⊱Kapitel 1⊰

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Hastig weiche ich einem Passanten aus, der den Bürgersteig allein für sich beansprucht und rempele dabei einige andere Menschen an, die sich daraufhin lautstark über mich beschweren und gleich noch finsterer an diesem Montagmorgen dreinblicken, als es bereits vorher schon der Fall gewesen ist.

»’tschuldigung!«, rufe ich gehetzt über meine Schulter hinweg und biege an der nächsten Kreuzung rechts ab, wobei ich nur gerade so einem brühend heißen Kaffee entgehen kann, der mir andernfalls einige schmerzhafte Brandblasen beschert hätte.

»Pass doch auf!«, schnauzt mich so gleich der Anzugtyp an, was ich diesmal unkommentiert lasse. Stattdessen ergreife ich über den nächsten Zebrastreifen die Flucht und komme zum Glück ohne ein Hupkonzert auszulösen, unbeschadet auf der anderen Straßenseite an.

Die am blauen Himmel stehende Sonne sendet bereits so früh am Morgen ihre heißen Strahlen auf Arizona herab, sodass ich unweigerlich ins Schwitzen gerate. Phoenix wird umgangssprachlich nicht grundlos als Valley of Sun bezeichnet.

Es ist bis auf wenige Ausnahmen ganzjährig sonnig und die Temperaturen angenehm warm. Im Hochsommer hingegen erweist sich das paradiesisch klingende Städtchen als wahrer Backofen. Selbst die hart eingesessenen kämpfen hier täglich mit der enormen Hitze. Ich muss es wissen, schließlich bin ich hier vor siebzehn Jahren geboren worden.

Ich bin ganz außer Puste, als ich schnaufend die letzten Meter ins Schulgebäude, der Arcadia High School haste, was nicht zuletzt daran liegt, dass ich der wohl unsportlichste Mensch auf Erden bin.

Kaum komme ich vor den blau lackierten Schließfächern schlittern zum Stehen, ertönt irgendwo über mir die laut schrillende Klingel. Mir bleiben noch fünf Minuten, dann muss ich im Klassenzimmer sitzen, um mir keinen unnötigen Ärger einzuhandeln.

Eilig beginne ich damit alle Sachen zusammenzusuchen, die ich vor den Sommerferien in meinem Schließfach vergessen habe, allerdings für den kommenden Unterricht benötige. So landen in meinem roten Rucksack, neben den anderen Schulsachen, unter anderem zwei Blöcke und meine Schreibutensilien.

Mein erleichterter Seufzer der folgt, als ich die Spindtür schließe, verwandelt sich je in einen spitzen Schrei, als neben mir ein blonder Junge schnaufend zum Stehen kommt und anschließend eilig dieselbe Abfolge absolviert, wie ich es gerade eben getan habe.

»Bitte entschuldige, Maggs. Ich bin spät dran«, keucht Shane Anderson, mein langjähriger und noch dazu bester Freund.

Wir kennen uns, seit wir drei Jahre alt waren, denn zu diesem Zeitpunkt sind er und seine Eltern in das Haus neben uns eingezogen. Ein glücklicher Zufall, denn eigentlich hatten seine Eltern erst nach Tucson ziehen wollen, dann aber in Scottsdale ein günstigeres Angebot erhalten.

Obwohl er im Gegensatz zu mir ein eigenes Auto besitzt – ich muss mir das von meiner Mom borgen, seit Dad nicht mehr bei uns lebt, was aber nicht oft klappt, weil sie in verschiedenen Schichten im Krankenhaus arbeitet –, missbraucht er es nicht einmal für den kurzen Schulweg, wenn er spät dran ist.

»Willkommen im Club, Shane«, erwidere ich lachend. »Manche Dinge werden sich wohl nie ändern, oder?«

»Stimmt wohl«, meint Shane und schließt den Reißverschluss seines königsblauen Rucksacks. Er atmet noch immer schwer und das, obwohl er im Gegensatz zu mir als American Football Spieler, körperliche Anstrengung gewöhnt ist.

