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Es vergingen einige Tage, ohne dass etwas Spektakuläres passierte. Es war fast, als würde mein altes Leben von Neuem beginnen. In der Schule verbrachte ich die meiste Zeit mit Mary, Damon sah ich überhaupt nicht mehr und ich hatte keine weiteren Arzttermine. Ich hatte mein altes, eintöniges Leben wieder und war fast ein wenig froh gewesen.

Hätte mein Herz nicht furchtbar angefangen zu bluten, bei jedem Mal, wenn ich Damons Namen hörte. Warum musste er auch zu den bekanntesten Jungen in meiner Schule gehören? Ab und zu hatte ich das Gefühl, das Geflüster seines Namens verfolgte mich in den Schulgängen. Es war wie ein Echo, dass immer wieder unaufhörlich die fünf Buchstaben aussprach. Nie konnte ich ihm entfliehen.

Mary und ich liefen über den Schulhof, wie früher auch immer. Wir sprachen über dies und das, als ich eine männliche Stimme hörte, die meinen Namen rief. Zum Glück war der Besitzer ihrer nicht der Junge, dem ich so unbedingt aus dem Weg gehen musste. Kyle kam auf mich zugejoggt.

Ich wusste nicht, weshalb er es so eilig hatte, schließlich hatte ich nicht vor, in den nächsten Sekunden schreiend davonzurennen, doch ich tat so, als würde ich die Hektik, die von ihm ausging, übersehen.

„Hey Aria. Lang nicht mehr gesehen.", er nickte Mary zu.

„Hey Kyle, gibt es irgendwas bestimmtes?", er sollte lieber gleich zur Sache kommen. Er war mir, trotz seiner Entschuldigung für unser vermasseltes Treffen immer noch suspekt. Ich mochte es nicht, nicht zu wissen, wo ich bei einer anderen Person stand. Bei Kyle konnte ich nicht einmal abschätzen, ob er mich mochte oder gar verabscheute. Es wäre beides möglich gewesen.

„Habt ihr beiden euch getrennt?", er brauchte nicht einmal seinen Namen zu erwähnen. Schon dieser kleine Wink löste in mir eine 180 Grad Drehung meiner Gefühle aus.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.", antwortete ich mürrisch und ging einen Schritt zurück. Er war mir schon wieder viel zu nahegekommen.

„Ich lauf schonmal vor.", flüsterte mir Mary ins Ohr und lief dann eilig davon. Diese Reaktion überraschte mich nicht. Sie wollte aus diesem ganzen Schul-Drama herausgelassen werden und das akzeptierte ich.

„Man kann ja mal fragen. Wenn es stimmt, dann ist Damon ein absoluter Vollidiot.", er rückte wieder etwas näher an mich heran, doch diesmal ließ ich es geschehen. Ich war viel zu überfordert mit Kyles Seitenhieb gegen Damon und seinem versteckten Kompliment.

Auf einmal spürte ich eine hastige Bewegung hinter Kyle. Ein Junge lief im zügigen Tempo auf uns zu. Doch es war nicht nur irgendein Junge. Es war Damon! Ich hatte ihn nur einige Tage nicht gesehen, doch es fühlten sich wie Jahre an. Eine Erleichterung machte sich in meinem Herzen breit und es fühlte sich so an, als würde es soeben das erste Mal seit Tagen wieder ausgeatmet haben. Doch ich durfte mich nicht so beflügelt von Damons Nähe fühlen. Ich musste mich zusammenreißen.

Ich blickte ihm nur ganz kurz in die Augen, einen Wimpernschlag und doch konnte ich sehen, was er vorhatte. Ich sah die Entschlossenheit in seinem Blick. Er wollte mich zur Rede stellen. Mal wieder! Und dieses Mal war ich mir sicher, dass ich es nicht schaffen würde, ihn wieder zu belügen. Dieses Mal wäre ich viel zu erleichtert, dass er bei mir war, dass ich ihn nicht wieder ziehen lassen könnte.

Genau aus diesem Grund tat ich das wohl Kindischste, was man in dieser Situation als verzweifelte Teenagerin hätte tun können. Ich rückte näher an Kyle heran. Es war nur ein kleines Stück, ein winziger Schritt, eine Aktion, welche ich als letztes Mittel sah. Doch sie überschritt Grenzen.

Kyle, der mir schon vorher viel zu nahe war, stand nun unmittelbar vor mir. Uns trennte keine Handbreite und stellte damit eine unerhörte Vertrautheit da.
Kyle wirkte vielleicht ein wenig erstaunt doch war bei weitem nicht so überfordert wie ich.

Lautlos flüsterte ich Damons Namen. Kein Muchs kam aus meinem Mund heraus, da ich viel zu geschockt von meinem lächerlichen Verhalten war. Kyle verstand sofort, doch anstatt einfach stehen zu bleiben, oder sogar wieder einen bestimmen Abstand zwischen uns herzustellen, tat er genau das Gegenteil. Er verringerte den Abstand soweit, dass er irgendwann nicht mehr existent war. Um deutlicher zu werden: er legte seine Lippen auf meine.

Das erste Gefühl, welches mich durchströmte, war die pure Empörung. Ich war so entsetzt, von Kyles Handlung, dass ich in eine Schockstarre geriet. Kyle merkte dies natürlich sofort. Er spürte, dass ich seinen Kuss nicht erwiderte. Für ihn musste es sich so angefühlt haben, als würde er einen Stein küssen. Und doch ließ er nicht von mir ab, legte nun sogar seinen Arm um meine Taille.

Ich küsste ihn nicht zurück doch ich drückte ihn auch nicht weg und das war das Meiste, was mich an mir selber anwiderte. Ich wusste, dass Damon den Kuss mitbekam und ich wusste auch, dass ihn mein Verhalten kränken würde, aber vielleicht wäre es das Beste. Vielleicht wäre es gut, wenn er dachte, ich wäre über ihn hinweg.
Es wäre ein glatter Bruch, der nach einer Weile wieder heilen würde. Ich würde Damon die Chance geben, mich zu hassen und ihm damit helfen mich in kurzer Zeit zu vergessen.

Außer Kyle und mir bemerkte niemand die kleine Träne, die meinen Augenlidern entwich.

Gaps in my HeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt