Die Untersuchungen, welche Doktor Adams angekündigt hatte, wurden sofort durchgeführt. An mir wurde rumgeschraubt und Nadeln in mich hineingestochen.
Auch, wenn ich kein großer Fan von spitzen Gegenständen in meinem Arm war, ließ ich es doch zu, schließlich sollten die Schwestern und Ärzte dafür sorgen, dass es mir wieder besser ging. Und immer wieder wiederholte ich den Satz in meinem Gehirn: es ist alles gut, dir fehlt nichts.
Doch konnte ich mich nicht ganz davon überzeugen. Es war doch nicht normal, so vergesslich zu sein.Nach einer gefühlten Ewigkeit lächelte mich eine der Schwestern, die mir Blut abgenommen hat an und sagte, dass meine Mutter und ich nun gehen dürften. Die Ergebnisse würden ins Labor geschickt und erst in einer Woche erhalten werden. Sie würden mich, sobald sie die Ergebnisse hätten, sofort kontaktieren. Ich nickte und bedankte mich für ihre Hilfe.
Auf dem Rückweg vom Arzt waren wir beide sehr schweigsam. Meine Mutter blickte starr auf die Straße und ich betrachtete die vorbeiziehenden Häuser, während im Radio ein alter Country-Song lief, dessen Text ich weder kannte, noch verstand.
Irgendwann waren wir zu Hause. Meine Mutter machte den Motor aus und ein anderes, modernes Lied verklang. Ich war im Begriff die Autotür zu öffnen, doch meine Mutter hielt mich mit einem kurzen, verneinenden Geräusch zurück.
„Warte bitte noch eine Sekunde", bat sie mich mit betretener Stimme. Ich drehte meine Oberkörper in ihre Richtung und wartete ab, was sie zu sagen hatte,
„Schatz, ich will, dass du weißt, dass -egal, wie das Ergebnis aussieht- ich dich liebe. Die nächsten Tage werden hart und furchtbar lang, doch ich werde jede Sekunde beten, dass die Ergebnisse gut ausfallen werden.", ihre Stimme war nun unruhig. Unkontrolliert und nicht in diesem weichen, flüssigen Ton wie ich ihn sonst bei ihr kannte.
Es war, als wäre für sie mein Schicksal schon besiegelt, als würde sie -woher auch immer- ganz genau wissen, dass nichts Gutes aus den Untersuchungen herauskommen würde. Für mich schien es so, als würde sie etwas wissen, was ich nicht durchschauen könnte. Als wäre das alles eine Theatervorstellung. Meine Mutter die Regisseuren, welche zwar nicht für den Inhalt des Stückes verantwortlich war, aber sehr wohl wusste, wie es ausging. Ich, das Publikum, welches vollkommen ahnungslos in der Vorführung saß und nichts steuern oder lenken konnte. Das Einzige, was ich tun konnte, war den Lauf der Handlung zu akzeptieren, egal, ob er mir nun gefiel oder nicht.
Während ich meine aufgewühlte Mutter betrachtete, staute sich etwas in mir zusammen. Ein Gefühl der Angst, welches in letzter Zeit zu meinem ständigen Begleiter geworden war.
„Mami...", ich hielt mir eine Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen.
„Noch ist nichts entschieden. Du könntest auch kerngesund sein."
Nichts in ihrer Stimme machte diese Aussage glaubwürdig. Keine von uns beiden war auch nur annähernd überzeugt von dem Gesagten. Doch für sie, für meine wunderbare Mutter musste ich so tun, als würde ich daran glauben, dass alles gut werden würde. Es bringt ohnehin nichts, jetzt zu verzweifeln.
„Wir sollten abwarten, was der Arzt sagt.", meinte ich mit neuem Mut. Ich griff nach dem Türgriff und entfernte mich von der bedrückenden Stimmung. Sobald ich außerhalb des Autos war, atmete ich tief die kalte Luft ein. Der Himmel war wolkenlos und Sterne blickten auf uns hinab. Sie machten die Nacht ein bisschen weniger düster und trostlos.
„Was wirst du Damon sagen?", diese Frage überraschte mich. Daran hatte ich noch keinen Gedanken verschwendet.
„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich erstmal nichts. Ich will ihn nicht umsonst beunruhigen.", ob das der einzige Grund war?
„Du weiß doch selber, dass er schon etwas ahnt. Dank ihm hast du doch überhaupt erst den Mut gehabt, etwas zu erzählen. Schande über mich, dass ich es nicht selber mitbekommen habe."
„Damon hat mir heute eine ganz andere Seite von sich gezeigt. Er war so anders..."
„In welcher Hinsicht?"
„Aggressiver, fordernder."
„Nagel ihn auf diesen Eindruck nicht fest. Dieses Verhalten hat dir schließlich genützt."
„Das werden wir noch sehen."
Wir erreichten die Haustür.
„Und was erzählen wir Papa?"
„Nicht mehr als nötig, würde ich sagen. Es reicht schon, wenn ein Elternteil sich furchtbare Sorgen macht.", sie versuchte es mit einem Grinsen, doch konnte ich die Sorgen in ihren Augen genau sehen.
Meine Mutter brachte mir heute das Abendbrot ans Bett und sprach noch eine Weile mit mir. Irgendwann kam mein Vater dazu und war völlig aufgelöst, wenn gleich meine Mutter die ganze Geschichte um ein Vielfaches verharmloste.
Wieder etwas später erschien meine Schwester. Ab diesem Augenblick erwähnten wir meinen heutigen Arztbesuch kein einziges Mal mehr. Stattdessen sprachen wir über die Schule, die Arbeit, welchen Film wir mal anschauen und in welche Länder wir mal reißen müssten.So saßen wir lange zu viert in meinem kleinen Bett und diskutierten und lachten und beinahe waren alle Sorgen vergessen.
Aber eben nur beinahe.

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Gaps in my Head
Ficção AdolescenteInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...