⊱Kapitel 47⊰

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Erst habe ich Evans Worte nur für einen Scherz gehalten, aber als ich am Abend die Haustür öffne, muss ich feststellen, dass er Wort gehalten hat. Er ist tatsächlich gekommen.

Als ich auf Evan zugehe, sieht er zu mir auf. Er lehnt entspannt an seinem Wagen, seine braunen Locken sind auf atemberaubende Weise zerzaust und er trägt wie fast immer eine schwarze Jeans, und ein weißes Shirt unter dessen Saum die Tattoos seiner Arme verschwinden. Nur ein kleines Stückchen lugen diejenigen heraus, die Evan auf seiner Brust trägt.

Ohne ein Wort zu ihm sagen zu müssen, öffnet er mir die Beifahrertür, damit ich einsteigen kann. Ich bin zu überrascht, um mich für die Geste bedanken zu können. Er schließt die Tür und geht um den Wagen herum, um selbst einzusteigen.

»Du siehst hübsch aus«, sagt Evan und lässt den Motor an. Ich lächele auf seine Worte hin sanft und murmele ein einfaches, aber ehrliches »Danke«. Auch Evan sieht deutlich besser aus, als heute Nachmittag. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um ihn darauf anzusprechen.
»Was hast du vor?«, frage ich stattdessen und schlage einen unbekümmerten Ton an.

»Ich dachte, wenn mich deine Mutter schon für einen kriminellen hält, dann sollte ich diesem Titel auch gerecht werden.« Er grinst frech, als er mich von der Seite mustert und allein dieser Blick genügt, um mir einen warmen Schauer zu bescheren.
»Was meinst du damit?«

»Wie viele Jahre werde ich wegen Entführung sitzen müssen? Was meinst du, Maggs?«
Ich schüttele schmunzelnd den Kopf.
»Du bist unmöglich. Außerdem hast du mich nicht entführt, meine Mutter weiß Bescheid.«

»Und sie lässt es zu?« Evan wirkt überrascht, während er geschickt den Stau umfährt, der sich womöglich durch einen Unfall auf den Straßen gebildet haben muss.
»Ja, aber sie ist nicht begeistert. Sie glaubt, dass nur Shane gut für mich ist. Und seit der Sache letzten Freitag vertraut sie mir nicht mehr.«

»Wie hat sie reagiert?«

Ich fahre mir mit den Händen durch mein Gesicht und starre angestrengt aus der Windschutzscheibe. Die Erinnerung an Moms Worte schmerzt noch immer.

»Nicht gut«, gestehe ich und beiße mir auf die Unterlippe. »Sie war wütend, dass ich ihr nichts von der Party gesagt habe und nicht nach Hause gekommen bin. Sie hat mit Shane gesprochen und ist der Meinung, dass ... ich nicht länger mit Zara und euch befreundet sein soll. Dad konnte sie nur in so weit umstimmen, dass sie mir den Kontakt nicht verbietet.«

»Und wirst du auf sie hören?«, bohrt Evan nach und ich lache hart auf.
»Glaubst du ich würde jetzt neben dir im Wagen sitzen, wenn ich ernsthaft in Betracht ziehen würde, auf sie zu hören? Nein, ich werde mir nicht vorschreiben lassen, mit wem ich befreundet sein darf und mit wem nicht.«

»Gut.«

»Gut? Ich glaube nicht, dass zurzeit alles gut ist. Es ist nur ...«
»Was?«, möchte Evan mit einer Sanftheit in seiner Stimme wissen, die mich ernsthaft daran zweifeln lässt, ob ich gerade mit dem richtigen Evan und nicht nur mit einer netteren Version von ihm im Auto sitze. Im Radio spielt leise Musik, das glatte Gegenteil von dem lauten Geplärre als er mich das erste Mal mitgenommen hat.

»Ich verstehe mich selbst kaum«, murmele ich, geradeso laut, dass er mich versteht. »Mein ganzes Leben lang habe ich nie etwas Falsches getan, habe immer auf meine Mutter gehört, sie nie angelogen oder etwas Waghalsiges getan. Falls doch, war Shane immer an meiner Seite. Aber plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich das alles nicht mehr will. Warum?«

Ich blicke hilflos zu Evan, dessen Augen selbst im Dunkeln beständig in einem sanften Grün leuchten. Er lächelt nicht, als er mit antworte. Seine Stimme ist neutral, so als würde er das feststellen, was so offensichtlich auf der Hand liegt.

»Das nennt sich leben wollen, Maggs. Du willst dich nicht immer an die Regeln halten müssen, an die du unbewusst die ganze Zeit über gebunden warst. Du willst du selbst sein dürfen und frei sein, weil du gesehen hast, dass Zara das ist. Daran ist absolut nichts verwerflich.«

Seine warme Hand legt sich auf mein Bein, aber als ich meine obenauf lege, zieht er sie wieder weg, als wäre ihm erst in diesem Moment bewusst geworden, dass er mich berührt hat. Ich versucht mir die Kränkung nicht anmerken zu lassen und lächele stattdessen.

»Danke«, meine ich ehrlich und fühle mich tatsächlich etwas besser. »Hast du eigentlich schon mal überlegt Schriftsteller zu werden?«, frage ich dann, weil ich nicht umhinkomme zu bemerken, dass er die perfekten Worte für meine Situation gefunden hat.

»Ich habe vor auf die Uni zu gehen und Literatur zu studieren«, erwidert er zu meinem Überraschen. Mit seiner Ehrlichkeit habe ich nicht gerechnet. »Schriftsteller zu werden wäre natürlich der Traum schlechthin, aber ich war schon immer ziemlich realistisch und werde sehen, wohin ich komme. Zurzeit arbeite ich halbtags in der Bibliothek.«

In der Bibliothek? Das würde auch erklären, warum er bei der Vorlesung von James Thomas war.
Nach einer kurzen Pause fragt er: »Was hast du nach der Schule vor?«

»Ich bin mir nicht sicher. Mein Traum wäre es irgendetwas Künstlerisches zu tun. Ich liebe es zu zeichnen und habe früher für die Schülerzeitung Bilder geschossen. Aber ich denke, dass ich mir am Ende wohl eher etwas aussuchen werde, was sicherer für die Zukunft ist. Wirtschaft vielleicht?«

Evan parkt den Wagen und ich sehe ihn fragend an, als ich nichts als Dunkelheit vor uns entdecke. Evan fährt sich durch seine braunen Locken und grinst verschmitzt.
»Zeichnen hört sich perfekt an«, sagt er lässig. »Aber jetzt genug der ernsthaften Gespräche. Lass uns etwas Aufregendes tun.«

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