacher in meiner Komfortzone -also meinem Bett- zu bleiben, als zu einem Spiel zu gehen, dessen Regeln ich nur zur Hälfte kannte und dort zwei Personen anzutreffen, die immensen Einfluss auf meinen Freund hatten.

Ich sollte heute Damons Eltern kennenlernen. Im Voraus hatte ich ihn ein wenig zu ihnen ausgequetscht. Welche Themen ich lieber vermeiden sollte und worüber sie gerne sprachen. Doch immer, wenn ich wieder auf das Zusammentreffen zu sprechen kam, lachte er stets sein umwerfendes Lachen, welches seine weißen Zähne makellos präsentierte, fuhr mir mit einer beruhigenden Bewegung über die Wangen und sagte, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen sollte. Doch wie sollte ich das anstellen? Wie bekam man sein Kopf dazu auf den „Aus"-Schalter zu drücken?

Meine Nervosität stieg von Sekunde zu Sekunde. Einmal hatte ich tatsächlich schon eine Nachricht getippt, in welcher stand, dass ich leider nicht zum Football-Spiel kommen konnte, weil ich mir kurzerhand eine schlimme Infektion zugelegt hatte. Kopfschmerzen, Fieber und Erbrechen. Natürlich alles drum herum. Doch meine Mutter bekam Wind von meinem Vorhaben, zog mein Handy ein und kümmerte sich um meine Haare. Sie bürstete sie ausgiebig und sprach mit beruhigender Stimme auf mich ein und irgendwann schaffte mein Puls es wirklich sich zu normalisieren. Zumindest so lange, bis Damon mich mit seinem Motorrad abholte und mir meinen Helm in die Hand drückte.

„Wo treffen wir deine Eltern?", fragte ich etwas unbeholfen und drehte das schwere Material in meinen Händen.

„An der Schule. Sie kommen etwas später mit dem Auto nach. Sie freuen sich schon dich kennenzulernen.", den letzten Satz schob er schnell hinterher. Vermutlich, um mir die Angst zu nehmen. Vergebens. Doch ich wollte nicht rumweinen. Damon sollte mich nicht für kindisch halten.

Kommentarlos stieg ich auf das Motorrad und versuchte, wie immer, den kleinen Abstand zwischen uns vernichten.
Nach kurzer Zeit kamen wir an dem großen Gebäude, unsere Schule an. Es war Sonntag und am Nachmittag. Die Schule war dementsprechend menschenleer. Da es sich um kein offizielles Spiel handelte, wurden wir auch nicht von den üblichen Fan-Grüppchen begrüßt. Wahrscheinlich waren die meisten Schüler jetzt zu Hause und bekamen reihenweiße Herzinfarkte, weil morgen wieder Montag war. Mir würde es jetzt genauso gehen, doch dieser Schmerz wurde von dem heutigen Aufeinandertreffen mit Damons Eltern gedämpft.

„Ary!"

„Hmm?", seine heftige Stimme ließ meine Gedanken verstummen. Ich blickte überrascht zu ihm auf.

„Ich habe dich gerade darauf hingewiesen, dass Kyle auch da sein wird. Ist das in Ordnung für dich?", ich glaubte einen Funken Ärgernis in seinem Blick zu erkennen. Doch dieser wurde von einer Flamme voller Besorgnis abgelöst. Kyle. Ich hatte gar nicht daran gedacht, ihn heute wiederzusehen. Ich war ihm seit unserer letzten Begegnung gekonnt aus dem Weg gegangen und war, weiß Gott, mit besserem beschäftigt gewesen, als mir über seine Warnung den Kopf zu zerbrechen.

Doch jetzt kam sie mir wieder in den Sinn. Ich würde nicht zu Damon passen. Wir würden ständig streiten. Pah, von wegen! Er würde schon noch sehen, wie gut wir miteinander harmonierten. Wir waren füreinander bestimmt!

„Tut mir leid für meine Ungeduld, aber wenn du diese Frage nicht gleich beantwortest, kann ich für nichts mehr garantieren.", seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als würde ihm mein Verhalten Sorgen machen. Als würde er glauben, dass zwischen Kyle und mir noch etwas läuft.

„Kyle ist mir absolut egal.", sagte ich gleichhin und wusste, dass das Gesagte der Wahrheit entsprach.

„Küsst du alle Menschen, die dir egal sind?", die Worte kamen ihm etwas zu laut über die Lippen und ich wich erschrocken einen kleinen Schritt zurück. Er wirkte ganz verändert. Ich mochte diesen Damon nicht. Sein Blick strahlte eine Eiseskälte aus und ließ mich frösteln. Ich musste ihn eine Weile anstarren und diese Veränderung verarbeiten, ehe ich ihm antworten konnte.

„Ich habe dir bereits gesagt, dass das ein schlimmer Fehler war und dass ich diesen Vorfall bereue.", ich legte meine Finger an seine Schläfe und erhoffte mir irgendeine menschliche Regung von ihm. Ich wollte die Mauer, welche er in den letzten Augenblicken um sich aufgebaut hatte, durchdringen.

„Mir liegt nichts an ihm. Gar nichts. Aber all diese Worte sind nicht von Bedeutung, wenn du mir nicht vertraust.", ich sah, dass ich es schaffte. Stein für Stein, Brocken für Brocken stürzten von seiner selbsterrichteten Barrikade und langsam gewann die humanistische Seite wieder die Oberhand. Ich atmete leise und kurz durch.

„Du hast recht. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was da gerade mit mir losgegangen ist. Aber jedes Mal, wenn ich mich an diesen Moment zurückerinnere, werde ich furchtbar wütend und weiß nicht, wo ich die ganzen Gefühle rauslassen soll. Ich hätte Kyle damals umgebracht, hätte ich nicht die Selbstbeherrschung behalten und mich abgewandt. Ich hätte ihn wirklich umgebracht.", ich wollte nicht, dass Damon wegen mir Schmerzen erlitt. Besonders nicht, wegen solch einer blöden Sache.

„Kein Kyle. Nur du und ich.", sagte ich mit Nachdruck und sah ihn liebevoll an. Ich strich eine der brauen Strähnen sanft aus seinem Gesicht und lächelte ihn strahlend an. Er reagierte auf meine Worte und griff nach meiner Hand.

„Nur du und ich.", antwortete er langsam, „und natürlich meine Eltern.", berichtigte er sich lachend und sah an mir vorbei. Ich folgte seinem Blick und erkannte eine Frau und einen Mann, die zielsicher auf uns zu liefen. Kurze setzte mein Herz aus. Damons Eltern.

Gaps in my HeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt