Es vergingen einige Wochen und der Herbst hatte schon längst Überhand gewonnen. Die Bäume sahen kahl und trostlos aus. Menschen gingen mit pelzigen Mänteln auf die Straße, um sich vor dem eisigen Wind zu schützen. Der Temperatursturz war kalt und unbarmherzig gewesen und hatte mich gesundheitlich etwas mitgenommen.
An einem Freitag nach der Schule wartete ich in der Eiseskälte auf den Bus. Mary war diese Woche krank gewesen. Sie hatte Fieber und konnte sich vor Schmerzen kaum bewegen. Hinter mir nahm ich eine Bewegung wahr. Ich nahm an, dass sich Damon zu mir gesellt hatte, aber als ich mich umdrehte und ihn zur Begrüßung umarmen wollte, stellte ich überrascht fest, dass es sich um Kyle handelte.
„Oh, hey.", sagte ich überrascht, „wir haben uns ja seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen."
Er gluckste. Seine Stimme war rau, was mich darauf schließen ließ, dass er sich ebenfalls einen Schnupfen eingefangen hatte. Kaum zu glauben, es war erst Herbst und dennoch waren alle schon krank.
„Du wirkst, als hättest du jemand anderes erwartet und ich glaube zu wissen, wer es war.", sein Blick strahlte eine gewisse Überlegenheit aus, die ich nicht wirklich zuordnen konnte. Wir musterten uns gegenseitig, was für andere vielleicht ein wenig seltsam aussah, doch wir versuchten uns gegenseitig neu einschätzen zu können. Unsere Beziehung zueinander zu erklären, wäre extrem schwierig. Das Einzige, das uns verband, war ein einziges Treffen, das schon Ewigkeiten her war und ziemlich unspektakulär geendet hatte. Also, was machte er hier?
„Du und Damon. Ihr seid euch sehr nahegekommen, oder? Seid quasi unzertrennbar."
Ich zuckte lustlos mit meinen Schultern. Wenn er jetzt glaubte, dass ich ihm -einem Fremden- von meinem Liebesleben erzählte, hatte er sich ziemlich geschnitten. Das schien er wohl auch zu merken, denn er wechselte das Thema.
„Der Grund, weshalb ich dich anspreche ist, weil ich denke, dass ich mich für mein damaliges Verhalten entschuldigen sollte. Ich weiß, diese Entschuldigung ist längst überfällig, aber irgendwie lässt mir das Ende der Verabredung keine Ruhe. Ich habe mich absolut daneben verhalten und du hast die Fassung gewahrt. Ich habe es dir nie gesagt, aber im Nachhinein fand ich das echt beeindruckend."
Ich hatte keine Ahnung, was er mit dieser Entschuldigung bezwecken wollte. Ob er dachte, dass ich für ihn bei Damon ein gutes Wort einlegen würde oder es nur aus Höflichkeit tat. So oder so war es mir im Grunde egal, welche Absichten er hatte, da wir in keiner Weise im Kontakt standen. Also war es für mich auch in Ordnung seine Entschuldigung ohne weiter nachzudenken, anzunehmen. Absolut überrascht war ich, als er mich dankend umarmte. Das ging mir dann doch zu weit.
Zum Glück kam in dieser Minute auch der Bus und ich löste mich in einer windenden Bewegung von Kyle. Das gesamte Treffen kam mir im Nachhinein einfach nur seltsam vor. Was war denn auf einmal in ihn gefahren? Wieso entschuldigte er sich ausgerechnet jetzt?
Ich war so perplex, dass ich, als ich die Haustür aufmachte und mich aus meinen Sachen schälte, nicht aufhorchte, als ich zwei Menschen in der Küche reden hörte. Erst als ich sie betrat, blickte ich erschrocken in die zwei schönsten Augen, die ich jemals gesehen hatte.
„Damon!", rief ich entsetzt. Ich wusste nicht, wieso ich so erschrocken war ihn hier mit meiner Mutter zu sehen. Wahrscheinlich lag es einfach daran, dass ich nicht damit gerechnet und bis zuletzt an das Treffen mit Kyle gedacht hatte.
Jetzt saß er also hier, in einem olivfarbenen Pullover und einer schwarzen lockeren Hose und hielt ein dampfendes Getränk in der Hand.„Ist das etwa mein Kinderpunsch?", fragte ich schockiert. Ich hatte ihn vor einigen Tagen mit meinem Vater gekauft und hatte es gar nicht abwarten können, welchen zu trinken. Die Leute aus meiner Schule wollten allesamt von diesem Kindergetränk nichts mehr wissen, für sie stand Glühwein ganz oben im Kurs und auch mein Vater hatte mich ungläubig angeschaut, als ich den Kinderpunsch wie selbstverständlich in den Einkaufswagen gelegt hatte. Doch für mich war Kinderpunsch das leckerste Getränk, was man in der dunklen Jahreszeit nur trinken konnte. Umso geschockter war ich also, als Damon mein flüssiges Glück in der Hand hielt.
Ich klappte meinen Mund immer wieder auf und zu und konnte nichts mehr sagen. Das ganze ging so lange, bis meine Mutter mir eine alte Winnie-Puuh-Tasse in die Hand drückte und mich auf den Stuhl neben Damon schob.
„So, das reicht jetzt mit dem Theater. Wir haben einen Gast. Sei höflich."
Ich ließ meinen Kopf schmollend hängen.
„Habe ich irgendwas verpasst?"
Ich sah vorsichtig auf und blickte in das fragende Gesicht meines Sitznachbarn.
„Ach, sie ist nur ganz vernarrt in dieses Zeug. Sie geht mit jeder Flasche Kinderpunsch um, als sei sie die Letzte auf dem Planeten. Ich kann es ja gar nicht leiden, viel zu süß."
Meine Mutter verdrehte angewidert ihre Augen.
„So, Damon. Und jetzt erzähl mal etwas von dir."
Ich stöhnte genervt auf.

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Gaps in my Head
Fiksi RemajaInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...