„Warum tust du das?", fragte er plötzlich mit viel lauterer Stimme. Er schrie fast, doch das konnte ich ihm nicht verübeln. Ich hätte am liebsten auch geschrien.
„Das mit uns- du und ich- vielleicht in einem anderen Leben.", stammelte ich vor mich hin. Ich wusste sofort, dass ihm diese Aussage nicht genügen würde.„Das ist deine Erklärung? Du wirfst das alles einfach weg und kannst es nicht einmal begründen?!", sein Auftreten wurde hektischer. Er lief hin und her und schielte für eine Sekunde zu den Nachos, an welchen er wahrscheinlich überlegte, seine Wut auszulassen. Vorsichtshalber verstärkte ich meinen Griff um sie.
„Es tut mir wirklich leid, Damon. Das musst du mir glauben. Doch bitte vertraue mir, wenn ich dir sage, dass es so das Beste für dich ist.", versuchte ich ihm ruhig und sachlich zu erklären. Doch man musste mich nicht kennen, um die Unsicherheit und das Zittern aus meiner Stimme herauszuhören.
„Sag mir nicht, was das Beste für mich ist, obwohl ich doch genau weiß, was ich brauche, um glücklich zu sein."
Die Fassade bröckelte. Das schien sowohl ihm, als auch mir aufzufallen, denn er näherte sich nun langsam wieder und schaute mir fest und tief in die Augen. Ich wusste, dass ich ihm nicht länger standhalten könnte, dass ich mich in den nächsten Sekunden in seine Arme werfen würde. Genau aus diesem Grund drehte ich mich schleunig um und schrie ein „Es tut mir leid!", hinter mir her.
Dann rannte ich zurück in den Kinosaal und setzte mich auf meinen Stuhl, doch nicht ohne vorher noch ein paar Menschen unsanft zu stoßen. Damon war wohl zu überrascht von meinem schnellen Abgang, dass er es nicht schaffte mich einzuholen.
„Da bist du ja. Was hast du denn da draußen gemacht? Du warst Ewigkeiten weg!", flüsterte Mary energisch.
„Tut mir leid,", antwortete ich außer Atem, „ich habe jemanden aus der Schule getroffen und wir haben uns unterhalten."
„So besonders ist das aber nicht. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: unser halber Jahrgang ist heute im Kino. Nur für diesen komischen Film, in den du mich mitgezerrt hast.", sie fragte nicht einmal, wen ich getroffen hatte. Doch das sollte mir recht sein. Sie mochte Damon eh nicht und ihr Desinteresse verhinderte wohl einen Streit.
Keine Ahnung, ob der Film nun so schlimm war, wie alle gesagt hatten. Ich bekam nur die wenigsten Stellen mit und die machten ohne den Kontext nur wenig Sinn. Einzig und alleine bei der Stelle, wo ein Mann seine Frau verlor, passte ich auf. An dieser Stelle flossen meine Tränen wie eine Sintflut.
All meine Wunden öffneten sich in diesem Moment zur selben Zeit und ließen mich unkontrolliert Schluchzen. Ich presste meine Hand auf meinen Mund, um sie abzufangen, doch schaffte es nicht ganz, sodass Mary mich nach kurzer Zeit anstieß und mir giftige Blicke zuwarf. Das war der Moment, wo ich wieder in die Realität fand und sich mein Atem normalisierte. Eine nicht so nett gemeinte Geste von Mary, hatte mich gewissermaßen gerettet.
Als wir aus dem Kino kamen, stellte ich, als ich an einen großen Spiegel im Flur schaute, entsetzt fest, dass meine Augen immer noch verquollen und rot waren. Das war mir umso peinlicher, weil wir verdammt noch mal aus einem Actionfilm herauskamen und nicht aus einer Romanze. Ich senkte den Blick und vermied Augenkontakt mit den anderen Menschen, die aus demselben Film kamen.
Ich fühlte mich wie eine Versagerin und sah wahrscheinlich auch so aus. Vielleicht würden sie sich über mich lustig machen, ohne zu wissen, wer ich bin und was mit mir war. Dass ich krank war, dass ich hin und wieder Ereignisse aus meinem Leben vergaß und dass ich dem Jungen, den ich liebte, sagen musste, dass ich ihn nicht will. Obwohl er, scheiße nochmal, alles war, was ich wollte. Ja, ich liebte ihn. Ich liebte ihn mit ganzem Herzen, mit allem, was ich ihm bieten konnte. Mit meinen Macken, mit meinen Problemen und mit meiner Krankheit. Mit meiner Vorliebe für Zitroneneis, mit meinem Hass gegenüber Physik und mit meiner verdrehten Art, alles komplizierter zu machen als es war.
Vor ein paar Wochen noch, hätte ich nicht gezögert, wäre zu ihm gerannt und hätte ihm meine Liebe gestanden und ich hätte ihn niemals wieder gehen lassen. Doch für mich gab es kein „hätte" und „könnte", für mich gab es nur „jetzt". Und das „Jetzt" war kein Fan von selbstsüchtigen Entscheidungen.
Gedankenverloren verabschiedete ich mich von Mary. Sie schien immer noch ungehalten von der Brutalitätdes Films zu sein, doch ich beschloss mir nicht länger deshalb den Kopf zu zerbrechen. Viel eher machte ich mir Sorgen, um unsere Freundschaft. Sie spielte sich in letzter Zeit zu sehr auf. Ja, jeder hatte mal eine schlechte Phase, doch unserer Beziehung schien langsam darunter zu leiden. Ich wollte sie nicht verlieren. Sie war ein viel zu guter Mensch, als dass ich diese Entfremdung einfach akzeptieren könnte. Ich nahm mir deswegen vor, mich mehr um sie zu kümmern. Die Zeit hatte ich ja nun dank meiner Distanzierung zu Damon.
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Gaps in my Head
Fiksi RemajaInhaltsangabe: Wie wäre es, jeden Abend mit der Angst einzuschlafen, am nächsten Tag aufzuwachen und sich nicht mehr an den Vortag erinnern zu können? Wie wäre es, das Gefühl zu haben, man hätte Lücken in seinem Kopf? Das ist der Alltag von Aria...