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„Korsa-was?", ich spürte, wie meine Lippen diese Worte formten, ich hörte den dumpfen Klang meiner Stimme, doch fühlte ich nichts als Leere.

„Das Korsakow-Syndrom. So nennt sich die Krankheit, die du hast. Eine, die häufig bei Alkoholikern auftritt."

Deshalb also diese Frage, bei unserem letzten Termin.

„Andere Auslöser sind vorherige Gehirnschäden, Vitamin- B1-Mangel oder Gehirnentzündungen."

„Und welches trifft auf mich zu?", meine Stimme wirkte gedämpft, aber dennoch gefasst, was mich sehr überraschte. Denn ich war alles andere als entspannt.
Meine Mutter nahm ich nicht mehr wahr, ich fokussierte mich auf den weißen Kittel meines Arztes und versuchte, die Worte, welche er mir zuwarf, in eine geordnete Reihenfolge zu bringen. Doch wie ich sie auch drehte und wendete, das Gesagte machte einfach keinen Sinn.

„Das ist das Problem. Wir wissen es nicht."

„Was soll das bitte heißen?!", warf meine Mutter urplötzlich ein. Ich zuckte zusammen und musste mir erst wieder bewusst machen, dass sie ja auch noch da war.
Ihre Stimme war, im Gegensatz zu meiner, alles andere als ruhig. Viel eher betonte sie jedes Wort anders und zeigte damit ihre gemischten und schwer greifbaren Gefühle. Es lag eine Verzweiflung in ihrer Stimme, die mich tief ausatmen ließ.

„Das heißt, dass nichts in den Ergebnissen auf einen Vitaminmangel, eine Gehirnschädigung oder übermäßigen Alkoholkonsum hinweisen."

„Natürlich trinkt meine Tochter nicht! Oder sieht sie so aus, als würde sie jeden Tag Unmengen an Vodka, Tequila oder Whisky in sich hineinschütten?", sie drehte ihre Hand in meine Richtung und deutete ausdrucksstark auf mich.
Ich wiederum wurde in meinem Stuhl immer kleiner und vergrub mein Gesicht in den Händen. Einzig und allein, damit Doktor Adams die aufsteigende Röte in meinem Gesicht nicht bemerkte.

Natürlich verstand ich die störrische Reaktion meiner Mutter. Doch meinen Arzt wütend anzuschreien, würde mir und meiner Gesundheit nicht helfen.

„Mama...bitte... Doktor Adams macht doch nur seinen Job.", flüsterte ich gegen meine Hände und spürte, wie diese die Hitze meiner Wangen absorbierten.
Draußen war es kalt gewesen, weshalb meine Hände immer noch Eisklumpen ähnelten. Glück für mich! Die Kälte tat meinem Gesicht gut. Doch war die -nun nicht mehr vorhandene- Röte in meinem Gesicht nun wirklich mein geringstes Problem.

„Wie gehen wir nun vor?", auf einmal klang ich wie eine erwachsene Frau. Voller Bestimmtheit in der Stimme, als wäre die Nachricht meines Arztes nicht ein Grund einfach alles hinzuwerfen und mein Leben von nun an in meinem kuschlig-weichen Bett zu verbringen. Als wäre ich eine reife und in sich ruhende Person und nicht das verängstigte kleine Mädchen, welches sich immer weiter in den, mit grauem Stoff überzogenen Stuhl presste und hoffte, vom Erdboden verschluckt zu werden.

„Da wir nicht wissen, weshalb du das Korsakow-Syndrom hast, ist es schwer jetzt eine geeignete Behandlung zu finden.", Doktor Adams hatte den hysterischen Anfall meiner Mutter einfach überhört. Wahrscheinlich war er es gewohnt von Menschen wegen einer Sache angeschrien zu werden, für die er nichts konnte, die er doch eher wieder reparieren wollte. Doch auch sein Können wurde irgendwo zu Ende gehen und hier und heute, mit meiner Diagnose wurde wohl dem Ganzen mit einem fetten Edding eine Grenze des medizinischen Könnens gesetzt. Wie sollte man auch das Gehirn überreden können, nicht wahllos Erinnerung zu streichen? Wie könnte ich lernen nicht zu vergessen?

„Wie oft ist es schon vorgekommen, dass dich jemand auf eine vergangene Situation angesprochen hat und du dich nicht an diese erinnern konntest?"

Ich erinnerte mich an das seltsame Gespräch, welches ich vor einiger Zeit mit Damon geführt und welches er als Beispiel für mein seltsames Verhalten aufgeführt hatte.
Als ich das Gefühl hatte, alle anderen um mich herum würden etwas wissen, was mir vorenthalten blieben würde.

Und dann der Grund für unseren großen Streit, als er mich ganz offen mit dem Problem konfrontierte und dank ihm ich jetzt wusste, dass das alles eine Ursache hatte.

In diesem Moment wusste ich nicht, ob ich ihm dankbar dafür war, dass er Licht ins Dunkle gebracht hat, oder ob ich einfach nur wütend auf ihn sein sollte, denn nun wusste ich, dass ich nicht normal war. Ich hatte die Bestätigung, dass etwas mit meinem Gehirn nicht stimmte und konnte mir nicht mehr selber einreden, dass ich einfach nur sehr vergesslich war.

Auch als ich endlich in meinem Bett lag, war die Nachricht meiner Erkrankung noch nicht bis in das Innerste meines Gedächtnisses hindurchgedrungen. Wie sollte ich auch so schnell begreifen könne, dass nun nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Sollte ich nun jeden Abend mit der Angst einschlafen, dass ich am nächsten Morgen aufwachte und vielleicht ein wichtiges Ereignis am Tag vorher einfach vergessen hatte? Und Doktor Adams konnte nichts dagegen tun, außer mir diese Nachricht zu überbringen und zu sagen, er spreche noch einmal mit Kollegen und würde sich mit ihnen beraten, was in Fällen wie dem meinigen, der nächste Schritt wäre.

Ich starrte ins Nichts und dachte an Damon. Was sollte ich nun tun, wo ich die Gewissheit hatte? Sollte ich ihm davon berichten? Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich ihn ignorierte und jeder von uns seinen Weg ging. Wahrscheinlich würde er mich eh innerhalb kurzer Zeit vergessen. Wenn ich ihn jetzt in das Drama mit einbeziehe, wäre es eine weitere Person, die wegen meiner Probleme erheblichen Schaden nehmen würde. Früher oder später würde er es nicht mehr aushalten, dass ich ständig Dinge vergaß.

Früher oder später würde er mich dafür hassen, dass ich ihn in die ganze Sache mit hineingezogen hatte. Nein, das wollte, das konnte ich ihm einfach nicht antun. Dafür waren meine Gefühle für ihn viel zu stark.
Ich spürte ein Kribbeln auf meiner Wange und strich mit meiner Hand über sie. Sofort spürte ich die Feuchtigkeit auf meinen Händen und begriff, dass ich angefangen hatte, zu weinen. Schnell wiederholte ich diesen Vorgang und ermahnte mich, jetzt nicht den Kopf zu verlieren. Ich müsste stark sein. Für meine Familie, für meine Freunde und letzten Endes auch für mich. Und mit diesem Vorsatz glitt ich in einen unruhigen Schlaf mit furchtbaren Träumen, die ich am nächsten Tag aber schon wieder vergessen haben sollte. Nur ein dumpfes Gefühl sollte mich beim Aufwachen an die schlimmen Schatten der Nacht erinnern.

Gaps in my HeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt