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Eine ganze Zeit stand ich noch wie paralysiert da. Bekam nur teilweise etwas von dem Klingeln, welches den Beginn der Stunde andeutete und den hetzenden Schritten der Schüler, die zu spät zum Unterricht kamen, mit. Ich stand mitten im Flur und schaffte es einfach nicht, mich von meinen Gedanken loszureißen. Sie hasste mich. Das Mädchen, welches so gut wie mein eigen Fleisch und Blut war, wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Meine Ignoranz hatte dazu geführt, dass sie sich immer mehr von mir entfernte und nun wollte sie nicht mehr zurück zu mir finden.

Ich hatte zwar gemerkt, dass sie sich veränderte, doch ich war nie auf die Idee gekommen, sie zu fragen, weshalb sie so anders war. Ich war nicht die einzige Person auf dem Planeten, an der Kummer und Sorgen nagten, wie eine Ratte an einem stinkenden, löchrigen Käse. Ihre Eltern hatten sich Scheiden lassen und ich war nicht für sie da gewesen. Sie musste durch eine entsetzliche Phase gehen und ich hatte sie nicht getröstet. Weil ich mich nur um mich selber gekümmert hatte.

In diesem Moment war ich mir sicher, die schlimmste Person auf der ganzen Welt zu sein. Oder zumindest die schlimmste Ehemals-Freundin.

Verdammt, ich tat es schon wieder! Statt zu Handeln stand ich in der Schule und philosophierte über meine Fehler und Probleme. Ich sollte endlich mal etwas tun, anstatt immer über alles nachzudenken! Dieser Gedankenblitz brachte mich wieder in die Realität und ich fand zumindest die Motivation immer noch angeschlagen ins Klassenzimmer zu trotten.

Einige Stunden später lag ich auf meinem Bett und wählte Laras Nummer. Ich wollte sie auf mein abwesendes Verhalten, während der letzten Monate ansprechen und schauen, ob sie vielleicht genau so wütend war wie Mary.

„Hey Ary. Was gibt's?", meldete sie sich in einem beschwingten Tonfall zu Wort.

„Nichts- ich- ich wollte nur mal fragen, wie es dir so geht, und ob es irgendetwas Neues bei dir gibt?", ich veränderte meine Position und setzte mich auf den Rand meines Bettes.

„Ich bin in einigen Wochen fertig mit der Schule. Das ist doch schonmal etwas Gutes.", kicherte sie mit stolzem Unterton. Stimmt ja! Ebenso wie Damon hatte sie ihr letztes Schuljahr so gut wie überstanden. Bald hatte sie ihr Abschlusszeugnis in der Hand.

„Ich freue mich so für dich."; sagte ich beschwingt in den Lautsprecher und konnte es immer noch nicht fassen, wie schnell die Zeit verging.

„Und was gibt es bei dir und Damon so Neues?"

„Nichts. Alles läuft gut in letzter Zeit. Ich bin wirklich glücklich mit ihm.", die letzten Worte waren kaum mehr ein Flüstern. Natürlich liebte ich ihn und selbstverständlich machte er mich auch glücklich. Aber was bedeutete das schon, wenn ich deshalb meine beste Freundin verloren hatte?

„Aber?", sie hatte meinen zögernden Tonfall bemerkt. Warum war Lara nur so aufmerksam?

„Ich hatte Streit mit Mary.", sagte ich ausdruckslos und starrte auf meine Füße. Ein bedrückendes Schweigen entstand.

„Freundinnen haben manchmal eben Streit. Ihr vertragt euch schon wieder.", ihre Stimme wirkte zweifelnd.

„Diesmal ist es anders."

„Inwiefern?"

„Sie hasst mich, Lara!", diese Worte schrie ich fast, „sie sagt, ich hätte mich verändert und kümmere mich nur um mich selber. Ich habe sie nie nach ihrem Wohlbefinden gefragt und das Schlimmste ist, dass sie damit sogar recht hat. Lara, ihre Eltern haben sich scheiden lassen und ich habe es nicht einmal bemerkt!", Tränen sammelten sich in meinen Augen und kullerten über meine Wangen. Ich war völlig aufgebracht und mal wieder wurde mir bewusst, dass die Lage schier aussichtslos erschien.

„Ja Ary, du hast dich verändert.", meinte sie schließlich, nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, „aber das ist okay. Menschen verändern sich andauernd."

„Aber das gibt ihnen nicht das Recht ihren Freundinnen gegenüber ignorant aufzutreten.", protestierte ich.

„Ich gebe zu. Du warst in letzter Zeit tatsächlich etwas distanziert, auch mir gegenüber. Aber das ist in Ordnung. Du hast eine verdammt schwere Zeit hinter dir. Es ist nicht allzu lange her, dass du nicht einmal wusstest, dass du erkrankt bist. Und dann deine frische Beziehung mit Damon. Ich kann verstehen, weshalb du Zeit für dich brauchtest."

„Ja, aber Mary weiß ja gar nichts von meiner Erkrankung."

„Du hast es ihr nicht erzählt?", ich hörte die Empörung aus ihrer Stimme und lief beschämt rot an.

„Es hat sich einfach nicht erübrigt. Da war es schon zu spät und sie war so komisch zu mir."

Sie seufzte.

„Du meinst also, ich sollte es ihr erzählen? Obwohl sie mich so sehr hasst?"

„Sie hasst dich nicht. Sie ist einfach nur verdammt wütend. Überleg doch mal, wie das alles auf sie wirkt. Sie denkt, dass du sie für Damon so abserviert hast. Dabei ist das nur die halbe Wahrheit. Sie hat das Recht zu erfahren, weshalb du so abweisend warst. Danach kann sie immer noch entscheiden, ob sie nicht mehr deine Freundin sein will.", was sie sagte, machte absolut Sinn. Neue Hoffnung keimte in mir auf und ich war voller Tatendrang.

„Sie hat ja auch bald Geburtstag. Ich kann ihr zu Ehren eine Feier ausrichten. Als Entschuldigung, sozusagen."

„Das hört sich gut an!"

„Danke, Lara.", ich war wieder einmal gerührt wie verständnisvoll und geduldig sie war, „ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte.", flüstere ich.

„Das mache ich doch gerne."

„Falls du mal irgendetwas brauchst, melde dich einfach! Und zu Marys Party sehen wir uns dann hoffentlich."

„Ich bin eingeladen?"; klang sie wirklich überrascht?

„Selbstverständlich!", rief ich und konnte das erste Mal, seit dem Streit mit Mary wieder lachen.

Gaps in my HeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt