„Liebling, kommst du runter? Wir wollen jetzt gehen!", die Stimme meiner Mutter schalte durch das Treppenhaus und gelangte in mein Zimmer.
„Ich komme!", schrie ich zurück. Ich muss mich beeilen. Heute durfte ich auf keinen Fall zu spät kommen. Ich würde die Frau treffen, die dasselbe Schicksal erlitt wie ich. Die Frau, die gelernt hatte, mit dieser Last zu leben, dank ihr ich wieder Hoffnungen hatte.
Ich war furchtbar aufgeregt und fürchtete mich davor, dass ich von dem Treffen enttäuscht werden würde. Ich hatte Angst vor dem Unbekannten und befürchtete, dass die Frau meine vielen Fragen nicht beantworten konnte.
Es war Samstag und seit dem Kuss mit Kyle waren bereits einige Tage vergangen. Es waren Tage des Leidens gewesen, in denen ich nichts anderes tun konnte, als über mein Verhalten nachzugrübeln. Es gab Momente, in denen ich mich selber für mein Verhalten lobte. Schließlich hatte ich Damon ein für alle Mal vergrault und er könne von nun an ein normales Leben leben. Doch dann, in ruhigen und einsamen Momenten hasste ich mich für das, was ich getan hatte.
Letztere waren schwache und egoistische Situationen, in denen ich mich selber vergaß und mich nur auf mein schmerzendes Herz konzentrieren konnte. Leider kam es viel zu häufig vor, dass ich das Gefühl hatte, mich übergeben zu müssen oder die ganze Welt anschreien wollte, weil ich nicht mit dem Schmerz in meinem Inneren fertig wurde.
Verbrennungen wurden gekühlt, Schnitte wurden gesäubert und mit einem Pflaster geklebt. Doch was tat man gegen ein gebrochenes Herz? Ich hatte keine Antwort auf diese Frage gefunden und das ließ mich verzweifeln.Ich lief polternd die Treppe herunter und ging im Kopf meine Fragen an die Frau durch, als ich hörte, wie sich die Haustür öffnete und Stimmen erklangen. Ich hielt inne und versuchte zu lauschen.
„Ja, sie ist hier aber gleich geht sie mit Mama weg.", hörte ich die kindliche Stimme meiner Schwester. Wer wohl an der Tür war? Vielleicht Mary...oder Kyle? Gott, bitte nicht Kyle. Ich hätte jetzt keine Nerven für ihn.
„Wo gehen die beiden denn hin?", es war eine tiefe Stimme. Doch sie war viel weicher, als die von Kyle. Sie traf mich bis in das Innere meiner Seele und ließ mich für einen kurzen Augenblick das Bewusstsein verlieren.
„Sie treffen sich mit einer Frau, die dieselbe Krankheit hat, wie Ary."
Gott, warum hatte dieses Haus nur so viele Treppen?„Krankheit...?", hörte ich Damon flüstern und sprang in der Sekunde über die letzte Stufe. Da ich aber leider nur Strümpfe anhatte und vorher nicht bedacht hatte, dass der Boden so glatt war, rutschte ich aus, konnte mich aber in letzter Sekunde noch an dem Treppengeländer festhalten und somit den schmerzhaften Aufprall verhindern. Ich tat mir zwar nicht ernsthaft weh, hatte aber auch keinen besonders grazilen Auftritt hingelegt.
Meine Schwester fing an, hysterisch zu kichern und deutete mit ihrem Finger auf mich. Na warte du Göre, das werde ich dir später heimzahlen. Ich durchbohrte sie mit meinen finsteren Blicken, was ihr aber gar nicht auffiel.
„Kann ich dir behilflich sein?", Damon hatte sich vor mir aufgebaut und sein bestes Pokerface aufgesetzt. Ich wusste nicht, was gerade in ihm vorging.
Da ich mich immer noch um das Treppengeländer klammerte, musste ich wohl ziemlich ulkig aussehen. Meine Wangen röteten sich und ich nickte schüchtern. Damon nahm meine Hand und zog mich nach oben. Doch war mein oben, seine Brusthöhe.„Dankeschön.", flüsterte ich verlegen und strich mir eine Strähne hinter das Ohr.
„Emilia, kann du Mama bitte sagen, dass wir uns doch ein wenig verspäten werden? Damon und ich müssen über etwas Wichtiges reden.", das Lachen meiner Schwester verstummte. Stattdessen spürte ich ihre misstrauischen Blicke.
„Seid ihr etwa zusammen?", flüsterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
„Aria steht eher auf die arroganten Typen.", er sagte das, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich hörte, wie Emilia die Luft tief einsog und dann schnell weglief. Ich konnte es ihr nicht verübeln, Damons Stimme war scharf wie eine Rasierklinge gewesen.
„Wie kannst du so etwas nur zu meiner Schwester sagen? Sie ist in der vierten Klasse."
„Die Wahrheit ändert sich nicht, egal wie alt sie ist.", er klang nun etwas beherrschter, aber bei weitem noch nicht so, wie ich ihn kannte. Der Mensch, der gegen schmerzende Herzen Tabletten erfinden könnte, würde in kürzester Zeit Milliardär werden.
„Was machst du hier?", platze es aus mir heraus. Ich war ungeduldig und das durfte er gerne wissen.
„Ich wollte dich wegen Kyle befragen, doch meine Pläne haben sich schlagartig geändert."
„Wieso?", ich starrte ihn wie ein Fisch an.
„Was meinte deine Schwester mit dieser Krankheit, die du hast?", seine Stimme klang auf einmal wieder sanft, urplötzlich war er wieder Damon, so wie ich ihn kannte, „Aria, erzähl mir die Wahrheit. Was ist los mit dir?"
Und dann konnte ich auf einmal nicht mehr.
„Du hattest Recht. Du hattest mit allem Recht! Mit mir stimmt etwas nicht! Es gibt einen Grund dafür, dass ich so viele Sachen vergesse. So ein dämliches Syndrom und du hast es gewusst!", meine Stimme wurde hektischer, aggressiver. Ich trommelte mit meinen Fäusten auf seiner Brust herum. Alles, was ich sagte, klangen wie Vorwürfe, als gäbe ich Damon an all dem die Schuld.Und für eine kurze kindische Sekunde war das sicher auch der Fall.

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Gaps in my Head
Novela JuvenilInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...