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„Wir haben heute einen unangekündigten Test in Englisch geschrieben."

Dies war die kleine aber feine Lüge, die ich meinen Eltern beim Abendessen auftischte.
Mein Vater blickte von seinem Teller auf, während meine Mutter in ihrer Handbewegung zum Brotkorb innehielt.
Da war sie wieder! Diese kleine Falte.

„Wie war er?", fragte sie. Ihr skeptischer Unterton war nicht zu überhören.

„Ganz ok.", log ich weiter.

„In Englisch hattest du doch Probleme, oder?"

„Ja, Papa. Ich kann es doch auch nicht ändern."

„Geh deinen Vater nicht so an. Immerhin sagen wir dir immer wieder, dass du abends nochmal in den Hefter schauen sollst."

Ich verdrehte genervt die Augen. Gut, das sagten sie mir wirklich immer. Aber ich hatte doch auch mal das Recht mich in mein Bett zu verkriechen und Serien zu schauen. Ich war vielleicht nicht sonderlich fleißig, aber wenn es darauf ankam, konnte ich wettbewerbsfähige Plakate und Präsentationen innerhalb zwei Tagen kreieren.
Ich biss in mein Brot. Meine Mutter wusste genau, wie sehr ich es hasste, wenn sie Argumente ins Spiel brachte, auf die ich keine Antwort wusste.

„Man sollte keine Totschlagargumente in Diskussionen bringen.", murmelte ich mit vollem Mund.

„Schling nicht so. Keiner nimmt dir was weg."

„Ist ja schon gut."
Ich bemühte mich langsamer zu kauen. Auf meinen Kommentar ging sie gar nicht erst ein. Ich brachte jedes Mal das Wort „Totschlagargument" hervor, wenn meine Mutter unfair argumentierte. Unsere Ethiklehrerin hatte irgendwann mal davon geredet und es ist bei mir hängen geblieben. Wir Schüler sollen ja immer unser angeeignetes Wissen anwenden.

Nachdem wir fertig mit Essen waren und der Tisch wieder sauber war, ging ich in mein Zimmer und erledigte die restlichen Hausaufgaben. Einige Zeit später klopfte es an meiner Tür. Ich sah von meinen Chemieaufgaben auf und lächelte meinen Vater an.

„Was machst du Schönes?", fragte er mich, während er die Tür hinter sich schloss.

„Nur Hausaufgaben."

Er setze sich auf mein Bett. Plötzlich wurde sein Gesicht ganz ernst.

„Du hast den Englischtest vergessen, oder?"

Ich war überrascht.
„Wie kommst du denn darauf?"

„Das schlechte Gewissen war dir ins Gesicht geschrieben. Es beruhigt mich, dass es dir wenigstens schwer fällt, deine armen Eltern zu belügen."

Ich stand von meinem Schreibtischstuhl auf und nahm neben meinem Vater Platz. Ich platzierte meinen Kopf an seine Schulter.

„Tut mir leid, Dad.", meine Lippen waren ganz trocken.

„Ist schon in Ordnung. Du machst das ja nicht mit Absicht. Ich weiß, dass du nicht aus Faulheit nicht für einen Test lernen würdest."

Ich liebte meinen Vater. Kein Mensch war verständnisvoller und gutherziger als er. Er wusste, was in mir vorging. Er kannte mich besser als ich mich selber und hat mir schon oft bei schwierigen Situationen weitergeholfen. Doch bei meiner Vergesslichkeit konnte er mir nicht helfen und das wussten wir beide.

„Liebling. Ich bin so hilflos. Was kann ich machen, damit es dir besser geht? Brauchen wir noch mehr Klebezettel?"

„Ich glaube nicht, dass das eine Lösung ist. Bald sehen wir keine Wände mehr. Die Küche sieht aus, als hätten Vorschulkinder sie bemalt."

Wir beide kicherten. Tatsächlich waren Wände, Kühlschrank und sogar der Toaster mit Klebezetteln zugekleistert. Außenstehende würden denken, wir wären verrückt.
Mein Vater hatte die Idee mit den Klebezetteln gehabt. Irgendwann vergaß ich einfach zu viel und dann kam er eines Tages zur Tür herein, er war gerade einkaufen gewesen, und hielt stolz eine Packung orangefarbener Zettelchen hoch. Natürlich hofften wir, dass wir sie nicht all zu lange bräuchten, doch es wurde nie besser und deshalb haben wir auch nie damit aufgehört.

„Danke Dad. Einfach für alles...dass du akzeptierst, wie ich bin."

„Das tut deine Mutter auch. Sie drückt ihre Sorgen nur anders aus."

Ich sah ihn an.

„Ihr macht euch Sorgen?"

„Wie könnten wir denn nicht? Wir sehen doch, wie sehr dich das alles belastet. Wir sind deine Eltern, wir sollten dich beschützen. Doch in dieser Hinsicht sind wir genauso ratlos wie du."

„Ist schon ok. Wir bekommen das hin."

„Ja, auch wenn dafür der ganze Regenwald abgeholzt werden muss."

Ich gab ihm kichernd einen Knuff in die Seite. Er erhob sich und gab mir einen sanften Kuss auf den Kopf. Dann wünschte er mir eine gute Nacht und machte die Tür hinter sich zu.
Mal wieder war ich gerührt, wie liebevoll mein Vater mit mir umging.

Ich seufzte. Was hatte ich getan, bevor mein Vater in mein Zimmer gekommen war? Ich blickte mich um und sah meinen Hefter auf dem Schreibtisch liegen. Er war schwarz. Also Chemie.
Auch wenn ich keine Lust mehr hatte, zwang ich mich dennoch einige Aufgaben zu erledigen.
Dann warf ich mich ins Bett und betrachtete die kahle Decke über mir.
Ich hatte gesehen, wie sehr die Situation meinen Eltern zu schaffen machte. Ich müsste mich einfach etwas konzentrieren und mich bemühen nicht so viel zu vergessen. Es könnte doch nicht so schwer sein sich so zu verhalten wie die anderen auch.

Gaps in my HeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt