„Aria."
Nein.
„Ary, komm schon.
Vergiss es.
„Bitte!"
Auf gar keinen Fall.Es war leicht seine Stimme zu ignorieren. Es waren nur Worte aus einem Mund, der auch schon ganz anderes gesagt hatte. Wie ein hauchdünner Bindfaden durchschlängelten sie mein Gehör und segelten dann wieder nach außen, wo sie in der Luft verloren gingen. Doch als er mich am Handgelenk griff, um mich zum Stehenblieben anzutreiben, konnte ich nicht länger so tun, als wäre er Luft. Als sei er eines dieser kleinen Teilchen, die ich einatmete, ohne sie zu sehen.
Obwohl ich ihn gerade hasste, fühlte sich seine sanfte Berührung gut an. Eine Wallung aus positiven Gefühlen durchfuhr mich und ich konnte meinen Körper nur verfluchen. Mal wieder war ich Damon ohne den Hauch eines Schutzschildes frei ausgesetzt. Ich konnte mich nicht gegen meine Empfindungen währen und hatte diese Aushilfslosigkeit heute ausnahmsweise mal satt. Heute musste ich einfach einmal Größe zeigen. Zumindest wenige Minuten.
„Aria. Es tut mir wahnsinnig leid, was da gestern passiert ist.", ich stand da, schaute ihn an, aber antwortete nicht. Das lag nicht daran, dass ich ihn anschweigen wollte, sondern viel eher, weil ich mich nicht auf dieses Gespräch vorbereitet hatte. Dabei war es doch klar gewesen, dass Damon mich früher oder später in der Schule abfing und sich zu erklären versuchte. Seine unzähligen Versuche mich anzurufen und die tausenden Nachrichten hatten gezeigt, wie eilig er es hatte. Jedoch dachte ich, dass ich ihn etwas länger hinhalten könnte, indem ich ihm aus dem Weg ging. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er mich nach nicht einmal einer Pause finden konnte und nun nicht mehr abzuschütteln war. Ich war wirklich miserabel im Verstecken-Spielen.
„Hörst du? Ich weiß auch nicht, wie das alles passieren konnte."
„Du hast Kyle geschlagen.", endlich fand ich meine Stimme wieder. Sie war zaghaft, dünn, was der Tatsache verschuldet war, dass sich meine Kehle ganz vertrocknet anfühlte. Ich musste dringend etwas trinken.
„Ja.", war seine schlichte Antwort. Während ich nach dem Wasser, was sich in meiner Tasche befand, griff, starrte er mich wortlos an. Auch als ich mit dem Deckel der Flasche kämpfte, wandte er seinen Blick nicht von mir ab. Verdammt, wer hielt den Deckel denn so fest?
„Lass mi-..."
„Nein!", zischte ich zurück und verdreifachte den Druck auf die Öffnung. Normalerweise ging es doch auch nicht so schwer. Das musste wohl an meinen zitternden und schwitzigen Händen liegen. Verräterischer Körper!
„Gib mir die Flasche.", sagte er deutlicher und streckte mir seine Hand entgegen, um sie an sich zu nehmen. Sonst hätte ich mich stur geweigert, aber ich hatte keine Lust mich noch unmöglicher vor ihm zu machen, außerdem war meine Hand bereits voller roter Striemen, die der leuchtende Rückstand der Kräfteeinwirkung auf die Flasche war. Wiederwillig übergab ich sie Damon. Mit einem kurzen Drücken hörte ich das Zischen der Kohlensäure und verdrehte instinktiv meine Augen. War ja wieder klar.
„Danke.", flüsterte ich kurz und nahm einen großen Schluck des erfrischenden Getränkes. Angenehm sprudelte es in meinem Mund und ließ mich für einen kurzen Moment vergessen, in welcher Lage ich mich soeben befand. Und mit wem. Nachdenklich schraubte ich den Deckel wieder zu.
„Du hast ihn nicht nur einmal geschlagen.", leitete ich zu unserem ursprünglichen Gespräch über.
„Nein."Bilder tauchten in meinem Kopf auf. Kyle, wie er blutüberströmt auf dem Boden lag. Damon, wie er unnachgiebig und unaufhaltsam schier unendlich oft auf ihn einschlug. Rasend vor Wut. Dieser Hass, welcher sein Gesicht verzog. Mir wurde übel.
„Warum?", presste ich keuchend aus meinen zu Strichen verzogenen Lippen hervor. Wieder schaffte ich es nicht ihm in die Augen zu sehen. Ich würde seine Ausstrahlung, mit der vom vergangenen Sonntag vergleichen und würde zu dem Entschluss kommen, dass es unmöglich war, sich so zu vergessen, wenn man nicht doch eine dunkle Seite in sich hatte. Aber auch das war nicht möglich. Damon war nicht einer von der brutalen Sorte. Er war liebevoll und zärtlich. Er schlug nicht wahllos Menschen zusammen, die etwas sagten, dass ihm nicht in den Kram passte.
„Kurz bevor es weiterging, hat er mir zugeflüstert, dass du niemals zu mir gehören würdest. Er wollte mir klar machen, dass du dich für ihn entschieden hast. Nachdem er das sagte, konnte ich mich einfach nicht mehr zusammenreißen. Ich sah nur sein hämisches Grinsen und dann befand ich mich plötzlich über ihm und schlug ihn zusammen. Ich hatte einfach keine Kontrolle mehr über meinen Körper.", er sah zerstört aus.
Als würde ihm jetzt erst bewusst werden, was er getan hatte Wozu er fähig war. Und endlich sah ich sie. Reue strahlte mir entgegen. Ich hatte sie am Sonntag gesucht, hatte jede seiner Bewegungen studiert, um dieses Gefühl zu finden. Jetzt war es da und sorgte dafür, dass ich mich entspannte. Er wusste, dass er einen Fehler getan hatte. Es war ihm nicht egal, dass er Kyle wehgetan hatte. Es machte diese furchtbare Sache zwar nicht rückgängig, aber es zeigte mir, dass ich Damon nicht aufgeben musste.
„Damon... du hast etwas Schreckliches getan."
„Ich weiß. Es tut mir so leid. So etwas geschieht nie wieder. Ich fühle mich katastrophal wegen meines Ausbruchs.", seine Wangen röteten sich vor Scham. Irgendwie war das ja ganz süß. Ich spürte, dass ich es nicht weiter schaffte, böse auf ihn zu sein. Er wusste genau, was er tun musste, damit ich ihm verzieh.„Na gut. Ich sehe, dass du diese ganze Sache bereust. Lass uns das einfach vergessen und nicht mehr darüber reden. Aber ich hoffe, dass du dich bei Kyle entschuldigst. Das ist das Mindeste, nachdem du ihn so ramponiert hast.", ich spürte, wie seine Anspannung durch meine Worte stieg. Ich konnte sehen, wie sein Kiefer anfing unaufhaltsam zu mahlen und sich sein blaues Shirt enger an seine Haut schmiegte. Ich hob skeptisch meine Augenbrauen, um ihn zu simplifizierend klar zu machen, dass mir seine kindische Reaktion über meinen Wunsch nicht gefiel.
„Ist ja schon gut. Ich entschuldige mich.", murrte er in sich herein. Damit gab ich mich zumindest halbwegs zufrieden.
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Gaps in my Head
Roman pour AdolescentsInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...