⊱Kapitel 26⊰

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Kaum bin ich zu Hause, schmeiße ich meinen roten Rucksack in die nächstbeste Ecke meines Zimmers und hohle die Hausaufgaben nach, die durch meinen Friseurbesuch warten mussten.

Dabei gehe ich nach dem Prinzip vor, die zuerst zu erledigen, die ich in dieser Woche auch als Erstes benötigen werde. Ich habe allerdings den Umfang ganz schön unterschätzt und die Zeit vergessen. Als ich endlich mit allem durch bin, zeigt meine Handyuhr bereits 19:04 Uhr an.

Erleichtert setze ich schließlich den letzten Punkt unter meine Aufgabe für Englisch, die darin bestand, eine kurze Zusammenfassung über das achte Kapitel von Sturmhöhe von Emily Brontë zu verfassen. Kaum bin ich fertig und damit beschäftigt meine Bücher wegzuräumen, bevor es Abendessen gibt, geht eine Nachricht auf meinem Handy ein. Sie ist von Shane.

Sind deine Haare jetzt Blau?

Ich schüttele grinsend den Kopf.

Überzeug dich doch selbst und komm zum Abendessen.

Die Antwort folgt so gleich.

So ein Angebot werde ich mir sicher nicht entgehen lassen. Bis gleich.

Eine halbe Stunde später sitzen wir alle zusammen am Tisch und essen. Während Shane meine neue Frisur offensichtlich gefällt, hat Mom sie schlicht ignoriert und ein weiteres Gedeck für meinen besten Freund bereitgestellt.

Während Jules und ich schweigend Moms Kartoffelauflauf essen, unterhält sich Shane mit meiner Mutter. Dabei hört er sich so erwachsen an, dass ich mich des Öfteren selbst von der Anwesenheit des gleichaltrigen Jungen überzeugen muss. Mom scheint es offensichtlich zu gefallen über ihr Leid zu klagen und verstehende Worte von Shane zu ernten.

»Ich mache zurzeit ständig Überstunden«, erzählt Mom, während sie einen Schluck Rotwein trinkt. »Angela ist krank und Verona ist in Mutterschaftsurlaub. Wir sind also zur Zeit völlig unterbesetzt auf der Station, aber die Patienten wollen natürlich trotzdem versorgt werden.«

»Verständlich, aber ist es denn nicht möglich Verstärkung von den umliegenden Krankenhäusern aufzufordern?«, hakt Shane nach, der sich schon zum zweiten Mal Nachschlag genehmigt. Mom lächelt darüber zufrieden, während ich mich frage, wie man so viel essen kann, ohne dick zu werden. Ungerecht.

»Nein. Leider nicht, Shane. Aber ...«

Ich schalte ab und höre nicht länger zu. Stattdessen blicke ich Jules an, die mir gegenüber sitzt und ihre braunen Augen verdreht. Sie fängt meinen Blick auf und sofort wird uns klar, dass wir das Gespräch beide ätzend finden. Sicher wäre Jules jetzt lieber bei Justin. Verständlich, ich wäre jetzt auch viel lieber woanders. Warum habe ich Shane noch gleich eingeladen?

»Habt ihr zwei am Wochenende irgendetwas vor?«, holt mich Mom schließlich aus meinen Gedanken und ich sehe fragend auf. Shane lächelte breit und nickt, was ich irritiert zur Kenntnis nehme. Meines Wissens, haben wir noch nichts geplant.

»Ja, eigentlich habe ich vor in die örtliche Bibliothek zu gehen. Am Abend hält dort ein ziemlich berühmter Krimiautor eine exklusive Vorlesung aus seinem neuesten Buch. Hast du Interesse, Maggs?«, wendet sich Shane an mich.
Ich nicke erfreut.

»Hört sich super an, Shane. Ich würde gerne mitkommen. Das heißt, vorausgesetzt ich darf.«

Abwartend sehe ich meine Mutter an. Nach der Auseinandersetzung von gestern, würde ich ihr durchaus zutrauen mir Hausarrest aufzubrummen. Zu meinem Überraschen lächelte sich jedoch sichtlich erfreut.
»Natürlich. Ich wünsche euch viel Spaß.«

Nach dem Abendessen, hilft Shane abräumen und wieder frage ich mich, ob er nur höflich sein will oder ob es ihm tatsächlich Freude bereitet zu helfen. Das erste Mal, seit Shane da ist, wünsche ich mir, er wäre es nicht. Normalerweise gefällt es mir wie gut sich meine Mutter und er verstehen, nur heute wäre es irgendwie schöner gewesen, wenn Shane nicht bei meiner Mutter, sondern bei mir wäre.

Jules scheint aufzufallen, dass etwas mit mir nicht stimmt. Als ich zu ihr in unser Wohnzimmer trete und mich neben sie auf die meerblaue Couch sinken lasse, wirft sie mir einen besorgten Blick zu.

»Ist alles in Ordnung mit dir? Du warst beim Abendessen außergewöhnlich still?«, fragt sie, während sie durch die verschiedenen Kanäle zappt und nur kurz stoppt, um zu sehen, was gerade läuft.

Ich räuspere mich und verknote meine Hände in meinem Schoß.
»Jules, ist es normal manchmal grundlos wegen eines Freundes ... verärgert zu sein? Äh ... ich meine, warst du schon mal sauer auf Elena und wusstest nicht, warum du es bist?«

Ich weiß selbst wie dämlich sich das anhört, aber ich muss mit irgendwem darüber reden und Shane kommt nicht infrage.
»Ja, manchmal schon«, gibt meine große Schwester zu und sieht mir in die Augen. Sie lässt irgendeine Sitcom laufen, achtet allerdings nicht auf sie.

»Ach ja wirklich?«, hake ich zum Teil erleichtert und zum anderen neugierig nach. Jules nickt, wobei sie sich eine Strähne ihres glatten blonden Haares hinter ihr Ohr klemmt.

»Es gab eine Zeit, da haben mich bestimmte Verhaltensweisen an Elena extrem gestört. Von jetzt auf gleich mochte ich nicht mehr, wie sie lacht, wenn Justin einen Scherz gemacht hat oder mit welcher Stimme sie ihn ansprach, wenn sie etwas benötigte. Es waren solche ganz einfachen, banalen Dinge.«

»Und was hast du dagegen gemacht?«
Jules schenkt mir ein kleines und zufriedenes Lächeln.

»Das war alles bevor Justin und ich ein Paar wurden. Ich war damals eifersüchtig auf Elena, habe es allerdings erst mehrere Wochen später erkannt. Ich habe mich unbewusst ist Justin verliebt und dachte, Elena sei es auch. Deswegen habe ich sie schließlich darauf angesprochen. Als sie mir versprach, nichts von Justin zu wollen, war der Zorn auf sie verschwunden.«

Ich nicke, obwohl mir das nur bedingt weiter hilft. Jules Situation und meine, kann man nicht vergleichen. Shane ist noch immer derselbe. Er versteht sich blendend mit meiner Mutter und will mit mir etwas unternehmen.

Kann ein Mensch wirklich zu ausgeglichen, zu freundlich und zu fürsorglich sein?, frage ich mich und schüttele sogleich den Kopf.
Warum mache ich mir überhaupt so viele Gedanken darüber?

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