Lange saßen wir auf dieser Bank und redeten. Irgendwann begann es zu dämmern. Das war das Blöde am Herbst. Es wurde so schnell dunkel. Ich war enttäuscht, dass unsere Verabredung schon bald zu Ende sein und wir uns verabschieden würden. Wir spazierten durch immer dunkel werdender Straßen. Alleine hätte ich mich das bestimmt nicht getraut, doch durch Damon fühlte ich mich sicherer als mit einem Baseballschläger bewaffnet.
„Hier wohne ich.", sagte ich, als wir direkt vor dem gusseisernen Tor standen, der unseren Vorgarten von dem Fußweg abgrenzte. Im Frühling wuchsen hier Rosen mit Blüten so groß wie Unterteller. Jetzt waren nur verstümmelte, braune Blätter auf dem Boden zu sehen.
„Gut zu wissen.", er zwinkerte mir zu und fast automatisch verdrehte ich die Augen. Ich suchte verzweifelt nach einem Gesprächsthema. Ich wollte nicht, dass er schon ging.
„Nächstes mal zeigst du mir dein Haus.", war das Erste und Einzige, was mir einfiel.
Er ging einen Schritt auf mich zu.
„Darauf kannst du wetten."
Dann schwiegen wir. Wir wollten beide diesen perfekten Augenblick nicht enden lassen. Am Liebsten wäre es mir gewesen, einen Knopf gehabt zu haben, der diesen Augenblick eine Ewigkeit anhalten liese.
„Ich...sollte dann mal reingehen.", mit meinem Kopf nickte ich in Richtung Haus. Ich hoffte innerlich, dass er mich aufhielt, irgendwas sagte, was mich länger verweilen ließ. Doch er stimmte mir mit einem stillen Nicken zu. Dennoch rückte er keinen Stück zur Seite.
Ich wusste nicht, was mich dazu bewegte, meine Hand zu heben und vorsichtig eine waagerechte Linie auf seine Stirn zu zeichnen. Ich selber erschrak, zog meine Hand aber nicht schnell genug weg. Er griff nach ihr und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
„Was war das?", fragte er mich sanft. Keine Spur von Häme, Spott oder gar Entsetzen. Was ich da in seinen Augen sah, war pure Neugierde.
„Meine Art mich von dir zu verabschieden.", die Worte kamen gepresst, abgehakt. Aber nicht weil es mir peinlich war, sondern weil seine Augen mich wieder so intensiv musterten.
Er legte seine Hände vorsichtig an meine glühenden Wangen. Es war angenehm, da sie sich durch die Umgebungstemperatur abgekühlt hatten.
Bevor ich überhaupt reagieren konnte, zog er mich an sich heran und gab mir einen kurzen Kuss auf die Stirn. Er war nichts weiter als ein Windstoß, aber er löste so viele Gefühle in mir aus. Im Normalfall hätte ich einen Jungen, der dies versucht hätte, wahrscheinlich weggeschubst aber Damon wollte ich einfach nur in die Arme fallen.
Ich hatte große Mühe diesen Drang zu unterdrücken und schaute ihn stattdessen mit großen Augen an.„Das war meine Art dir zu sagen, dass ich mich auf unser baldiges Wiedersehen freue.", wisperte er mir ins Ohr.
Es war wie ein Versprechen und ein Geheimnis zugleich. Das Versprechen, dass ich ihn Wiedersehen würde und das Geheimnis, das sonst niemand außer uns jemals erfahren würde. Das Geheimnis, welches nicht einmal ich erklären konnte. Wahrscheinlich hätte ich es mit Worten wie „magisch" und „kostbar" beschrieben, würde ich nicht selber über diese lachen.Die Stelle, an der er mich geküsst hatte, kitzelte immer noch und hinterließ ein wohliges Gefühl in meinem Körper. Ich wollte, dass es nie wieder aufhörte.
„Das gefällt mir.", murmelte ich leise.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich Damon so viel mehr gestattet hätte. Hätte er mich küssen wollen, wäre es passiert, hätte er mit ins Haus kommen wollen, ich hätte ihm die Tür offen gehalten. Dieser Gedanke war erschreckend aber dennoch real.
Mein Gehirn hatte sich vollständig verabschiedet.Doch Damon tat nichts. Er hatte freie Bahn und trotzdem schaute er mich einen Moment an, flüsterte eine Verabschiedung und lief die Straße entlang. Ich konnte mich erst wieder rühren, als er schon längst um die nächste Ecke gebogen war und sich auf meinen Oberarmen Gänsehaut bildete.
Wie konnte ich mich nur so in ihm geirrt haben? Wie war es möglich, dass die ich ihn so gegenteilig eingeschätzt hatte?
Spielte er mir das alles nur vor? Es würde zumindest erklären, wieso er von heute auf morgen Interesse an mir hatte. Scheinbar aus dem Nichts stand er auf einmal vor mir und heuchelte den perfekten Jungen.Das musste es sein! Ich war nichts weiter als eine Mensch-ärger-dich-nicht-Figur in seinem blöden Spiel. Die Figur, die als letztes in das Spiel integriert und am häufigsten wieder herausgeworfen wurde.
Das war nunmal mein Schicksal.
Wahrscheinlich telefonierte er gerade mit seinen Freunden und erzählte ihnen wie verliebt ich schon in ihn war, während ich hier in der Kälte stand und nur an ihn und unsere Verabredung denken konnte.Je mehr Abstand zwischen uns beiden kam, umso nüchterner betrachtete ich die Situation.
Als ich später in meinem Bett lag, war mir glasklar, dass er die Freundlichkeit nur vorgegaukelt hatte. Ich hatte ihn durchschaut, doch wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
Als ich einschlief, lief mir wie verirrt, eine einzelne Träne über die Wange. Ich wusste nicht, ob sie aus Wut oder aus Enttäuschung entstanden war.
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Gaps in my Head
Teen FictionInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...