⊱Kapitel 21⊰

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Ich suche in Evans Gesicht nach Anzeichen einer Lüge, finde allerdings nichts dergleichen. Er scheint es ernst zu meinen und mich nicht auf die Schippe zu nehmen. Das Problem bei seiner Frage ist nur, dass ich ihn und seine Handlungen nicht nachvollziehen kann.

»Wenn es nicht so ist, wieso gibst du mir dann das Gefühl dazu?«, flüstere ich, die Hände in meinem Schoß zu einem Knoten verschlungen.
Warum willst du, dass ich die Freundschaft zu Zara kündige und aus deinem Leben verschwinde?

Evan zieht die Augenbrauen nach oben und scheint einen Moment nachzudenken. Dabei erscheint auf seiner sonst glatten Stirn eine kleine Falte, die mir bis dahin nicht aufgefallen ist.

»So bin ich nun mal. Was kann ich denn dafür, wenn du damit nicht klarkommst?«, knurrt er und wirft mir einen verärgerten Blick zu. »Ich sag ja, du gehörst nicht zu uns.«

Ich seufze, weil ich die Ausweglosigkeit erkenne, wenn ich sie sehe. Evan wird mir niemals eine richtige Antwort geben, es ist das Beste, wenn ich einen Kompromiss finde, der für uns beide in Ordnung ist.

»Du hast recht«, stimme ich ihm zu und löse meine ineinander verkrampften Hände. »Ich kann mit deiner verletzenden Art nicht umgehen. Ich werde dir in Zukunft aus dem Weg gehen, aber Zara nicht.«
»Bin gespannt, wie das funktionieren soll, wenn Zara zu unseren beiden Freundeskreisen gehört«, höhnt er, doch ich bewahre Ruhe.

»Du kannst mich ignorieren, wenn wir uns begegnen«, schlage ich vor und sehe abwartend in seine Richtung. Evan streicht mit der rechten Hand abwesend durch seine dichten braunen Locken, ehe er mir einen wissenden Blick zu wirft und grinsend den Kopf schüttelt.

»Wem versuchst du diesen Mist eigentlich einzureden? Mir oder eher dir selbst? Bitte, aber es ist offensichtlich, dass das nicht funktionieren wird. Tu uns beiden einen Gefallen und häng’ lieber mit Blondie rum, der passt besser zu dir.«

»Da ist Ian anderer Meinung«, halte ich in einem schwachen Versuch dagegen und entlocke Evan ein ironisches Lachen.
»Jedes Mädchen was Titten hat und im richtigen Moment den Mund aufmachen kann, passt zu Ian. Ich wäre nicht sonderlich stolz darauf.«

Geschockt von seiner vulgären Wortwahl starre ich ihn für eine Sekunde ungläubig an. Am liebsten würde ich ihn für diesen Spruch eine herunterhauen, aber ich habe meine guten Vorsätze gegen Handgreiflichkeit noch nicht vergessen.

»Was fällt dir eigentlich ein?«, fahre ich ihn stattdessen an.
»Nicht jeder Junge, der einmal kurz lächelt und Interesse an dir zeigt, will sofort dein fester Freund werden und dich heiraten, Maggie«, bemerkt Evan und lächelt selbstsicher.

Wütend starre ich ihn an, weil ich es hasse wie herablassend er meinen Namen in den Mund nimmt. Ich antworte nicht, weil es stimmt und ich nicht zugeben will, dass er recht hat. Wie kann dieses Arschloch nur in jeder seiner Feststellungen richtig liegen?

Ich zwinge mich zur Ruhe und versuche die restliche Fahrt über keinen Streit mit Evan vom Zaun zu brechen, insbesondere weil meine aufgebrachte Mutter bereits genug Energie in Anspruch nehmen wird.

Als hätte Evan meine Gedanken gelesen, will er plötzlich wissen: »Warum musst du überhaupt so schnell nach Hause?«
»Warum sollte ich dir eine Antwort geben?«

Ich wende mich von ihm ab und schaue stur aus dem Fenster.
»Deine Eltern?«, rät er ins Blaue hinein. Er lacht als ich nicht antworte und keine Anstalten mache unsere Unterhaltung fortzusetzen. Er weiß, dass er richtig liegt.

»Was denn, braucht Mami etwa Hilfe beim Abwasch? Oder will Daddy das du auf deinen kleinen Bruder aufpasst, weil er deine Mutter zum Essen ausführen möchte?«
Ich halte den Spott nicht länger aus und fahre herum.

»Meine Familie ist alles andere als perfekt, also spar’ dir die Scheiße!«, zische ich aufgebracht und denke gar nicht daran seine Aussagen richtigzustellen. Seit Dad ausgezogen ist, fühlt sich das Haus leer an und ich vermisse ihn jeden Tag, Moms Überfürsorglichkeit erdrückt mich fast. Jules möchte schon seit längerem zu ihrem Freund ziehen und gerät ständig mit Mom in Streit.

Die Spannungen sind allgegenwärtig. Die Ansprüche und der Leistungsdruck, die auf mir lasten sind enorm, weil meine Mutter ein besseres Leben als ihres für mich möchte.

»Wem willst du das erzählen? Die schwerste Entscheidung, die du jemals treffen musstest war doch bestimmt, ob du lieber Orangensaft oder Kaffee zum Frühstück haben willst. Dir wurde ganz bestimmt jeder beschissene Wunsch immer von den Augen abgelesen!«

»Du liegst falsch«, antworte ich knapp. »Aber ich nehme mal an, du glaubst mir ohnehin nicht.«

Ich erwarte keine Antwort von Evan und erhalte auch keine. Stattdessen kehrt er zurück zu seiner Lieblingsbeschäftigung: er schweigt beharrlich. Ich lasse es ihm durchgehen und bohre nicht weiter nach, weil mich seine familiären Beziehungen herzlich wenig interessieren.

Auch als er das Radio auf volle Lautstärke dreht, ertrage ich es, ohne ein Wort gegen die grässliche Musik zu sagen. Ich bin mir sicher, dass er mich bloß reizen will und diese Genugtuung möchte ich ihm nicht geben.

Erst als wir in mein Viertel abbiegen und er schließlich vor meinem Haus hält, wo er mich erst vor weniger als zwei Stunden abgeholt hat, ergreife ich aus Höflichkeit wieder das Wort.
»Danke, dass du mich gefahren hast.«
Evan nickt nur knapp.

Ich werfe einen letzten Blick auf den tätowierten Jungen mit den faszinierenden grünen Augen, dann steige ich aus und schließe die Autotür. Ich sehe dabei zu, wie Evan davon fährt, deswegen bemerke ich nicht, wie sich jemand von hinten nähert.

»Wer war das?«

Ich schließe für einen Moment die Augen, während ich innerlich fluche. Erst dann bin ich dazu in der Lage, mich einem Gespräch zu stellen.

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