Abgesehen von den todbringenden Sportstunden, die an unserer Schule leider Pflicht sind, lasse ich gern jegliche sportliche Betätigung außen vor. Den Marathonlauf durch die Straßen von Phoenix, lasse ich dabei geflissentlich weg fallen.

»Ich vermisse die Zeiten, in denen mich Mom geweckt hat, bevor sie zur Arbeit aufgebrochen ist«, seufze ich wehleidig. Shane scheint mit verbittertem Blick durch mich hindurch zu blicken. »Was ist denn?«

»Ich stelle mir bloß gerade vor, wie es wäre, wenn mich meine Mom nur ein einziges Mal geweckt hätte. Stell dir vor, ich muss leiden, nur, weil meine Großeltern es bei meiner Mutter verbockt haben. Tja, was soll’s? Böse Großeltern, erziehen böse Eltern und böse Eltern wiederum böse Kinder. Es wird für meine späteren Kinder also keine Gnade geben!«

Laut lachend treten wir den Weg zu unserem Klassenzimmer an, wobei sich Shane ein gehässiges Händereiben nicht verkneifen kann. Seine ungeborenen Kinder tun mir schon jetzt leid, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass Shane sich liebevoll um sie kümmern und sein Gesagtes nicht einhalten wird.

»Hast du schon gehört, dass ab diesem Jahr der Herbstball wieder stattfinden soll?«

Shane streicht sich durch seine blonden Locken, die bald mal wieder einen Haarschnitt gebrauchen könnten, und mustert mich mit seinen ozeanblauen Augen. Wir sind nicht die einzigen, die am ersten Schultag nach den Sommerferien spät dran sind, denn selbst zwei Minuten vor Unterrichtsbeginn rennen noch immer einige Schüler in das Gebäude.

Trotzdem sind die Gänge fast wie ausgestorben. Ich vergewissere mich, dass wir es rechtzeitig schaffen werden, in dem ich unser Tempo anziehe. Pflichtbewusstsein steht sowohl bei Shane, als auch bei mir ganz oben auf der Prioritätenliste – auch wenn wir häufig erst in letzter Sekunde auf unseren Plätzen sitzen.

»Nein. Und um ehrlich zu sein, interessiert er mich auch nicht wirklich. Hast du etwa über die Ferien vergessen, dass ich fürchterlich tanze?«

»Jetzt wo du’s erwähnst, ich glaube meine Zehen schmerzen noch immer vom letzten Mal«, witzelt Shane, was ich mit einem Augenverdrehen kommentiere. »Ich gehe jedenfalls hin. Du kannst dir sicher vorstellen, wie versessen Caesy auf den Ball ist. Von ihr habe ich im übrigen auch die Informationen«, fährt er fort und ich wette, dass Shane das erste Mal bei der Erwähnung von Caesy genervt klingt.

Caesy Adams und mein bester Freund sind erst gegen Ende des letzten Schuljahres zusammengekommen, doch die Zeit hat gereicht, um sich bei mir unbeliebt zu machen.

Die unechte Rothaarige und ich haben uns nur die Hände schütteln müssen und schon stand fest, dass wir uns niemals verstehen würden. In Shanes Nähe machten wir einverständlich gute Miene zum bösen Spiel, doch hinter seinem Rücken können wir uns nicht ausstehen.

»Was ist mit dir?«

Die Antwort darauf bleibt mir erspart, weil unsere Englischlehrerin gerade vor unseren Augen die Tür zum Klassenzimmer schließt.

»Shit«, murmele ich.
»Schöne Scheiße«, kommt es von Shane.
Wir sind zu langsam gewesen, weil wir nicht einberechnet haben, dass Ms Miller als einzige Lehrerin immer vor dem Klingeln erscheint.

Meine Mutter wird mich umbringen, soviel steht fest.

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