⊱Kapitel 48⊰

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Ich folge Evan aus dem Wagen und höre, wie er den Kofferraum öffnet. Er holt etwas heraus, dann schließt er ihn wieder. Meine Augen, die sich langsam an die Dunkelheit und das diffuse Licht der Straßenlaternen gewöhnen, erkennen, dass wir uns irgendwo in einem abgelegenen Industriegebiet aufhalten müssen.

Von weiter weg dringen klappernde Geräusche an mein Ohr, gefolgt von langem zischen.
»Wo sind wir hier?«, piepse ich, was Evan zum Lachen bringt.
»Schau nicht so ängstlich, du siehst ja aus wie ein kleines Rehkitz. Keine Sorge, dir passiert schon nichts. Hier fang.«

Er wirft mir etwas zu und ich fange die Dose mit beiden Händen.
»Was ist das? Eine Sprühdose?«, frage ich verdutzt und drehe sie in meinen Händen. »Hast du vor dem Wagen einen neuen Anstrich zu verpassen?«
»Dem Auto nicht, der Wand dort vorn allerdings schon. Komm mit, ich stell dich ein paar Freunden von mir vor.«

Evan streckt mir seine Hand entgegen und ohne groß zu überlegen, nehme ich sie an. Wir laufen etwa vierhundert Meter eine gerade Straße entlang, ehe wir rechts abbiegen und auf eine etwa fünfzehn Mann große Gruppe stoßen. Die meisten beachten uns nicht und sprühen bereits eifrig ihre Bilder und Schriften an die Backsteinmauern von vermutlich leer stehenden Gebäuden.

Andere wiederum drehen sich zu uns um, und folgen uns mit neugierigen Blicken, bis Evan vor einer Wand stehen bleibt, auf der ein detailreiches Abbild von Jonny Depp in seiner Rolle als verrückter Hutmacher aus Alice im Wunderland zu sehen ist.

»Wow«, staune ich. »Das ist wunderschön.«
»Tja das Lob gehört dann wohl mir, würde ich sagen.«
Ich wirbele herum und sehe mich einem aschblonden Jungen mit ziemlich blasser Haut gegenüber, der nun Evan die Hand reicht. »Wer ist denn die Schönheit an deiner Seite?«

»Ron, das ist Maggie. Maggie, darf ich dir meinen Kumpel Ron vorstellen.« Evan lässt meine Hand los und deutete jeweils erst auf mich, dann auf seinen Freund Ron.
»Freut mich«, sagt Ron und reicht mir seine Hand, an der bunte Farbe klebt.
»Mich auch«, erwidere ich freundlich und nehme sie an. »Wirklich sehr gut getroffen.«

»Danke. Ich nehme an, ihr seid ebenfalls deswegen hier?«
»Klar, weswegen sonst?«, meint Evan so gleich und zieht mich bereits wieder von Ron fort, bis zu einem noch unbefleckten Abschnitt der Mauer. »Wie’s aussieht, sind Jenna und Seth heute nicht mit hier, aber vielleicht kann ich sie dir dann beim nächsten Mal vorstellen.«

Evans Worte bringen mein Herz zum schneller Schlagen. Nächstes Mal?
Bedeutet das etwa, dass das heute nicht das einzige Mal bleiben, sondern er mich noch ein weiteres Mal mit hier hernehmen würde?
»Das wäre schön«, flüstere ich und sage dann etwas lauter: »Du hast das also schon mal gemacht?«

Evan lacht und schüttelt die Dose, bevor er die schwarze Kappe abnimmt.
»Wenn du willst zeige ich dir später ein Paar von meinen Kunstwerken. Sie sind nicht so gut wie Rons, aber ich glaube nicht, dass sie sich verstecken müssen. Na los, zeig mal was du drauf hast, kleine Künstlerin.«

Ich verdrehe die Augen, spare mir aber einen Kommentar, weil ich über den Ausdruck schmunzeln muss.
»Wehe du lachst, ja? Ich habe das noch nie zuvor gemacht«, warne ich Evan, der seinerseits bereits begonnen hat. Er unterbricht seine Arbeit kurz, um mir einen warmen Blick aus seinen grünen Augen zu schenken.

»Das kann ich dir nicht garantieren«, sagt er dann und lacht dunkel, als ich ihm gegen seinen Arm schlage.
»Idiot.« Nein. Süßer Idiot, korrigierte ich mich selbst.

Ich schüttele wie Evan zuvor die Sprühdose, sodass ein klapperndes Geräusch entsteht und male mir im Kopf ein Motiv aus, welches ich auf die Wand bringen kann. Als ich eines habe, welches mir für das erste Mal nicht allzu schwierig erscheint, beginne ich damit die schwarze Farbe aufzusprühen.

Ich verliere mich so sehr in dem Motiv, dass ich nicht mitbekomme, wie mich Evan irgendwann von der Seite aus mustert und selbst mit Sprühen aufhört. Die Minuten vergehen schnell, aber ich verliere jegliches Zeitgefühl, konzentriere mich nur auf das Bild, welches langsam aber sicher Gestalt annimmt. Erst als ich zufrieden bin, lasse ich die Dose sinken und trete schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen von der Wand zurück.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du so gut bist«, raunt Evan in mein Ohr und schlingt einen Arm um meine Taille.
Jede seiner Berührungen fühlt sich richtig an, aber meine Wangen fühlen sich vor Verlegenheit dennoch heiß an. Gemeinsam betrachten wir mein Werk. Ich habe mich für einen Panda als Motiv entschieden. Weil ich aber nur Schwarz als Farbe zur Auswahl hatte, ist er nichts besonderes geworden, dafür aber irgendwie ...

»Süß«, kommentiert Ron, der urplötzlich neben uns steht. Sofort löse ich mich unauffällig von Evan, der räuspernd einen Schritt zurücktritt. »Nicht schlecht. Wenn du so weiter machst, kommst du ganz groß raus.«

Ich nehme dankend sein Kompliment an und betrachte nun Evans Werk. Ein nur halb fertiger Totenkopf. Ich verdrehe die Augen. Auf Herzchen und Blümchen kann ich wohl warten, bis ich selbst so Schwarz wie der Panda und der Totenkopf bin.

»Nicht schlecht«, sage ich und bin mir sicher, dass Evan etwas Sarkastisches hätte erwidern wollen, wenn nicht im selben Moment schrille Sirenen, wie Gewehrschüsse die Stille durchrissen hätten.

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