⊱Kapitel 46⊰

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»Wie ist die Klausur gelaufen?«, erkundigt sich Shane am nächsten Tag, während ich Schulbücher in meinen Spind schlichte.
»Passt schon. Du weißt das Mathematik nicht so meins ist.«
Das entspricht nicht mal ansatzweise der Wahrheit. In Wirklichkeit bin ich mir sicher versagt zu haben, da ich weder die Hälfte der Aufgaben gelöst, noch für den Test gelernt habe. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich ihn über die letzten Ereignisse mit meiner Mom komplett vergessen.

Shanes blaue Augen mustern mich reumütig. Sicher, er macht sich noch immer Vorwürfe mir mit dem Anruf bei meiner Mutter Ärger eingehandelt zu haben. Natürlich ist zwischen Mom und mir noch nicht alles wieder gut und sie beobachtet mich weiterhin mit Argusaugen. Dennoch, mein Vater hat die Situation zwischen uns deutlich entspannt. Ich bin ihm unendlich dankbar dafür, dass er sich für mich eingesetzt hat und meine Meinung versteht.

Der einzige dabei unvermeidliche Haken: Als Strafe für meinen Fehler darf ich meinen Vater nicht besuchen. Das von ihm und Tiffany geplante Wochenende ist bis auf Weiteres Geschichte.

Moms Entscheidung mag auf den ersten Blick unverständlich wirken, doch ich habe bereits erkannt um was es ihr wirklich geht. Sie will mir nicht den Kontakt zu Dad verbieten, sondern den zu Tiffany. Mom hat Angst mich genau so zu verlieren wie sie bereits Dad verloren hat. Dass sie mich dabei wie eine Gefangene behandelt scheint ihr nicht aufzufallen.

»Es tut mir leid, Maggs«, sagt Shane und bestätigt damit meine Vermutung. Ich schließe den Spind eine Spur zu heftig und schultere Kopfschüttelnd meinen roten Rucksack.
»Nein, mir tut’s leid. Es war nicht deine Schuld, es war meine und ich hätte dich am Telefon nicht so anfahren dürfen.«

Shanes blonde Locken fallen ihm leicht in die Stirn, als er auf unsere Hände hinab sieht, die ich ineinander verschlungen habe. Ich drücke seine und ein leichtes Lächeln bildet dich auf seinen Lippen.
»Bedeutet das, ich bin nun an der Reihe dir zu verzeihen?«, scherzt er und ich kichere.

»Wir sehen uns später, Shane. Ich muss noch mal schnell in die Bibliothek«, erkläre ich.
»Etwa wegen des Buches?«, rät Shane und ich schenke ihm ein breites Grinsen.
»Du bist eben nicht ohne Grund mein bester Freund.«

Ich gebe Shane zum Abschied einen Kuss auf die Wange, dann stürme ich auch schon in Richtung Bibliothek davon, um mir mein heißgeliebtes Buch über die herzzerreißende Liebesgeschichte von Bella und Edward für weitere vier Wochen zurückzuholen.

Sobald ich die schweren Eichentüren öffne und eintrete, fühle ich mich schlagartig wohl. Der Geruch von alten Folianten entspannt mich, während ich zielstrebig auf das Regal über Romantik und Fantasy zusteuere. Staubkörner tanzen im goldenen Sonnenlicht, welches sanft durch die großen Fenster hereinfällt.

Die nette Bibliothekarin Mrs Light begrüßt mich mit einem Lächeln, als sie mich entdeckt. Abgesehen von ihr, sind noch drei weitere Schüler anwesend. Zwei Mädchen, die sich verhalten kichernd über die Ausgabe eines Buches gebeugt unterhalten und ein Junge, der etwas an einem der Schulcomputer recherchiert.

Ich beachte sie nicht weiter und stöbere im hinteren Teil der Bibliothek nach meinem Lieblingsbuch. Es dauert nicht lange, bis ich die zerlesene Ausgabe entdecke. Ich ziehe sie aus dem Regal und zucke heftig zusammen, als mich durch die entstandene Lücke ein grünes Augenpaar direkt anstarrt.

»Fuck!«, fluche ich leise und versuche mein klopfendes Herz wieder unter Kontrolle zu bringen, obwohl die Augen bereits verschwunden sind.
»Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.«
Evan sieht gelinde gesagt beschissen aus, was sich auch in seiner Stimme niederschlägt, als er wenig später mit einem Buch in der Hand neben mich tritt.

Er hat mittlerweile eine schwarze Sonnenbrille über die grünen Augen geschoben, sodass ich sie nicht länger sehen kann und das, obwohl wir uns in einem Gebäude befinden. Aber dadurch wird mir schnell klar, dass es Evan alles andere als gut gehen muss.

»Nicht schlimm, ich war einfach nur überrascht.«
Evan nickt tonlos und macht kehrt, aber anstatt ihn gehen zu lassen – obwohl das vielleicht die bessere Option gewesen wäre –, beeile ich mich neben ihm laufen zu können.

Neugierig betrachte ich das Buch in seinen Händen. Ein unauffälliger schwarzer Einband, der mir keine Aufschlüsse über den Inhalt gewährt. Ein Thriller, ein Roman oder ein Sachbuch?
»Hör mal, wegen gestern ...«, beginne ich, weiß dann allerdings nicht weiter und zögere kurz. »Also ich würde gern wissen, warum du so ... heftig auf deine Eltern reagiert hast«, schließe ich dann.

Er antwortet nicht und steuert auf die grauhaarige Mrs Light zu. Ehe er sie erreicht, packe ich ihn am Handgelenk und ziehe ihn in eine abgeschiedenere Ecke der Bibliothek, die nicht so leicht einsehbar ist. Evan seufzt und lässt es über sich ergehen.

Würde es ihm besser gehen, hätte er es sicher nicht zugelassen und wäre wütend davon gestürmt.
»Ich weiß, dass deine Freunde nichts von deinen Eltern wissen und dass es deren Haus war, in dem Zaras Party stattgefunden hat. Warum erzählst du es ihnen nicht, Evan?«
»Warum sollte ich?«, erwidert Evan und verzieht das Gesicht. Hat er Kopfschmerzen? Vielleicht einen Kater?

»Sie sind deine Freunde«, antworte ich und streiche mir eine widerspenstige Haarsträhne hinter mein Ohr. Obwohl ich Evans Augen nicht sehen kann, bin ich mir sicher, dass er mich durch seine dunkel getönten Brillengläser anstarrt.

»Erzählst du Shane denn immer alles?«, will er wissen und mein daraufhin folgendes Schweigen ist Antwort genug.
Seine Stimme ist monoton, als er fragt: »Du wirst es nicht dabei beruhen lassen, richtig?«
»Auf keinen Fall.«

Aus einem Grund, den ich nicht kenne, bringt meine Antwort Evan zum Lächeln, sodass sich die Grübchen seiner Wangen zeigen.
»Na schön. Dann hole ich dich heute Abend ab, Maggs.«

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